4. Mai 2020

"Martin LeMar und ich entwickeln uns zu einem echt guten Team"

Interview geführt von

"Manche Alben suchen sich ihre Musiker aus." Diese Weisheit stammt nicht von mir, sondern von Mekong Delta-Chef Ralf Hubert. Entsprechend sucht sich dieses Album dann wohl auch den Zeitpunkt der Veröffentlichung aus, denn – so beschissen die Situation mit COVID-19 auch gerade sein mag – zumindest hat man nun theoretisch die Zeit, sich ausgiebig mit "Tales Of A Future Past" zu befassen.

Ralf, wie geht es dir in Zeiten von Ausgangssperren und Toilettenpapiernot?

Sehr gut. Wieso auch nicht? Ich habe anscheinend den Panikknopf bei mir noch nicht gefunden. Bislang sehe ich das alle noch relativ gelassen und wundere mich nur immer wieder über die Dummheit vieler Menschen. Ich persönlich warte ja noch auf den großen Blackout, dann wird die Sache doch erst interessant. Dann haben wir hier Zustände wie bei "Walking Dead" (lacht). Da wird man in den ersten drei Staffeln doch dezidiert drauf vorbereitet. "Contagion" ist auch so ein Film, der mir in letzter Zeit immer wieder in den Sinn kommt. Sehr empfehlenswert, sehr überraschendes Ende.

Zum Fernsehen dürftest du in letzter Zeit aber eher weniger gekommen sein, oder?

Kaum, ich hab tatsächlich jede freie Minute mit der Arbeit an "Tales Of A Future Past" verbracht. Es sind jetzt zwar schon wieder sechs Jahre her seit "In A Mirror Darkly“ aber vier davon sind mindestens für die Arbeit am neuen Album draufgegangen. Wie findest du die Scheibe denn?

Richtig geil. Und ich muss sagen: auch deutlich besser als das letzte Album.

Das ist es auch, definitiv.

Für mich klingt die Scheibe wie aus einem Guss. Abwechslungsreich wie eh und je. Zum Teil straight wie nie zuvor, aber ganz klar ein Werk, mit dem man sich tagelang auseinandersetzen kann.

Danke, das freut mich. Wir haben ja im Vorfeld schon kurz über die beiden Songs "Landscape III – Inharent" und "When All Hope Is Gone" gesprochen, die für mich so eine Art Vorstudie für mein Projekt "Into The Heart Of Darkness" sind. Martin und ich überlegen seit Jahren, wie man das umsetzen könnte und die beiden kommen meiner Vorstellung jetzt ziemlich nahe. Wir sind mittlerweile zur Überzeugung gekommen, dass dies nur auf diese Art geschehen kann. Im Falle von "Landscape III" wird die Band wie ein Orchester aufgefasst und auch so arrangiert. Bei "When All Hope Is Gone" muss die Band komplett mit dem Orchester verschmelzen.

Na, das hab ich dir doch schon immer gesagt *hust*

Ja, genau. (lacht)

Aber die vier "Landscape"-Instrumentale sind jetzt nicht durch ein Thema miteinander verbunden, oder ist mir da etwas entgangen?

Nein, sind sie nicht. Ich wollte einfach mal etwas grundlegend anders machen und das Album nicht mit einer Konzertgitarre einläuten. Und da ich eh ein großer Fan von Filmmusik bin, habe ich kurzerhand was in die Richtung komponiert. Die restlichen akustischen Gitarren auf dem Album hab ich natürlich wieder selber eingespielt, aber da wollte ich mal etwas Neues machen.

Ich finde "Landscape II – Waste Land" sehr geil, mit dem Flamenco-Thema, das später von der verzerrten Gitarre aufgegriffen wird.

Die ganze Scheibe war eine echte Herausforderung. Nicht nur in kompositorischer Sicht, sondern auch, was das Mischen anging. Allein wenn die Fagotte das Thema aufgreifen und Kontrapunkte spielen – das war verdammt harte Arbeit im Mix. Bei Komponisten wie Shostakovich hast du einfach eine Wand, da hört man solche Feinheiten kaum raus. Ich hoffe, das ist hier anders. Was auch anders ist als sonst: Die "Landscape" Stücke unterteilen das Album. Nach dem Ersten, kommen zwei Nummern, die harmonischer strukturiert sind. Nach dem Zweiten gibt es ordentlich auf die Rübe. Dann kommen die beiden bereits angesprochenen "Landscapes III – Inherent" und "When All Hope Is Gone" und "Landscape IV – Pleasant Ground" schließt das Album wieder ab. Dafür hab ich mich übrigens bei Issac Albeniz‘ "Suite Espanol" und dem Satztitel "Sevilla" bedient.

"Das kann man auf der Gitarre nicht spielen? Dann lern das Instrument."

Was war denn für dich persönlich die größte Herausforderung auf "Tales Of A Future Past"?

"Mental Entropy" war beim Einspielen für mich eine echt harte Nuss. Ich hab Wochen für die Bassspuren gebraucht. Ich hatte das ursprünglich auf der Konzertgitarre komponiert und letztendlich kam da eine Anschlagtechnik mit dem Plektron raus, wo ich mir nur dachte: wat is dat denn? (lacht)

Du hast "When All Hope Is Gone" ja bereits angesprochen. Das ist für mich das geilste Stück auf dem Album.

Finde ich auch. Vor allem, was Martin hier am Gesang leistet. Da steht für mich einmal mehr außer Frage, wer zumindest europaweit der beste Sänger ist.

Auf "Tales Of A Future Past" gefällt er mir tatsächlich deutlich besser, als auf der letzten Scheibe. Da hat er sich für meinen Geschmack mit seinem Gesang zu sehr an den Gitarren orientiert.

Da möchte ich dir gar nicht widersprechen, aber es sei ihm verziehen. Auf "In A Mirror Darkly" waren Songs drauf, die – sagen wir mal – anders kompliziert waren. Das Timing war da zum Teil höllisch und vor allem Alex (Landenburg, drums) hat tierisch geflucht. Da waren Versetzungen von 1/32 Noten dabei, da hatte Martin fast keine andere Möglichkeit, als sich an den Gitarren zu orientieren. Auf der aktuellen Scheibe habe ich sehr viel und sehr eng mit Martin gearbeitet. Wir entwickeln uns echt zu einem guten Team. Er hat ja auch einen sehr vom Orchester geprägten familiären Background und wir arbeiten echt gut zusammen. Ich hab mich bemüht, seine Wünsche und Tonlagen zu berücksichtigen, ohne dass es auf Kosten der Komplexität und des Anspruchs der Songs geht. Das ist auch einer der Hauptunterschiede zum letzten Album. Da haben andere Kriterien die Songs bestimmt und der Gesang war dann so ein bisschen kackegal (lacht).

Was natürlich am deutlichsten aus dem Album heraussticht, ist "Farewell To Eternity“. Das klingt nun so gar nicht nach Mekong Delta.

Ich war auch zuerst ein bisschen skeptisch, als ich die Idee hatte. Letztendlich gefällt mir der Songs aber richtig gut. Man darf ja nicht vergessen, dass ich Kind der Siebzigerjahre bin und "Black Betty" hat das ja 1978 schon deutlich gezeigt. Und was Yes können, kann ich schon lange (lacht). Und du glaubst gar nicht, wie entspannend das ist, die Nummer zu spielen. Keine Schweißausbrüche, man kann fast schon nebenher ein Bier trinken. Und was Martin da singt ist eh fabelhaft. Aber ich will jetzt gar nicht nur Martin über den grünen Klee loben. Alle, die an dem Album mitgearbeitet haben, haben großartiges geleistet. Die Riffs sind fast schon perfekt auf Peter zugeschnitten und was er an Soli spielt, ist außergewöhnlich. Und über Alex muss man eigentlich nichts mehr sagen. Der ist eh Weltklasse.

Lass uns nochmal zu "When All Hope Is Gone" kommen. Das ist für mich so etwas wie das Kernstück der Scheibe.

Es ist definitiv so etwas wie ein Kernstück. Martin und ich arbeiten ja sehr eng an meiner geplanten Vertonung von Joseph Conrads "Heart Of Darkness"-Roman und "Landscape III" und "When All Hope Is Gone" kommen in ihrer Ausführung dem Ganzen sehr nahe. Das Thema ist ja nach wie vor nicht vom Tisch, auch wenn ich mich damit schon ganz schön lange herumschlage. Bislang war ich immer der Meinung, dass meine Kompositionen einfach dem Thema nicht gerecht werden. Letztendlich bin ich aber darauf gekommen, dass die Klangspektren zu gering waren, obwohl ich ganze Tage allein mit dem Tüfteln an unterschiedlichen Sounds verbracht habe. Ich hatte dann viele Kompositionen bereits aussortiert, bevor mich Martin darauf gebracht hat, dass man das Orchester einfach konsequenter zusammen mit der Band einsetzen muss. Das ist kompositorisch ein verdammt hartes Stück Arbeit und auch ein Grund, warum wir besonders auf diese beiden Stücke so Stolz sind. Wir sind aber auf einem guten Weg und haben ein tolles Libretto zusammen geschrieben. Wie wir die ganzen Aspekte der Geschichte aber zusammenführen und ausarbeiten werden, ist uns immer noch nicht ganz klar (lacht). Aber die großen, klassischen Werke sind ja ebenfalls alle über Jahre hinweg entstanden.

Und du arbeitest da maßgeblich mit Martin zusammen?

Ja, bietet sich ja an. Da unglaublich viel über den Gesang transportiert werden muss. Er bekommt von mir die Songideen als Skizze und überlegt sich, wie man den Gesang am besten setzen kann. Der Austausch zwischen uns ist wirklich produktiv. Ich versuch das auch ein wenig an seine Vorstellungen anzupassen, ohne dass es zu glatt wird. Es darf gerne glatt klingen, aber ich hab so meine Methoden gefunden, dass es zwar so klingt, aber unter der Oberfläche ziemlich schräg ist.

Das ist aber doch eine neue Herangehensweise für dich, oder?

Eigentlich nicht. Speziell mit den Sängern habe ich weitgehend immer so gearbeitet. Mit Martin ist das nur ein wenig ausführlicher und enger geworden. Was bei "Heart Of Darkness" erstmals soweit gehen wird, dass er auch Einfluss auf die Songs nehmen kann. Das ist dann tatsächlich was Neues. Wenn er der Meinung ist, dass etwas gesangstechnisch so nicht funktioniert, nehme ich darauf Rücksicht. Wenn bisher jemand zu mir sowas sagte wie: 'Das kann man auf der Gitarre nicht spielen', hab ich immer nur gesagt: 'Dann lern das Instrument' (lacht). In den Fällen konnte ich immer widersprechen, weil ich denen das auf der Konzertgitarre sogar vorspielen konnte. Beim Gesang hab ich da eher schlechte Karten.

Was ebenfalls eher eine Ausnahme ist: Martin hat zu "When All Hope Is Gone" den Text geschrieben.

Richtig. Und ich finde den sehr geil. Er hat den Text an einem Nachmittag geschrieben und eine tolle Parabel verfasst. Die Idee dazu kam ihm während er den Pilotgesang für die Nummer aufgenommen hat. Er hat da einfach ein wenig mit Worten improvisiert und letztendlich diesen genialen Text aus dem Ärmel geschüttelt. Es geht um einen Planeten, der das Ende seiner Zeit erreicht hat und in ein schwarzes Loch gezogen wird. Der Text behandelt gleichzeitig seine Einzigartigkeit und seine Bedeutungslosigkeit. Das lässt sich als Parabel sehr gut auf uns selbst beziehen. Ich bin immer noch begeistert davon. Auch, wie es sich in den Song einfügt.

"Der Politiker ist nicht an sich dumm. Er hat nur sehr viel Pech beim Denken"

Eine Sache, die mich gleich am Anfang überrascht hat: "Mental Entropy" hat wohl den eingängigsten Chorus, den ich je von dir gehört habe.

Ja, da magst du recht haben. Aber den wollte ich genauso machen, weil er sich aus vier Akkorden zusammensetzt, die vorher verteilt sind. Ein kleiner musikalischer Kunstgriff. Mir haben die Akkorde so gut gefallen. Und Martin hat da schon so einen überzeugenden Pilotgesang abgeliefert, dass ich die einfach so gelassen, und nur den Bass kompliziert gemacht hab. Der Chorus ist dadurch unglaublich eingängig geworden, aber ich mag das. Auch bei "Hollow Men" sind ein paar unglaublich geile Gesangsmelodien drin. Vor allem die Chöre gefallen mir sehr gut. Aber so eingängig hab ich bisher noch nie komponiert, da hast du recht.

Eben, noch straighter und simpler ist nur noch "A Farewell To Eternity“.

Jein, vertu dich mit dem simpel da mal nicht. Ich war ja schon immer ein großer Fan von Yes und auch der alten Genesis und die haben beide immer gern mit akustischen Sachen gearbeitet. Und das war bei mir dann auch der Antrieb, dass ich sowas auch machen wollte. Das kam dann einfach dabei heraus.

Hast du solche Nummern schon früher geschrieben und dann einfach in die Schublade gelegt?

Ja klar. Mein Hauptinstrument ist ja die klassische Gitarre. Bass spiel ich ja nur so nebenbei. Für Konzertgitarre hab ich tatsächlich tonnenweise Material, das man verwerten könnte. Ich experimentiere vor allem mit der Konzertgitarre sehr viel und sehr gerne. Nicht nur was Spielweisen angeht, sondern auch Soundmodulatoren. Es gibt auch ein Projekt namens Der Barde, das ich schon lange angehen wollte, das dann aus Konzertgitarre, Bass, Drums und Sängerin bestehen wird. Allerdings wird die Konzertgitarre eher Metal spielen (lacht).

Mekong Delta wird ja immer als technischer Thrash Metal bezeichnet. Wie glücklich bist du mit der Bezeichnung?

Ach, Schubladendenken war noch nie meins. Es ist einfach, was es ist: Musik. Du hast ja selbst schon die zwei krassen Gegenpole erwähnt und die funktionieren eben alle bei Mekong Delta. Wie und wo es die Leute einordnen, ist mir egal. Man mag die Musik oder eben nicht.

Auf den Fotos hab ich ja zuerst gedacht, dass das Erik an der Gitarre ist und nicht Peter.

Nein, das ist Peter. Allerdings kein wirklich aktuelles Foto. Wir hatten das Problem, dass es von mir und auch Alex fast nur Live-Bilder gibt. Also mussten wir von Martin und Peter eben auch Livebilder nehmen. Und bei Peter mussten wir eben ein bisschen tricksen.

Wie sieht es denn mit Proberaumkonzerten bei euch aus? Müssen ja nicht alle im selben Proberaum sitzen.

Da haben wir so gar nix auf dem Schirm. Zum einen müsste man erst mal alle Beteiligten überhaupt lokalisieren (lacht). Ich hab keine Ahnung, wo sich der Alex aktuell rumtreibt. Und zum anderen muss ich ganz ehrlich zugeben, dass ich mich nach wie vor noch vom Einspielen und Abmischen des Albums erhole. Das waren vier Jahre harte Arbeit. Es ist ja nicht so, dass ich mir nach dem letzten Album einfach die Nüsse geschaukelt hätte. Ich hab vor vier Jahren mit dem Album angefangen und allein die Produktion hat ein Jahr gedauert, Wochenendarbeit eingeschlossen. Da kommen ja immer noch zusätzliche Arbeiten dazu. Alex wollte beispielsweise auch erst neulich wieder die Playbacks ohne Drums, um das für seine Videos und Livesachen zu nutzen. Da bemühe ich mich immer, das zeitnah zu liefern, aber das braucht alles Zeit.

Also keine Stream Konzerte von Mekong Delta?

Eher nicht. Aber wir haben einige Angebote für Liveshows bekommen, von denen wir wohl ein paar annehmen werden. Vorausgesetzt, diese Möglichkeiten bestehen nach Corona noch. Das hing bislang immer sehr von Alex ab, da der ja dauernd beschäftigt ist. Aber er hat auch Bock drauf, also harren wir mal der Dinge die da kommen.

Wollen wir zum Schluss Corona noch kurz zum Thema machen?

Hmpf, mir egal. Mich kümmert das nicht so wirklich, auch wenn ich mich natürlich an die Auflagen halte. Aber ich bin jemand, der immer gern schaut, was NICHT in den breiten Medien steht. Aktuell scheint es ja NUR Corona zu geben. Dummerweise neigen Regierungen ja dazu, immer dann irgendwelche Gesetzt zu erlassen, wenn alle gerade nicht hinschauen. Ich hab nur bislang noch keine plausible Erklärung dafür gefunden oder gehört, was Sinn und Zweck davon ist, das ganze Finanzsystem zu runterzufahren, dass ein Großteil der Bevölkerung um die Existenz bangen muss. Abgesehen von Corona, meine ich, denn die Pandemie nehme ich durchaus ernst. Aber wie die Politik drauf reagiert, ist wieder ne andere Sache. Wie sagte Alfred Teztlaff aus "Ein Herz Und Eine Seele" einst so schön: 'Der Politiker ist nicht an sich dumm. Er hat nur sehr viel Pech beim Denken.'

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