laut.de-Kritik
Dieser jungen Dame steht eine große Karriere bevor.
Review von Kai KoppReife ist, was einem in den Sinn kommt, und man mag es kaum glauben, dass die kanadische Sängerin erst 24 Jahre alt und "Campher & Copper" ihr erstes Album ist. Wohin soll das führen, wenn Frau die Hörenden bereits beim ersten Streich so umhaut?
Kurz vor der Veröffentlichung von "Camphor & Copper" herrscht zum Suchbegriff Mélissa Laveaux gähnende Leere im Internet. An erster Stelle taucht ihre MySpace-Seite auf. Der zweite Link verweist auf Meshell Ndegeocello, mit der sie sich die Bühne des Pariser Festivals Banlieues Bleues teilt. Überhaupt eine Recherche zu starten, hat aber vor allem einen Grund: ihre gnadenlos gute Musik.
Die erinnert manchmal an Asa, India Arie oder Kaye-Ree - und klingt doch zu jeder Zeit zutiefst eigenständig. Alle Querverweise sind gleichzeitig richtig und unwahr. Dem Auftrag, eine neue Stimme musikalisch einsortieren zu können, werden sie zwar gerecht.
Doch Mélissa Laveaux bewegt sich mit "Camphor & Copper" zu eigenwillig und weit ab von allen musikalischen Zwängen, um sich so einfach kategorisieren zu lassen. Das liegt vor allem daran, dass sie in den prachtvollsten Momenten klingt, als habe sie sich das Gitarrespielen selbst beigebracht.
Sie rupft so dermaßen unkonventionell an den Saiten und bearbeitet den Klangkörper Gitarre auf so unerhörte Art als Rhythmusinstrument, dass sich dieser Gedanke geradezu aufdrängt. Als "ihr rhythmusbetontes Fingerpicking an der Akustikgitarre" wird das im Promo-Beipackzettel beschrieben, das "eigenwillig anders" sei. Genau so ist es!
Rhythmusbetontes Picking, Akustikgitarre und Gesang im Singer/Songwriter-Gewand. Damit ist der musikalische Kosmos der Kanadierin zwar hinlänglich beschrieben. Die packende Schönheit ihrer Songs jedoch keineswegs.
"Minimalistische Arrangements bilden das perfekte Sound-Setting für die poetische Kraft ihrer Songtexte", klärt deshalb der Promoter auf. Weil er so recht hat damit, sei er hier wortgetreu zitiert.
Minimalistisch bedeutet in Laveauxs Fall nicht, auf Einlullung und Trance setzend repetitiv, sondern in höchstem Maße abwechslungsreich. Nur eben ohne Materialschlacht oder Orchester. Effektiv nennt man das - oder reduced to the max.
Gitarre, Stimme und ein wenig Perkussion reichen Laveaux, um aus wenigen Noten einen großartigen Song zu zaubern. Es kommt eben nicht darauf an, das Rad neu zu erfinden, sondern es in eine ästhetische Form zu schweißen.
Ihr Rundling besteht aus zehn handgemachten und zwei adaptierten Speichen. Als einzige Cover schmuggeln sich "Needle In The Hay", aus der Feder der Folkpunk-Ikone Elliott Smith, und das bitterböse "I Want To Be Evil" der erst kürzlich verstorbenen Eartha Kitt ins selbstverfasste Repertoire. Konsequent in der Gestaltung des eigenen Ausdrucks presst die Newcomerin diesen Fremdtiteln gekonnt den Laveaux'schen Stempel auf.
Dieser zeichnet sich nicht nur durch bockig-rücksichtsloses Gitarrenspiel aus. Die betörende Stimme tut ein Übriges, um "Campher & Copper" rückhaltlos zu lieben. Mal lasziv und verführerisch, mal sensibel und tiefgründig, mal trotzig, stolz und ungehorsam spielt Laveaux mit ihrem stimmlichen Ausdruck, als wäre es die leichteste Übung dieser Welt.
Ist es aber nicht! Selbst in einem bunt blühenden Singer/Songwriter-Stimmengarten findet sich die Blüte eines solch breiten Ausdrucksrepertoires nur selten. Je nachdem, welchem Song sich Mélissa gerade widmet, wechselt sie zwischen den Sprachen ihrer Kindheit: Englisch, Kreolisch und Französisch.
Für den gesunden Nährboden, auf dem sich die Schönheit ihrer Lieder entfaltet, sorgen Trommeln, Gitarre und Stimme. Auch die Gastinstrumente Melodika ("Chère Trahison"), Kontrabass ("Koudlo") und Bläser ("I Want To Be Evil") genießen dieses Umfeld deutlich hörbar.
All das bündelt die Ausnahmekünstlerin auf "Campher & Copper" zu einem inspirierten und aussagekräftigen Erstling. Mélissa Michelle Marjolec Laveaux, so ihr vollständiger Name, steht eine große künstlerische Karriere bevor, soviel sei prophezeit.
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