laut.de-Kritik
John Lydon würde das mögen.
Review von Franz MauererMesser haben es einem auf "Jalousie" (2016) und "No Future Days" (2020) leicht gemacht, ihre zunehmende Verkopfung zu kritisieren. Warum können die nicht einfach noch mal einen Song wie "Abel Nema" machen? Mit allem Zack und der ihnen eigenen Kehligkeit?
Denn wirklich gut waren die beiden letzten Alben nicht, künstlerisch wertvoll auch nur vielleicht. Denn im Vergleich zum Debüt und dem Zweitwerk verloren Messer nicht nur kommerziell, sondern auch künstlerisch ihre Vorreiterrolle, daran änderten Otrembas "Riskantes Manöver" ebenso wenig wie Pogos Nebenprojekt Seoi Nage. Am besten waren Messer zuletzt auf "No Future Dubs" als Remix-Objekt. Nicht die einfachsten Voraussetzungen also für "Kratermusik".
"Frieden Finden" ist zwar schwer, macht es einem aber unglaublich einfach, sich sofort in diese Mondmusik hineinzuschunkeln. Fast schon versöhnend sind alle Eigenarten von Messer sofort superpräsent, ohne aufdringlich zu sein. Otremba gibt den Rhythmus vor, Ottenhus errichtet den Song auf dem Groove, Milek tänzelt mit der Gitarre, Wulf verpasst im richtigen Moment Druck. Alles klingt Messer-scharf und unverkennbar. Und trotzdem hat die Evolution die Band endlich an eine Stelle geführt, an der sie gerne verharren darf oder von der weitere Schritte leichter fallen sollten: Post-Punk-Funk mit einem Gefühl für die Masse, Lydon würde das sehr mögen, und recht hat er.
"Schweinelobby (Der Defätist)" ist nicht nur ein Scheißtitel, sondern beginnt genau so verkopft, wie man die Band in Erinnerung hatte. Doch auch hier finden Messer den Swag, und das nicht nur durch die Bläser, sondern - wie im Opener auch - durch eine überraschend eindringliche Dosis Elektronik. "Der Atem" holt denselben und ist eher ein atmosphärisches Zwischenstück, legt aber Zeugnis davon ab, wie Otremba als Texter (wieder) überzeugt.
Meist abstrakt gehalten, muss man die einzelnen Referenzen auseinanderklamüsern, fühlt sich von der dissoziativen Stimmung stets mitgenommen und sprachkundig unterhalten. Dass er wie in "Spiegel" immer wieder Topi der ersten Alben aufnimmt, wirkt wie die Weizen-trinkende Mutter bei Bushido eher authentisch als einfallslos. "Oswalth (1 2 3 4)" klingt nicht besonders innovativ, dafür aber überaus vielschichtig wie fast alle Songs auf diesem Album.
Die Zeiten des skelettierten "Staub" sind vorbei, statt einsam durch die Straßen zu laufen, bewegen sich Messer im Spannungsfeld zwischen Tanzen und rauchend in der Ecke der Kneipe sitzend ("Flimmern"). Beeindruckend, wie sehr alle vier Musiker ihre Rolle finden und diese auch ausreizen, besonders Bass und Gitarre faszinieren oft.
Auf "Kratermusik" durften ansonsten nur Freunde und Familie ran, sei es Pola von Dews auf "Im Falschen Traum", Wulfs scheinbar brillante Eltern mit ihren Blasinstrumenten unter anderem auf "Kerzenrauchers Letzte Nacht", auf dem sich besagte Bläser und Elektronik erneut perfekt vermählen. Zu diesem Track stolpert man aus der Hafenbar Tegel und segelt besoffen mit dem Kutter nach Hamburg, weniger Münster geht kaum.
Die Single "Taucher (Für Smukal)" ist dann ein denkbar seltsames Aushängeschild für dieses Album, lebt es doch fast nur von Mileks exzellenter Gitarrenarbeit und findet die Struktur, die den größten Rest des Albums auszeichnet, nicht. Auch Bruder Dominik Otremba verhindert nicht, dass "Eaten Alive" für einen so schrillen Song zu geradlinig und zu nervig ausfällt. Mille Petrozza hat seine vielen Stärken, den Schaueronkel auf "Grabeland" zu geben, gehört nicht dazu. Joachim Büchners Rolle auf dem faden "Am Ende Einer Groszen Verwirrung" erschließt sich ebenso wenig.
Derlei Makel täuscht aber nicht darüber hinweg, dass Messer "Kratermusik" zu alter Form in neuem Gewand auflaufen. "Im Falschen Traum" bringt so keine andere deutsche Band. Und Messer könnten diesen Song sogar noch besser machen. "Kratermusik" könnte ein Schritt auf dem Weg sein, die deutschen Parquet Courts zu werden. Messer hätten das Zeug dazu.
2 Kommentare
Hab das Album noch nicht so richtig gehört, aber der Artikel startet schon einmal mit einer handfesten Provokation: Jalosie ist eins der tollsten deutschsprachigen Alben der Zehner (wenn man nach der ersten Hälfte mit dem Zuhören aufhört).
Ich mag Messer, insbesondere die beiden ersten Alben waren Volltreffer. So richtig falsch machen können die nicht; aber auch richtig gut war es zuletzt nicht.