laut.de-Kritik
Kino-Zauber mit Plastikgeschmack im Abgang.
Review von Yannik GölzDer Filmsoundtrack hat seine ganz eigene Dynamik in der Rapkultur entwickelt – und ich behaupte, dass 90% davon auf den Erfolg von "Space Jam" zurückgeht. Nicht nur, weil dieses Meisterwerk Bugs Bunny neben Method Man und Busta Rhymes gestellt hat, sondern weil es eine Idee in unsere Köpfe gesetzt hat. Die Fantasie vom großen Megastar-Rapper als Held für die Kids in einem großen Blockbuster. In jüngerer Vergangenheit gab es wieder Aufwind für diese Idee, und der Erfolg von Kendrick Lamars "Black Panther"-Extravaganza und dem ersten Soundtrack für "Into the Spiderverse" tragen zum Gedeihen des Hip Hop-Hollywood-Crossovers bei.
Nun segelte der erste Spiderman-Soundtrack vor allem unter der Stärke seines zugehörigen Films und des unerwartet mega-erfolgreichen Duetts "Sunflower" von Post Malone und Swae Lee. Die Macherinnen und Macher rechneten wahrscheinlich mit Erfolg, aber nicht mit Diamant-Single-Status-Erfolg. Entsprechend groß sind die Schuhe, die es zu füllen gilt, und entsprechend ambitioniert musste auch das Budget für diesen Soundtrack ausgefallen sein. Damit nichts schief geht, legen die Execs die Verantwortung diesmal auf den Everybody's Darling von Magic City: Super-Produzent Metro Boomin darf sich an einem kohärenten Story-Album versuchen. Und auch, wenn das bisweilen gelingt, dient er dabei unbewusst als Test dafür, wer in der höchsten Liga des modernen Rap anerkannt ist.
"Spiderverse" ist eine beeindruckende Leistung in Kohärenz. Nicht nur, weil Metro Boomin und seine Kollaborateurinnen und Kollaborateure einen wirklich sehr cineastischen Flow durchziehen und er wirklich dankbar seinem inneren Hans Zimmer in die Karten spielt. Auch, dass er es geschafft hat, dieses gute Dutzend MCs irgendwie in Zaum zu halten. Nahezu ein bisschen zu sehr: Gab es im Soundtrack zu Teil eins noch wenig Spuren von Superhelden, verrennt sich hier quasi jeder Artist darin, seine besten Spiderman-Bars auszupacken.
Leider nimmt Lil Wayne auf dem ersten Verse der Platte schon alle guten Spinnen-Wortspiele voraus, so dass man textlich danach ein bisschen auf der Stelle tritt. Manch einer versucht sich an Storytelling, zum Beispiel A$AP Rocky und Nas, manch einer wählt einen anderen Zugang, zum Beispiel Coi Lerays erschreckend nach Plastik klingender Selbstbewusstseins-Appell "Self Love". Und dann? Dann haben wir einen Haufen Rapper in Abend-Garderobe auf der Jagd nach einem Platz auf dem roten Teppich.
A$AP Rocky kommt gut auf "Am I Dreaming", Don Toliver und Nav machen ihr Ding via Sound, und dass Swae Lee und Offset nach einer ganzen Weile mal wieder wirklich ein-zwei tolle Performances raushauen, freut wirklich für die beiden. "Spider" ist wahrscheinlich mit der beste Song hier, unerwartet eher via Offset als über einen recht generischen J.I.D.. Die ersten vier Songs bringen Ideen von Metro Boomin, Mike Dean und Honourable C-Note passend zusammen, bevor das Projekt zu generischem Label-Sampler verfällt.
Nirgends fällt das leider mehr auf als bei den größten Namen der Tracklist: Future, Lil Uzi und besonders 21 Savage machen spürbar geistlose Auftragsarbeit und wechseln zwischen langweiligem Netz-Geschieße und Lovesong-Fragmenten, die so glatt und corporate klingen, dass man fast vergisst, wie wild die drei in die Szene gestartet sind. Das sind die schwächsten Momente für "Spiderverse": Die Songs, bei denen man merkt, dass kein Feuer dahintersteht, sondern reine Professionalität.
Aber irgendwie ist es eine Diagnose, die sich auf viele Aspekte dieses Albums anwenden lässt. Nicht, dass Hip Hop in den letzten ... zwei Jahrzehnten irgendwo noch einen legitimen Anspruch auf Kommerz-Kritik gehabt hätte, aber trotzdem hat er sich selten so sehr Branding-förmig angefühlt. Hier trifft die Marke Metro Boomin auf ein kreatives Eigentum von Disney und nutzt die Marke 21 Savage, die Marke Lil Wayne, die Marke Future. Es ist ein Zusammenflechten von kreativem Eigentum. Kurzweiligkeit ist das einzige Ziel, aber wenn man von den Pfaden der inspirierten Arbeit abkommt, bleibt vor allem Stangenware. Nirgends sieht man diese Methode mehr als in der für den internationalen Markt ausgelegten Deluxe-Version, in der man neue Label-Hoffnungen wie Big Boss Vette gegen irgendwelche Dembow-Beats platziert.
Wie man das Ganze bewertet, ist dementsprechend gar nicht so leicht zu sagen. Der "Hip Hop hat's geschafft"-Moment von "Space Jam" reproduziert sich auf "Spiderverse" nicht mehr, nicht einmal der Radio-Lucky Punch von "Sunflower". Es ist Qualität, mit viel Geld gekauft. Vor allem hintenraus versandet es in einem kalkulierten: Da kommt dann ein MC und wird kurz dafür bezahlt, wie er selbst zu klingen. All das Kino-Wunder und der atmosphärische Synth-Feenstaub bewahren nicht davor, den unangenehm zynischen Plastik-Geschmack des Marvel Cinematic Universes im Abgang zu schmecken.
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