16. April 2012

"Ich vermisse Genügsamkeit"

Interview geführt von

Mit seinem Debütalbum "Home Again" eroberte der Londoner Michael Kiwanuka die Herzen der Retro-Soul-Jünger. Selten zuvor transportierte ein Künstler die mittlerweile vierzig Jahre zurückliegende Glanzzeit des Genres dermaßen authentisch und gereift in die Neuzeit wie der bescheidene Barde aus London.Da schmilzt sogar die britische Journaille dahin und hievt den jungen Emporkömmling doch mal eben so auf die Pole Position der BBC Soundlist 2012. Mit derart prallen Vorschusslorbeeren bedachte Künstler obliegen natürlich einem besonderen Augenmerk, und so wird der smarte Brite bereits seit Monaten von Pontius zu Pilatus geschickt, um sein Schaffen zu promoten.

Während seines Halts in Berlin treffen wir uns mit dem aufstrebenden Gesangstalent zum Gespräch. Zurückhaltend und bescheiden präsentiert sich Michael Kiwanuka und bedankt sich gar bei uns für das Interesse an einer Unterhaltung mit ihm. Normalerweise läuft der Hase andersrum, aber genau diese Menschlichkeit macht den Briten momentan zu einem der sympathischsten und angenehmsten Plauderpartner im Business.

Hi Michael, ganz schön was los, oder?

Michael: Oh ja, die letzten Wochen waren echt hart, aber ich will mich nicht beschweren.

Im letzten Jahr sorgte ja bereits deine Debüt-EP "Tell Me A Tale" für einiges Aufsehen. War diese Phase hilfreich für dich, in Anbetracht des Rummels, der mit der Veröffentlichung deines Albums plötzlich einsetzte?

Michael: Ich denke schon, auch wenn man die Ausmaße beider Perioden nicht wirklich miteinander vergleichen kann. Als die EP rauskam und mein Name erstmals in Umlauf kam, war vieles noch ziemlich übersichtlich. Heute bin ich froh, dass ich stets jemanden an meiner Seite habe, der mir sagt, wo es als nächstes hingeht (lacht). Es ist schon verrückt.

Und Schuld an dem ganzen Rummel hat vor allem Otis Redding, richtig?

Michael: Ja, definitiv. Ohne Otis würde ich wahrscheinlich heute hier nicht sitzen. Ich weiß gar nicht mehr genau, wie alt ich damals war, ich glaube vierzehn oder fünfzehn. Jedenfalls spielte ich Gitarre in Rockbands und stand auf Nirvana und den ganzen Kram. Als ich dann das erste Mal "The Dock Of The Bay" von Otis Redding hörte, war es um mich geschehen. Seit diesem Tag bestimmt der Soul mein Leben.

Ein Sound, der vor vierzig Jahren seine Glanzzeiten erlebte und seit einiger Zeit einen unglaublichen zweiten Frühling erlebt. Wie erklärst du dir das?

Michael: Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung. Ich hätte nie gedacht, dass meine Musik wirklich etwas für die breite Masse sein könnte. Vielleicht ist es einfach so, dass die Leute sich hin und wieder nach Musik sehnen, die Bestand hat, nachhaltig wirkt und auch nach Jahrzehnten noch denselben Vibe versprüht. Es geht beim Soul nicht darum, ständig das nächste technisch mögliche Level zu erreichen, um alles noch fetter, noch verrückter und noch innovativer zu gestalten.

Es geht um Gefühl, nur darum. Da braucht man manchmal nicht mehr, als eine Gitarre, eine Stimme und den Zugang zum Herzen des Genres. Vielleicht wollen die Leute einfach wieder mehr Gefühl. Ich weiß es echt nicht. Ich war selbst am meisten überrascht, als ich merkte, welch große Aufmerksamkeit mir plötzlich zuteil wurde. Ich meine, es gibt ja auch einige ziemlich lange Saxophon- und Orgel-Soli auf meinem Album; nichts, was man auf den ersten Blick mit der Neuzeit in Verbindung bringen würde. Aber gut, wenn es den Leuten gefällt, freut es mich natürlich.

Ich vermisse Genügsamkeit

Manchmal ist weniger halt mehr. Die The Black Keys lassen auch lieber mal etwas weg, anstatt produktionstechnisch zu klotzen. Du hast zusammen mit Dan Auerbach den Song "Lasan" aufgenommen. Wie war's?

Michael: Es war toll, eine schöne Erfahrung. Leider ging alles ziemlich schnell. Wir trafen uns im Studio, und nach nicht mal einem halben Nachmittag war der Song bereits im Kasten. Ich hätte gerne noch weiter mit Dan gejamt. Aber letztlich bin ich dankbar, dass es überhaupt zu einer Kollaboration kam. Auch wenn es nur kurz war, habe ich viel gelernt während der Arbeit mit ihm. Ich meine, stell dir vor, die Jungs hatten abends noch eine Show zu spielen, und Dan hat wenige Stunden zuvor nichts Besseres zu tun, als mit mir einen Song aufzunehmen (lacht).

Wie kam denn der Kontakt überhaupt zustande?

Michael: Das lief alles über die beiden Managements. Dan hatte sich letztes Jahr meine EP angehört und war wohl ziemlich angetan. So kam irgendwie alles ins Rollen.

Der ganze Album-Prozess begann bereits vor gut zwei Jahren. Was war letztlich die größte Hürde, die dazu führte, dass "Home Again" nicht schon wesentlich früher fertig wurde?

Michael: Es hatte weniger mit dem Inhalt zu tun, sondern mehr mit dem ganzen Drumherum, das sich entwickelt, wenn ein Major-Label ein Debütalbum angeht. Da sind viele Leute involviert und ein großer Apparat steckt dahinter. Aber das war völlig in Ordnung, denn ich wollte natürlich auch, dass das Gesamtpaket schlussendlich auf stabilen Füßen steht.

Du sprichst häufig vom Finden des inneren Friedens wenn du beschreiben willst, worum es in deinen Texten geht. Was meinst du damit genau?

Michael: Ich glaube einfach, dass viele gesellschaftliche Probleme gelöst werden könnten, wenn die Menschen mit sich selbst im Reinen wären. Ich vermisse einfach Genügsamkeit. Darum geht es mir auf "Home Again".

Bist du zufrieden mit dir selbst?

Michael: Ja, ich denke schon. Natürlich gibt es Dinge, die man noch verbessern kann (lacht), aber grundlegend bin ich ein glücklicher Mensch.

Inwieweit hat der Erfolg mit deinem derzeitigen Gemütszustand zu tun?

Michael: Musikmachen ist der Schlüssel. Das Ganze, was nebenbei passiert, nehme ich eigentlich nur sekundär wahr, auch wenn ich mich momentan mit kaum etwas anderem beschäftige, als dem Rummel Futter zu geben (lacht). Aber so ist das halt. Letztlich freue ich mich ja auch über den Erfolg, keine Frage. Aber ich bin eigentlich kein Mensch für rote Teppiche, große TV-Auftritte oder groß inszenierte Autogrammstunden. Ich bin eher ein zurückhaltender Typ, der großes Aufsehen eher meidet, was mir in den letzten Monaten allerdings nicht immer gelingt.

Als ich anfing, habe ich mich erst gar nicht getraut selber zu singen, sondern meine Songs lieber anderen angeboten. Bis ich mich überwand meine Stimme zu nutzen und sie als vollwertiges Instrument zu akzeptieren, ist viel Zeit vergangen. Damit will ich einfach nur sagen, dass ich kein Rampenlicht benötige, um glücklich zu sein. Ich will einfach nur Musik machen, sonst nichts.

"Deutschland hat ein tolles Team"

Fühlst du dich ein bisschen eingeengt?

Michael: Man muss natürlich aufpassen, dass man das Wesentliche nicht aus den Augen verliert. Ich meine, ich bin Musiker, und nur das zählt für mich. Wenn du, wie ich, allerdings bei einem großen Label unter Vertrag stehst, dann geht es im Hintergrund aber auch um viele andere Dinge. Das ist auch völlig ok, aber es vereinnahmt auch ein Stück weit. Ich vermisse ein bisschen die Zeiten, in denen ich mir einfach meine Gitarre genommen und drauf losgespielt habe, wann immer ich wollte. Diese Freiheit habe ich momentan nicht.

Der Preis des Erfolgs?

Michael: Ja schon, aber so ist es halt. Das geht schon in Ordnung. Manchmal nehme ich mir auch einfach die Zeit, die ich brauche. Letztlich passt schon alles ziemlich gut. Ich bin wirklich froh, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die mich außerhalb der Musik zwar vor viele Herausforderungen stellen, aber immer auch präsent sind, wenn es darum geht, mir etwas Luft zu verschaffen. Aber wie gesagt, ich bin dankbar für alles, was ich gerade erleben darf. Die Tour mit Adele, das Arbeiten mit Dan Auerbach, mein Debütalbum in den Händen zu halten: Das sind alles wunderbare Sachen.

Gibt es etwas, was bei allen Ereignissen der letzten Monate dennoch irgendwie über allem thront?

Michael: Das ist wirklich schwer, denn es ist so immens viel passiert. Als ich das erste Mal mein Album in den Händen hielt, das war ein unbeschreibliches Gefühl. Aber auch die Jools Holland Show war unglaublich. Ich verfolge die Show schon seit Jahren. Ich hätte nie im Traum daran gedacht, irgendwann einmal selbst dort aufzutreten.

Neben dem Musizieren begeisterst du dich auch für das Spiel mit dem runden Leder, stimmt's?

Michael: Ja, ich bin leidenschaftlicher Fußball-Fan. Leider schaffe ich es momentan nur noch selten, selbst ins Stadion zu gehen. Aber wenn es sich irgendwie machen lässt, finde ich mich gerne an der White Hard Lane ein und schau mir ein Spiel der "Spurs" an.

Die EM steht vor der Tür. Was glaubst du, welche beiden Teams schaffen es ins Finale?

Michael: Das ist echt schwierig. Spanien hat definitiv die besten Einzelspieler, aber auch Deutschland hat sich in den letzten Jahren zu einem tollen Team entwickelt. Ich würde mich nicht wundern, wenn es diese beiden Mannschaften letztlich unter sich ausmachen.

Was ist mit England?

Michael: Wir sollten froh sein, wenn wir die Vorrunde überstehen. Aber das darfst du in England natürlich nicht laut aussprechen (lacht). Da wären wir wieder beim Thema Genügsamkeit (grinst).

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