laut.de-Kritik

Der Underground-Veteran beißt sich an Serge Gainsbourg fest.

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Harvey goes Gainsbourg, die Vierte. Sehr wahrscheinlich ist es der Abschluss einer Beziehung, die nun schon über zwanzig Jahre andauert und damit die gesamte Solo-Karriere des Birthday Party-Gründers, seit er die Nabelschnur zu Nick Caves Bad Seeds kappte. "Intoxicated Women" stellt Serge Gainsbourg nun in dessen überaus produktiver Phase der 60er vor, in der er seinen Musen Songs auf den Leib schrieb und ihnen auf diese Weise oft zu eher zweifelhaftem Ruhm verhalf.

Ein Lied davon singen kann die damals noch minderjährige France Gall, die in "Les Sucettes" dem Irrglauben nachlief, sie trällere ein harmloses Kinderlied daher und nicht die Anleitung zum beglückenden Oral-Verkehr. Der Rest ist Pop-Geschichte. Ein wenig schade, dass Harvey das übersetzte "All Day Suckers" nun im Alleingang intoniert, lässt die Version doch jene Schadenfreude vermissen, die dem französischen Enfant terrible im dazugehörigen Video und auch während Live-Auftritten deutlich ins schurkenhafte Antlitz geschrieben steht.

Andernorts beweist der Australier durchweg guten Geschmack in der Wahl seiner Gesangspartnerinnen. Ob Andrea Schroeder, Channthy Kak von Combodian Space Project, Xanthe Wait, Sophie Brous, Lyndelle-Jayne Spruyt oder Jess Ribeiro, sie alle machen eine hervorragende Figur an der Seite des Musikers. Als einziger Herr in der Runde übernimmt Harvey-Sprössling Solomon den Part Galls im unbekannten "Baby Teeth, Wolfy Teeth".

Mut zur Peinlichkeit beweist Harvey gleich mit seinem Einsteiger "Ich Liebe Dich...(Ich Dich Auch Nicht)", das er in dirty deutschem Sprechgesang mit der Gothic-Knef Andrea Schroeder vorstöhnt. Schroeder, als deutlich reifere, verrauchte Jane Birkin-Version, erweist sich als ideale Wahl für den ebenfalls im Vergleich zum exzentrischen Franzosen zurückhaltenden Harvey. Der hölzerne Vortrag verleiht der Übersetzung dabei nur noch größeren Charme und weckt mit seinen erotisierten Naturbildern Lust auf den nächsten Karibik-Urlaub: "Wie eine Welle, noch ungebrochen / Ich geh und komme tief rein / Und dann halt ich ein".

Wie schon beim Vorgänger "Delirium Tremens" versucht Harvey gar nicht erst den Rumpelstilzchen-Charme des polarisierenden Popstars Gainsbourg zu imitieren. Stattdessen versieht er jeden der Songs mit dem ihm ganz eigenen distinguierten Charisma eines gestandenen Underground-Veterans, dessen jahrelange Erfahrung als genialer musikalischer Vorlagen-Geber ihm hier zugutekommen. Die stärksten Momente von "Intoxicated Women" finden sich stets dort, wo Harvey den Schritt zur Seite geht und seiner talentierten Riege an Sängerinnen den nötigen Raum zur Entfaltung zugesteht.

Wie gut die Harmonie zwischen den Musikern funktioniert, zeigt das träumerische "Prèvert's Song", das Gainsbourg einst alleine sang. Das Lied, das die durch einen Jacques Prevert-Song wachgerufene Erinnerung an eine Liebe besingt, gerät durch Ribeiros zarten Vortrag zum intensiven Hörerlebnis. Den Höhepunkt aber stellt erstaunlicherweise kein Duett dar. Das epische "Cargo Cult" beschloss seinerzeit das konzeptionelle Meisterwerk "Histoire de Melody Nelson". Beinahe fünf Jahrzehnte später ragt die Liebesgeschichte zwischen seinem Erzähler und der 15-jährigen Melody Nelson, die er im Zuge eines Flugzeugabsturzes verliert, noch immer monolithisch aus dem Schaffen Gainsbourgs heraus.

Wenig verwunderlich daher, dass auch Harvey sich der mythischen Erzählung um den papuanischen Cargo-Kult annimmt, dem sich der desillusionierte Erzähler schließlich in vergeblicher Erwartung auf ein Wunder des Himmels anschließt: "I, like them, I called to the night-cargo planes / And I hold on to that hope of an aviation disaster that will bring Melody back again." Doch statt des erhofften Wiedersehens verschwindet die mysteriöse Szenerie hinter der Nebelwand, die das finale Crescendo aus Schlagzeug, Gitarren und Chorgesang heraufbeschwört.

Es bleibt verblüffend, mit welcher Konsequenz und Gewandheit Serge Gainsbourg von Stil zu Stil hüpfte, um in jedem neuen Genre die gleiche Könnerschaft unter Beweis zu stellen. Harvey wiederum gebührt für sein kühnes Unterfangen, die französischen Lyrics unfallfrei ins Englische zu übertragen, Dank und Respekt. Genügend Material für eine Fortsetzung der Reise stünde wohl zur Verfügung, doch für Harvey ist das Ende hiermit wohl erreicht.

Trackliste

  1. 1. Ich Liebe Dich...(Ich Dich Auch Nicht)
  2. 2. All Day Suckers
  3. 3. Contact
  4. 4. Prèvert's Song
  5. 5. The Eyes To Cry
  6. 6. Puppet Of Wax, Puppet Of Song
  7. 7. Baby Teeth, Wolfy Teeth
  8. 8. God Smokes Havanas
  9. 9. While Rereading Your Letter
  10. 10. Sensuelle Et Sans Suite
  11. 11. The Homely Ones
  12. 12. Lost Loves
  13. 13. Striptease
  14. 14. The Drowned One
  15. 15. Cargo Cult

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