laut.de-Kritik
Der Weltschmerz einer Bratze aus der badischen Provinz.
Review von Yannik GölzIch bin ja an sich kein besonders gläubiger Dude. Wirklich nicht. Aber auf die Information, dass der "Voice Kids"-Gewinner Mike Singer, "der deutsche Justin Bieber", gerade kommerziell das Land im Sturm erobert, da ist mir doch reflexartig der Gedanke gekommen: Die Erbsünde existiert. Gott hasst uns. Hätten wir doch bloß Burzum davon abgehalten, all diese Kirchen anzuzünden.
Okay. Durchatmen. Immer mit der Ruhe. Etwas Distanz zu den finsteren Omen gewinnen, das Gesamtwerk einmal neutral beäugen. Feststellen, dass Mike Singers musikalisches Schaffen auf zwei elementaren Stützpfeilern fußt:
1. Akribisch amerikanischen Pop abpausen, ohne so recht zu verstehen, was den eigentlich gut macht.
2. Eine absolut unausstehliche, selbstverliebte Bratze sein.
Punkt eins ist dabei schnell erklärt. Weil sein Vorwerk "Karma" sehr offensichtlich DJ Snake und Justin Biebers "Purpose"-Album angezapft hat, erweitert sich die Palette der Einflüsse hier um die langweiligsten Facetten von The Weeknd, einem Hauch von G-Eazy und ein paar Trap- und Dancehall-Tupfer.
Man hört regelrecht heraus, wie sein Songwriter-Camp auf der Billboard-Seite kampiert, sich fragt, was diese Kids von heute denn so hören, und dann mit dem Plan und der Koordination eines Pollock-Gemäldes irgendwelche Elemente in die Produktion wirft. So ziemlich jeder Song endet an irgendeinem Punkt in einem halbherzigen Drop, der wie eine Dollar-Store-Variante von Major Lazer klingt.
Der Rest basiert auf Preset-Synths und Plastik-Pianos der Marke traurig, Hochglanz-Drums und Trap-Perkussion. Die Trickkiste ist klein, aber zugegeben nicht ganz uneffektiv. Interessant wird "Deja Vu" instrumental zwar nirgends, aber Langeweile ist hier das schlimmste Vergehen. Wenn man wirklich militant weghört, könnte man die Platte zumindest als soliden Radiofiller durchgehen lassen.
Zum Glück haben wie ja noch Mike Singer, der sich vehement dafür einsetzt, dem Ganzen den ästhetischen Flair eines H&M-Räumungsverkaufs zu verleihen. Während seine offensichtlichen Vorbilder diesen unaufdringlichen Sound zumeist noch mit Subtext, Persönlichkeit oder emotionalen Facetten auffüllen, bleibt hier als einziges wirkliches Charaktermerkmal hängen, dass dieser Kerl klingt, als sei er vierzehn Jahre alt. In jeder Hinsicht.
Das ist unglücklich, denn seine thematische Palette zwischen chauvinistischen Lovesongs und Gebashe über ominöse Hater, Neider und Schnorrer wäre ja schon bescheuert, wenn sie nicht mit einer Stimme vorgetragen würde, die klingt, als frage sie gleich nach den Erdkunde-Hausaufgaben. Aber in dieser Kombination wird das Ganze dann regelrecht albern.
Dramatische Katharsis ist, wenn er Instagram und Snapchat löscht ("Zwei Seiten"), ein Liebesbekenntnis gerät nicht poetischer als "Girl, du bist nice, man, ich liebe alles an dir" ("Alles An Dir", passend mit einem zauberschönen Kay One-Feature), und ein Trennungs-Song wie "Deja Vu" suhlt sich in so absurdem Melodrama, dass es einem jeden Hörer außerhalb der Vorpubertät schaurige Mittelstufen-Flashbacks den Rücken hinunterjagt.
Mike Singer fängt beeindruckend die lyrische Essenz eines überhörten Gesprächs am McDonalds-Nachbartisch ein. Der Weltschmerz eines Undercut-Fuckboys aus der badischen Provinz, dem über Nacht ein paar Social Media-Follower zu viel in den Schoß gefallen sind. Er braucht deshalb gar nicht zu erzählen, seine Verflossene werfe ihm vor, sich verändert zu haben, weil die einzigen weiblichen Wesen, die über seinen Wandel nachdenken, seine Tanten sind, die ihm in die Wange kneifen und sich wundern, wie groß er denn geworden ist.
"Deja Vu" wäre gerne Highlife, Jetset, schnelles und intensives Leben – wie seine Popstar-Vorbilder. Aber egal, wie berühmt dieser Junge wird, egal, wie viel radiotaugliche Produktion man ihm zuschiebt: Mike Singer hat nichts von diesem Charisma. Nicht einen Funken. Er klingt nach Minecraft-Let's Play. Nach einem Galileo-Freibadreport. Nach Schülerzeitung. Nach YouTube-Kommentar. Nach Kehl im Badischen. Und dieses Album inklusive der Box und allem Merchandise wird in spätestens drei oder vier Jahren auch dem Großteil seiner Fanbase himmelschreiend peinlich sein.
Amen und Hallelujah.
21 Kommentare mit 17 Antworten
Ich sehe es positiv. Über eine Millionen Fans auf Instagram, mehr als 330.000 Facebook-Fans und 300.000 YouTube-Abonnenten bekommen in Form dieses seelenlosen Machwerkes letzten Endes die Strafe, die sie verdient haben. Der Rest muss es sich ja nicht anhören.
Amen.
Das ist die verdiente Strafe für unsere testosteronlose Fotzenknecht-Gesellschaft.
Dann verpiss dich doch woanders hin.. Wenn ich so einen Bullshit lesen muss..
Auch deine Ausdrucksweise wird nichts an den zusammengeschusterten Charakter dieses Machwerkes ändern, für das sich die Fans wahrscheinlich in drei Jahren schämen.
Mag sein, ist mir aber auch relativ egal. Ich hab die Rez eh nur wegen dem Trashfaktor gelesen.. Aber so dumme sexitische Kommentare triggern mich immer.
Tut mir leid. War nicht ersichtlich, dass du den Kommentar über dir meintest. Gibt für sexistische und beleidigende Kommentare auch eine Alarm-Funktion.
Es steht nicht ein Fakt in meinem ersten Post, der Bullshit ist. Der heutige Lebensstil ist der Gnadenstoß für den ohnehin lächerlich geringen Testosteron-Wert des modernen Mannes. Der Wert, der heutzutage als hoher T-Wert gilt, war in den 50er/60er Jahren fast der Minimalwert.
Abgesehen davon entspricht das nicht der modernen Definition von Sexismus, weil ich selbst einen Schwengel habe.
Uhh, übernimmt dieser Yannik jetzt die ganzen Mainstream-Radiopop Alben die sonst keiner rezensieren möchte?
Wenn ja, viel Glück dabei! Den monumentalen Schatten des Kabelwitz auszufüllen wird kein Leichtes.
auch wenn die kackbratze nervt, kehl ist nicht bei stuttgart sondern nähe Offenburg / strasbourg, also eher im badischen
Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.
Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.
Find's btw gut, dass der Autor das weiblich-konnotierte Wort "Bratze" für einen jungen Mann verwendet. Damit folgt er dem Vorbild von SXTN, die schon (systematisch!) "Hure" für Männer verwendet haben.
Anstatt nämlich, wie oft von Feministinnen behauptet wird, diese weiblichen Schimpfwörter per se dem gesellschaftlichen Stand der Frau abträglich seien und Vorurteile schürfen und blabla, weicht man durch eine solche Verwendung der Worte die Assoziation der (minderwertigen) Frau mit dieser Verwendung auf und trägt die Beleidigung in Richtung einer Unisex-Beleidigung, die dann etymologisch mal einen rein-weiblichen Ursprung gehabt haben wird, den aber irgendwann vielleicht und hoffentlich abgestreift haben wird. So wie Sprache nunmal immer in Bewegung ist.
Und einfach eine schöne Beleidigung sein wird; eine schöne Schöpfung deutscher Sprache, die man nicht ausrotten sollte: Bratze.
PS: Mike Singers Musik ist mir scheißegal.