laut.de-Kritik

Gefangen im falschen Film: ein Psychodrama.

Review von

"Etwas mehr als drei Jahre nach der Veröffentlichung ihres letzten Albums hat Miley Cyrus ihre kreative Pause beendet und ist bereit, die Welt mit ihrem neuen Album 'Bangerz' (Kracher) wiederzuerobern", frohlockt der Pressetext. Wer findet den Fehler in diesem Bild? Genau.

Böse Zungen behaupten, die einzige kreative Leistung, die Miley nun vollbracht hat, bestehe in der unglücklichen Wahl ihrer Garderobe auf "Bangerz"' seltsam anmutenden "Miami Vice"-Cover. Das hat sie wohl dermaßen überfordert, dass sie die Klamotten für das "Wrecking Ball"-Video gleich ganz im Schrank vergessen hat.

Miley von Schleck stellt nicht mehr dar als einen weiteren Twentysomething in der Findungsphase, der krampfhaft versucht, mitsamt der Kleidung die Vergangenheit abzulegen und die Verkäufe anzukurbeln. Eigentlich hatte zu dem Thema Madonna mit ihrem "SEX"-Buch 1992 bereits alles gesagt. Nackter als nackt geht nicht. Trotzdem lässt Miley Cyrus nichts unversucht, um auf ausgelatschten Spuren der Queen of Pop, Britney Spears und Lady Gaga zu folgen. Dabei wirkt sie wechselweise unbeholfen, verbissen, einfältig oder fremdgesteuert.

So sind nicht Mileys bis ins Lächerliche überzeichneten Skandälchen das wahrhaft schockierende an ihrem Auftreten. Es ist das psychische Drama, das sich vor unseren Augen abspielt - und unsere darauf folgende phlegmatische Reaktion. Wir dürfen, in der ersten Reihe sitzend, miterleben, wie die ehemalige "Hannah Montana" auf dem Weg in die Welt der Erwachsenen mit weit aus dem Hals hängendem Zungenlappen jedes einzelne sich ihr bietende Fettnäpfchen mitnimmt.

Uns selbst ringt das nur ein Schulterzucken, einen spöttischen Blick und hämische Zeilen auf Twitter ab. Wir sind dermaßen abgestumpft, dass uns kaum noch etwas aus der Reserve lockt. Seltsamerweise gilt es als Kunst, wenn Lady Gaga für das Marina Abramovic Insitute entblößt vor die Kamera tritt. Reitet der ehemalige Disney-Star Miley für ein Video des angesehenen Terry Richardson nackig auf einer Trümmerbirne, betrachtet man dies als kalkulierten Promomove.

Doch egal, wer diese Taktik schon verfolgt hat, von Dirrty-Aguilera bis hin zu Rihanna, musikalisch hatten sie allesamt mehr zu bieten. Zu oft klingt die passionierte Hammerleckerin auf ihrem dritten Longplayer wie gefangen im falschen Film, in dem sie gar nicht mitwirken mag.

Dabei macht die komplett auf Oberflächlichkeit ausgelegte Promotion um das Album die Musik eh schon längst zur gegenstandslosen Nebensache. Unterhalb der Skandal-Blase verbirgt sich zum größten Teil ein seltsam hausbackener, nichtssagender Longplayer. Mann, selbst Jeanette klang selten so bieder wie Miley auf "Bangerz".

Mit "Adore You" legt das Album nach all dem Bohei einen dermaßen monotonen, einschläfernden Start hin, so harmlos, dass sogar der Vierfinger-Handschuh von Mickey Mouse den Daumen wohlwollend nach oben streckt. Das einzige, das dem einfallslos über drei Klavierakkorde dümpelnden Lied eine eigene Note verleiht, bleibt ausgerechnet die schmerzlich quäkende Stimme der Sängerin. Das Organ der Chanteuse ätzt hier nicht zum letzten Mal an den Nerven.

Im niedlichen, durchaus eingängigen Teenager-Pop "Wrecking Ball" gibt sich Miley bis zum Refrain zerbrechlich, scheitert aber daran, dieses Gefühl glaubwürdig zu transportieren. Der Hüpfer von verletzlich zu aufmüpfig misslingt. "We Can't Stop" umweht der unbekümmerte, naive Touch eines anbrechenden Morgens, wenn nach einer durchfeierten Nacht alles möglich erscheint. "Remember only God can judge ya / Forget the haters cause somebody loves ya."

"SMS (BANGERZ)" liefert gemeinsam mit 'Britney, Bitch' nicht mehr als billiges Kesha-Gehabe mit "Push It"-Anleihen, der Startschuss für die quer über "Bangerz" verteilte Twerk-Suite, der noch die öden, verzichtbaren "Love Money" und "Do My Thing" angehören. In "My Darlin'", das sich munter bei Ben E. Kings "Stand By Me" bedient, geht es dank Autotune und einem Future, der klingt, als habe er beim Singen eine heiße Kartoffel im Mund, zu, wie in der gruseligsten Kirmes-Geisterbahn.

Unverhofft kommt oft. Ohne jede Vorbereitung geht es auch komplett anders. "FU" stellt sicher keine Offenbarung dar, doch während der Mischung aus Soul, Pop-Appeal im Dreivierteltakt, und wummerden Bässen zeigt Frau Cyrus, dass deutlich mehr in ihr steckt, als wir ihr alle zutrauen. Plötzlich tönt das kleine Mädchen tatsächlich wütend, ausufernd, gar wie eine ganz, ganz kleine Adele. Die nervende Quiekstimme weicht die einer erwachsenen, aufbrausenden Diva. Plötzlich glaubt man ihr all die Emotionen, alles, das sie zu sagen hat. Ist dies immer noch die gleiche Sängerin wie kurz zuvor im lustlosen "Drive"?

Bis hierhin gibt der Erfolg dem Marketing-Rummel und der Sensationsgier wieder einmal Recht. Jeder hat heute eine Meinung zu Miley Cyrus. Spätestens der rechtzeitig zum Album-Release erfolgte Online-Zusammenprall mit Sinéad O'Connor lässt jedoch befürchten, dass wir es wirklich nur mit einem dummen, dekadenten und über alle Maßen peinlichen Mädchen zu tun haben. Wem das alles aber nicht abschreckt, wird beim Kauf der Deluxe-Edition mit einem Miley Aufkleber in Opas Feinripp-Unterbuxe mit sexy Eingriff belohnt. Lecker.

Es bleibt zu hoffen, dass sie nach all dem Hype und dem substanzlosen Krawall um ihre Person irgendwann ihre Hose wiederfindet und doch noch die Musik macht, die sie im Herzen fühlt. Dass das Heute nur eine Episode bleibt, auf die sie in zehn Jahren peinlich berührt zurückblickt.

Oder, wie es Judith Holofernes im Wir Sind Helden-Song "Zieh Dir Was An" einst so schön treffend ausdrückte: "Wenn du mit zwanzig deinen Hintern entdeckst / Und ihn fortan in jede Kamera streckst / Dann passt dein tolles neues Selbstgefühl / Perfekt in jedes Marketingkalkül / Also zieh' dir was an – Mädchen / Wer etwas kann – Mädchen / Zieht dann und wann – Mädchen / Ein bisschen was an."

Trackliste

  1. 1. Adore You
  2. 2. We Can't Stop
  3. 3. SMS (BANGERZ) ft. Britney Spears
  4. 4. 4x4 ft. Nelly
  5. 5. My Darlin ft. Future
  6. 6. Wrecking Ball
  7. 7. Love Money Party ft. Big Sean
  8. 8. #GETITRIGHT
  9. 9. Drive
  10. 10. FU ft. French Montana
  11. 11. Do My Thang
  12. 12. Maybe You're Right
  13. 13. Someone Else

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Miley Cyrus

Am 23. November 1992 wird die Schauspielerin und Sängerin in Franklin, einem Vorort von Nashville Tennesee, geboren. Unter dem Namen Destiny Hope Cyrus …

26 Kommentare mit 37 Antworten

  • Vor 10 Jahren

    Ich finde die Scheibe nicht übel. Und das von einem der sonst nur Rock und Jazz hört. Also bitte ... ;)

  • Vor 10 Jahren

    Das Niveau des Albums bzw das Niveau von Miley Cyrus Musik liegt etwa bei dem von Britney Spears. Rihanna halte ich für qualitativ nen ticken erwachsener bzw besser. Katy Perry ist da etwas poppiger aber auch besser... 2/5 Sternen halte ich für fair.
    Für Mileys Verhalten würde ich nicht mal 1 Stern geben... da ist die völlig daneben...

  • Vor 10 Jahren

    Und wieder ein weiteres oberflächliches Review. Wen interessiert die Person hinter der Musik? Wenn ich eine lachhafte Hetze gegen ein Pop-Püppchen lesen will nehm ich die Bild-Zeitung.
    Ich bin wirklich enttäuscht.
    Wieso lasst ihr Leute Reviews schreiben, die voreingestellt etwas gegen Pop Musik haben?
    Hier wird überhaupt nicht auf die Produktion eingegangen, Collaborations, Genre Einflüsse etc. :(