laut.de-Kritik
Wie Nine Inch Nails für die Gen-Z.
Review von Yannik GölzEs sind die negativen Reviews, die das neue Rateyourmusic-Lieblingskind des Jahres pushen: "Dogsbody" von Model/Actriz sei ein "schwules Xiu Xiu" und "Nine Inch Nails, yassifiziert für die Generation Z". Diese lahmen Versuche eines Burns sind wahrscheinlich deutlich bessere Klappentexte als alle verkopften Lobeshymnen, die die Jungs aus New York von ihren neuen Fans zu hören kriegen. Denn das Noise Rock-Outfit mit Einschlägen aus Electronica und Metal machen trotz klarer Inspiration einen so explosiven, theatralischen und unverwechselbaren Mikrokosmos auf, dass man sich ihm kaum entziehen möchte.
Es beginnt mit zwei Dingen: Zum einen sind da die Vocals von Frontmann Cole Haden, diese androgyne, lallende, theatralisch deklamierende Stimme, die hypnotisch und pedantisch Bilder von zivilisatorischen Massenkarambolagen mit einer impulsiven Horniness verbindet. Ein "body count, higher than a mosquito" lastet ihm an, so lautet die Zeile, die jeder zitiert, weil sie perfekt auf den Punkt bringt, was die Lyrik dieses Kerls so faszinierend macht. Er besitzt ein hammergutes Gefühl für nicht abgegriffene Kontraste und für Beobachtungen, die sich dem ewigen Kanon der Alt-Rock-Größen entziehen. Nicht nur durch ihre explizite Queerness, viel mehr noch ihre nackte Aggression.
Ein bisschen wie ein Grindhouse-Film schlachtet sich Haden durch blecherne Metaphernkonstrukte. Und die Orte, die er erschafft: "And the shadow I throw / Strobing against the wall / Boy, what's wrong with you? / Go ahead and grind me into a pearl", zieht er die Nummer, hart genug für jeden Metal- bzw. Techno-Sex-Schuppen in New York, bevor er auf "Crossing Guards" den Verweis noch expliziter macht: "Uh, like Germanotta, Stefani / Pull the weight from under me, yeah".
Dies ist ein ausgewachsener Lady Gaga-Verweis in einem brutal hart gehenden Song, der sich nur so organisch einfügt, weil Haden es eben verkaufen kann. Das Ding: Der Mann ist nicht gerade ein Sänger-Sänger. Er bringt den Camp in den Metal, hat trotz seines extrem schönen Aussehens eher die Stimme eines Rocky Horror-Extras, das Emo-Theater-Kind, das beim Schulfest-Karaoke allen verstörten Reaktionen zum Trotz My Chemical Romance singt. Gewöhnungsbedürftig? Mit Sicherheit. Aber es schneidet so komplett gegen die Instrumentals und setzt sie unverwechselbar von jeder Crowd ab, wenn sich Haden doch irgendwie im Zwielicht der Stroboskope zu diesem Industrial-Sexgott inszeniert.
Das ist aber nur die halbe Miete. Die andere Seite ist fast objektiv zu beschreiben: Die Band hinter Model/Actriz hat es einfach hammerhart drauf. Nicht nur, weil die Acid-Riffs dreschend gegen die fantastische Arbeit an den Drums geschrubbt werden, sondern auch, weil sie ein wirklich fantastisches Gefühl für Dynamik und den Payoff besitzen. Sich kurz anschleichen, aufbäumen und dann alles zusammenbrechen lassen, gerade die erste Hälfte des Tapes besteht aus solch explosiven Momenten, in denen die Band so viel Tanzbarkeit kanalisiert, wie es das Genre nur selten sieht.
Diese Fähigkeit grenzt Model/Actriz dann auch von offensichtlichen Vergleichspunkten wie Xiu Xiu oder Black Country, New Road ab, die man nicht in einem Club laufen lassen könnte. Die elektronische Dimension drückt den Post-Punk hier mehr in Richtung Metal, statt das Gegenteil zu bewirken. Und die Momente, in denen die Band die Tempi wechselt, sind ein Homerun nach dem anderen. Wie ein Spitzenschwimmer, der durch die Bahn pflügt, am Beckenrand ankommt und wendet, nur, um sich mit noch mehr Druck in die Bahn zurückzuwerfen. Das Album dauert nur 35 Minuten, fühlt sich aber gut und gerne wie 15 an.
Dabei hilft, dass die balladesken Songs nicht in Kitsch und Direktheit versickern, Kitsch und Direktheit wurden schon für die Banger verbraucht. Songs wie "Divers", "Sleepless" und "Sun In" haben etwas von Shoegaze, von Verzerrung, von unsauberer Übertragung, aber auch etwas Optimistisches, wie Sonnenschein, der durch die Stahlwolle am Himmel scheint.
Die Energie von "Dogsbody" ist unvergleichlich, die hypersexuelle und völlig kompromisslose Attitüde lässt das Album wie frischen Wind in einer zunehmend verkopften Szene wirken. Die Refrains und hypnotischen Wiederholungen reißen einen in einen tiefen, absurden, campigen und hypnotisierenden Abgrund hinab. Diese Band ist kein Hype der Stunde, diese Band ist zu 100 Prozent der real deal.
4 Kommentare mit 3 Antworten
queerphob und prüde wer diesen banger nicht feiert
Fordere mich nicht heraus!!!
Ne, ist aber wirklich ganz cool. Der Verweis auf NIN ist höchstens soundmäßig ab und zu angebracht - im ungefähren Bereich der Industrial-Klänge kommt in Sachen Songwriting aber auch verfickt noch mal wenig an Herrn Reznor heran.
Model/Actriz machen jedenfalls auf Anhieb Laune!
Dieser Kommentar wurde vor einem Jahr durch den Autor entfernt.
gutes albung, 4/5
yü-gung kann immer noch berge versetzen...dieses retrogedöns ist putzig. (video-)optik für 2023 ganz schön risqué. songaufbau aufregend abwechslungsreich. admiralbrückenfeeling pur.
Faszinierend! Deput-LP! Holla die Waldfee!
Bin mir noch nicht sicher ob ich nicht vielleicht Angst davor habe. Für einen Hetero-Mann gibt es da Momente, als wolle Freddy Mercury auf Acid unbedingt mit einem knutschen. Die Band muss ich mir wohl live geben. 31. Mai, Kantine Berghain.