laut.de-Kritik
Dem Meister geht zunehmend die Puste aus.
Review von Maximilian SchäfferSchon wieder eine neue Morrissey-Scheibe mit hässlichem Plattencover. Produziert hat sie erneut Joe Chiccarelli, der unter anderem schon für das gar nicht so üble "California Son" von 2019 verantwortlich zeichnete. Die ersten beiden Songs kann man direkt getrost überspringen, da gibt es außer der seltsamen Produktion, nun mit viel Qualitätsmaskierung durch Synthesizer und Beats, sowie zahlreichen anderweitigen Versuchen, mit dem Computer Eindruck zu schinden, wenig zu entdecken.
"Bobby, Don't You Think They Know?" ist ein Duett mit Disco-Soul-Veteranin Thelma Houston zum Thema Drogen, gesprickt mit populären Synonymen: "8-track, 'A' bomb, white mosquito / of course they know! / snowcaine, toot and horse / then something worse." Reichlich anachronistisch klingt der sehr herkömmliche Zwiegesang von croonender Männer– und röhrender Frauenstimme. Ein wenig wie eine Talentshow, bei der jeder Teilnehmer zeigen will, was er kann, ohne das Risiko der völligen Blamage einzugehen.
Die erste nette Idee liefert dann tatsächlich der Titeltrack. "I Am Not A Dog On A Chain" erinnert in der Strophe an Miniaturklassiker aus Smiths-Zeiten – vergleiche "Frankly, Mr. Shankly". In Bridge und Refrain greift der Meister zur Grandesse und der geneigte Fan muss leider feststellen, dass ihm beim Schmettern pompöser Gesangslinien zunehmend die Puste ausgeht. Lyrisch schlägt er mit gewohnten Themen zu und findet zumindest den altbekannten Kompromiss aus lauwarmem Populismus und launiger Poesie: "Maybe I'll be skinned alive / by Canada Goose / because of my views / because of the truth / because of my fleece / because of my niece /like drinking ink / the words explode / fatter than fists / prouder than blows."
Man sollte an dieser Stelle wiederholt nicht aus den Augen verlieren, dass der Mann weder Politiker noch Philosophieprofessor noch ein geeigneter Romancier ist, und es im Übrigen nie war. Die Verklärung all der geäußerten unsäglichen Dummheiten des Morrissey geht weit, selbst seine Dichtungen werden schon nicht mehr im Kontext des popmusikalischen Liedtextes gesehen. Wenn man ihn also dafür liebt, dass er ein kontroverser Exzentriker mit unverwechselbarer Stimme und der Verfasser einiger der schönsten Kompositionen der weißen Popmusikgeschichte ist, muss man auch Zugeständnisse angesichts der Dummheit des Propheten machen. Klar ist, dass der Herr aus Manchester seinen alternden Leib schon seit Jahren in der Sommersonne von Los Angeles oder Rom bräunt. Wenn es ihm langweilig wird, verbreitet er reaktionären oder rassistischen Unsinn, wenn er nicht gerade an einer neuen Langspielplatte arbeitet. So bleibt man im Geschäft.
Mit diesen Wahrheiten im Hinterkopf darf nun ein jeder selbst entscheiden, ob er Morrissey hier weitere Peinlichkeiten verzeiht. In "Once I Saw The River Clean" beispielsweise singt er über seine Oma. Der 90er-Jahre-Discotrack mit Geigen im Stile des Irish Fiddle, dessen Autotune im besten Fall an Chers "Believe" erinnert, soll wohl mal was ganz anderes sein. Hier machten die Pet Shop Boys unlängst vor, wie man derlei Erinnerungstanzmusik würdevoll handhabt.
"The Truth About Ruth" ist die tausendste bombastische Pianoballade, diesmal zum Thema Gender. "The Secret Of Music" eine triviale B-Seite mit nettem Arrangement, alle Register moderner Samplesoftware ziehend und thematisierend. In "My Hurling Days Are Done" beweist Morrissey abschließend, dass er immer noch ausschnitthaft rührende Momente kreieren, aber keine Songs mit in sich geschlossenem Sinn und Zweck mehr schreiben kann. Zum Schluss, wenn die knapp 50 Minuten dieses eher bemühten Pensionistenwerks abgelaufen sind, freut man sich einfach, dass der 60-Jährige ab und an noch auf der Bühne steht und "Please, Please, Please, Let Me Get What I Want" aus dem Jahr 1984 zum Besten gibt.
18 Kommentare mit 11 Antworten
Zwei Sterne finde ich arg unterbewertet. Über eines sollten wir uns alle im Klaren sein: Egal, was er macht, wirklich gute Kritiken wird Morrissey im Leben nicht mehr bekommen, und sollte er die Popmusik neu erfinden. Auf "I'm Not a Dog On a Chain" sind aber nicht wenige Lieder, die im besten Sinne des Wortes "catchy" sind und Erinnerungen an Bona Drag wecken. Für mich 3,5 von 5, und weil das hier nicht geht, sind es 4.
Hab sie 1x gehört bisher und fand sie sehr nice. "Catchy" trifft's total. Aber mal schauen, wie sich die nächsten beiden Durchgänge anfühlen.
Hat der Herr Schreiber die Platte überhaupt gehört, oder nur seinen Hass auf Menschen mit anderer Meinung freien Lauf gelassen?!*
Das paßt dann ja auch gut zu einem Mann, der gerne seinem Haß auf Menschen mit einer anderen Meinung freien Lauf läßt. Alles Böse fällt auf einen selbst zurück...man nennt das auch "ausgleichende Gerechtigkeit". Jammernde, rassistische, reiche alte Säcke haben nix besseres verdient.
Seine Ansichten in den 80ern haben keinen Linken gestört und jetzt ist er das Böse, weil er Dinge sieht wie sie sind und nicht wie wir es gerne hätten?
Argh, mit solchen Äußerungen wäre ich vorsichtig...
Stimmt! Sonst kommt noch die Gesinnungspolizei und verhaftet mich...
Laßt das arme, braune Trollopfer in Ruhe.
Die Gesinnungspolizei ist schon da, und alles was nicht linientreu ist ist NAZI
Tja, das Album gibt seinen Kritikern noch mehr Futter und Argumente dafür, sich nicht mehr ernsthaft mit seinem Spät-Spätwerk auseinanderzusetzen. Fast jedes Lied lässt sich ohne Probleme auf seine neue "Alt-Herren-Wutbürger"-Einstellung übertragen, auch wenn die Texte oberflächlich betrachtet (vereinzelt) andere Themen behandeln. Tatsächlich geht es aber nur um eins: "Ich kenne die Wahrheit, alle anderen sind dumm und lassen sich lenken". Mit was für einer Konsequenz der alte Mann seinen Kritikern noch mehr neue Vorlagen schenkt, ist schon beachtlich. Ebenso beeindruckend ist es aber, dass er sich im Winter seiner Karriere noch einmal teils drastisch aus seiner Komfortzone bewegt und hier mit Drum-Computer und regelrechten Synthie-Gewittern aufwartet. Ich finde die erste Hälfte großartig und unheimlich eingängig, das sind tolle Kompositionen in neuem (Jim Jim Falls, Love Is On Its Way Out) und alten (What Kind of People Live in These Houses) Gewand - oder irgendwas dazwischen (Knockabout World). Dafür ist die zweite Hälfte umso schwächer, einzig "Once I Saw The River Clean" lässt noch einmal aufhorchen - auch wenn es mich wundert, dass so viele Leute hier auf den oberflächlichen Aufhänger anspringen, dass er da über seine Oma singt. Natürlich geht es darum, dass er mit dem Alter die Wahrheit für sich entdeckt hat. Aber klar: Die Texte haben wie erwartet ihren faden Beigeschmack und der bewusst stümperhafte Vortrag ist genau das, was sich alle Kritiker erhofft haben. Das wäre eine musikalisch starke EP geworden, so in der Form gebe ich aber auch nicht mehr als 3/5, vor allem in Anbetracht seiner Diskografie.
Bis auf ein-zwei Zeilen müßte ich schon viel Hirnakrobatik anstellen, um ihm Alt-Right-Lyrik usw. zu unterstellen. Aber klar, ein paar blöde Zeilen überschatten gerne mal die anderen hundert.
dass der polit-morrissey oft derbst auf den sack geht, ist das eine. rein musikalisch finde ich die platte sehr gut und alles andere als altersgebeugt. steht locker auf augenhöhe mit späten highlights a la "world peace" und "high school". für mich der asmbivalenteste, aber nicht irrelevanteste musiker seiner generation.
youre right brother! i would give him 4/5 at least.. what would you rank this album ulf?
jim jim falls is verry good 5/5
im not a dog on a chain and knockabout world are my favorites
Das einzige, was an dieser Plattenkritik richtig ist, ist, dass das Plattencover hässlich ist.
bester künstler er ist geiler mann ich liebe ihn
i am not a dog on a chain 5/5