laut.de-Kritik
Von Rödelheim zum Rödelreim.
Review von Ulf KubankeAcht Jahre hat er sich seit dem letzten Soloalbum "Geteiltes Leid 2" Zeit gelassen. Nun hat das deutsche Hip Hop-Urgestein endlich den Produzentenmantel ein wenig beiseite gelegt, um ein eigenes Ausrufezeichen zu setzen. So steht ihr dritter Teil als routiniert in Szene gesetzter Abschluss der "Geteiltes Leid"-Dreifaltigkeit in den Läden.
Bereits die Titelwahl suggeriert eine gewisse Bedeutung, die nur besonderen Serien innewohnt. Doch spätestens "Der Pate" und "Matrix" lehrten uns, dass die allermeisten Trilogien spätestens nach dem ersten Sequel nichts Neues mehr erzählen. Auch Pelham erfüllt die eigens geschürte Erwartungshaltung über weite Strecken nicht.
Denn einem verbreiteten Produzentenproblem läuft auch der RHP-Pionier nicht davon: Er hat alle guten Ideen bereits für seine Schützlinge verwendet. Sein Stil liegt von Setlur bis Steen seit langem vor dem Publikum ausgebreitet. Dem bleibt er treu. Er hat nichts hinzuzufügen und verschwindet - trotz stattlicher Gästeliste - unerkannt im einem Meer solider Baukastenbeats und Gebrauchslyrik. Kaum anders erging es Danceguru Timbaland mit seinen vergleichsweise belanglosen "Shock Values I" und "II".
Ein paar abgehangene Gassenhauermelodien wie "Für Die Ewigkeit" haut Pelham lässig aus der Hüfte. Das zurückgenommene Rockarrangement steht ihm gut. Dazu sein Händchen für dramatische Zeilen: "Ich kann die Schwäche des Geduldsfadens spüren und sehen, wie ich das Messer an die Pulsadern führe." Im Refrain stürzt das Lied leider komplett ab. Störende Grölvocals prügeln den Chorus fast auf Onkelz-Niveau herunter. Vollkommen unverständliche Proll-Attitüde, als Stilmittel für den Song ohne jeden ästhetischen Wert.
Bei "Halt Aus" möchte man seinen Ohren nicht trauen. Nachdem sich Mr Rödelheim und Xavier Naidoo öffentlichkeitswirksam mit Pest und Schwefel bekriegten, scheint aller Ungemach nunmehr beseitigt. Der Mannheimer Barde jammert sich durch eine solide Konfektionsballade, wie sie ebensogut auch auf "Mir So Nah" der guten Cassandra oder bei Xavas hätten stehen können.
Vor allem Drama-Queen Naidoo gibt einmal mehr den rettenden Lawinenhund. "Halt aus, ich komme / Bitte halt aus / Rettung ist auf dem Weg / Gib jetzt mehr als du hast / Es ist sehr bald geschafft." Das klingt nicht spannender als es sich liest. 2012 haben sich Deutschlands polarisierender Missionar und sein Dr. Frankenstein endgültig selbst in der klebrigen Erbauungssoße eigener Beliebigkeit aufgelöst. Das dürre Liedchen hat man ebenfalls sofort wieder vergessen.
Die Glashaus-Gefährtinnen Pippa und Cassandra sind selbstverständlich mit von der Partie. Durchaus fesche Gäste und eine handwerklich makellose Produktion. Was Ali Neander nicht nur in "Höha" beisteuert oder Rafael Zweifel am Cello ("Himmmelfahrtskommando"), verleiht der Platte eine organische Grundfarbe, die im Genre in der Tat eher selten vorkommt. Dennoch bleibt "Höha" nicht viel mehr als ein 90er-artig antiquiertes Abziehbild der Puff Daddy-"Come With Me"-Ära.
Als Veteran einen auf breitbeinig zu machen ginge absolut klar. Doch der erhobene Mackerfinger an die Nachkommen funktioniert nur, sofern der Elder Statesman auch lockende Zeilen im Gepäck führt. "Warum haben die kein Ansehen, Alter? / Weil MCs hier Niveau für 'ne Handcreme halten" und Ähnliches klingen auf Albumlänge jedoch ungeheuer abgedroschen. Von Rödelheim zum Rödelreim! Hinter der genreüblichen Egozentrik lauert nicht ein einziges fesselndes oder auch nur halbwegs interessantes sprachliches Bild. Zu wenig unterhaltend für solch einen wortgewandten Altmeister des Wortes.
Auf "Hoo" dann die gute alte Schulterklopfmaschine plus Jan Delay, Sido, Bushido, Azad und Kool Savas mit Cameo-Auftritten. Die recht kurzen Gastspiele markieren dann auch den Höhepunkt des belanglosen Stampfers in Stadionrock-Attitüde.
Am besten ist Pelham noch, wenn er den Balladenonkel gibt. "Ich Lass Dich Nicht Zurück" glänzt mit packendem Arrangement und angemessen musicalhafter Melodramatik, "Nicht Ohne Sie" mit reifem, emotionalem Liebestext. Doch besonders in den leidenschaftlichen Momenten ist seine wenig voluminöse Stimme keine Hilfe. Die eigenen Duettpartnerinnen erdrücken den gesichtslosen Sprechgesang geradezu. In den nackten Strophenmomenten fällt dagegen auf, dass Naidoo für solche Lieder einfach der geeignetere Mann ist. Beides kein Ruhmesblatt für den Frankfurter.
'Zu wenig - zu spät!', darf man getrost als Fazit ziehen. Der Mann, um den sie einst den deutschen Hip Hop herumgebaut haben, bleibt in den 90ern stecken und verweigert derzeit jede weitere künstlerische Entwicklung.
459 Kommentare mit 2 Antworten
Dieser Kommentar wurde vor 7 Jahren durch den Autor entfernt.
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eine sehr sehr schlechte, subjektive/unreflektierte review. ein sehr gutes, zeitgeistliches, grundsolides und starkes album. vielleicht sogar sein bester longplayer!
blablub. deine mutter ist stark, aber nicht dieses album.
Sodi, das ist doch Geschmackssache, Boi.
Dieser Kommentar wurde vor 11 Jahren durch den Autor entfernt.
ach was. dieses album ist ein zeitgeschichtliches epos. eine ode an rödelheim, der rap-haupstadt des universums. dieses album teilt nicht nur das leid sondern auch das brot und facebookkommentare. pelham beweist mit diesem monument ein unfassbar sicheres gespür für den richtigen mix aus ohrenschmaus und wohlklang im einklang mit der kunst. seine texte spiegeln den lauf der weltgeschichte wieder, treffen zielsicher den ton, fließen berauschend wie ein flußlauf im gebirge. pelham der fels in der brandung dieser schnelllebigen, turbokapitalistischen rapgesellschaft ist ein angenehmer ruhepol und reimendes raubtier in einem. er vereint alle rapstile die es jemals gab und lässt nas oder rakim wie schuljungen dastehen. grundsolide? nein ein neuer grundsatz im rapgame, ein zweites illmatic in deutsch. vielleicht kann dieses meisterwerk nicht den klimawandel oder politische konfliktherde beeinflussen aber ist verdammt nahe dran