laut.de-Kritik

Ein Destillat queerer Lebensfreude.

Review von

Wenn Muna zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 eines lernten, dann, dass die Köpfe der Newcomer*innen als Erstes rollen, wenn beim Major Label der Gürtel enger geschnallt wird. Nachdem der Charterfolg ihres von Kritiker*innen gefeierten, zweiten Albums "Saves The World" ausblieb, setzte RCA Records die Band prompt vor die Tür. In einer anderen Welt hätte dies gut und gerne das Ende für ihren aufgehenden Stern am Pop-Firmament bedeuten können. Doch in dieser hier stellte es sich als das Gegenteil heraus.

Am Ende brauchte es nämlich nicht das millionenschwere Budget eines Major Labels, um Muna in den Mainstream zu katapultieren, sondern vorrangig ein Arbeitsumfeld, das zuerst auf die Kunst und dann auf die schwarzen Zahlen schaut. Kurze Zeit nach dem Rauswurf unterschrieben Muna einen Vertrag bei Phoebe Bridgers' Label Saddest Factory Records. Schon die erste gemeinsame Single "Silk Chiffon" löste das Pop-Versprechen ein, an das man bei RCA nicht mehr geglaubt hatte. Das dritte Album trägt nun zurecht den Namen der Band: Viel mehr nach Neuanfang könnte es kaum klingen.

Die Aufbruchsstimmung gerät euphorisch. Wo sich die Band mit ihren ersten Alben noch überwiegend den Konflikten widmeten, die aus ihrer Queerness und deren öffentlicher Wahrnehmung resultierten, bietet sie auf "Muna" nur noch Grund zur Freude. Das Album klingt warm, sommerlich, bisweilen sogar triumphal. Schon binnen weniger Minuten legt sich der eröffnende Doppelschlag aus "Silk Chiffon" und "What I Want" wie eine Umarmung um die Ohrmuschel.

Ersterer Song kommt als eine der süßesten und infektiösesten Hymnen auf gleichgeschlechtliche Liebe daher, die man seit geraumer Zeit zu hören bekam. "What I Want" donnert seinen unapologetischen, queeren Stolz über Robyn-eske Synth-Kaskaden in die Welt hinaus. "I wanna dance in the middle of the gay bar": geradezu ansteckend.

Songs wie "Home By Now" oder "Loose Garment", die in ihrer Melancholie dem Frühwerk der Band ähneln, begegnen wiederum dem Schmerz der zerbrochenen Beziehungen mit offenen Armen. Bevor die Band allerdings beginnt, sich in ihrer Misere zu suhlen, korrigiert sie ihren Kurs aber und schaut nach vorne. Muna weigern sich, das oft besungene Bild der tragisch verlaufenden, queeren Beziehungen zu bestätigen. "I'll love you from afar", heißt es stattdessen.

"Muna" zeigt das Trio versatil wie nie und zeugt von einem musikalischen Reifeprozess. Litten die vorherigen Releases noch unter einer gewissen Müdigkeit, die sich aufgrund der weitläufigen musikalischen Unaufgeregtheit früher oder später breit machte, gestaltet sich das Hörerlebnis diesmal weitaus einnehmender. Der instrumentale Kern findet eine nahezu perfekte Balance zwischen nostalgischen Synthpop-Träumereien und kontemporärer Innovation.

Inmitten des wabernden Basses und der wie Blitze einschlagenden Synth-Schläge von "Runner's High" würde sich auch eine Rina Sawayama wohl fühlen, und über die Instrumentals, die Ohrwürmern wie "Solid" oder "Anything But Me" zugrunde liegen, könnten Muna auch die Haim-Schwestern Gesellschaft leisten.

Ein weiteres Highlight findet sich in dem in Zusammenarbeit mit Mitski entstandenen "No Idea". Ein verspielter Song, der die komplizierte Ambivalenz zwischen Liebe und Lust mittels Vocal-Layering und einem zuckersüßen Bubblegum Pop-Korsett in die 90er versetzt. Es sei ihr Versuch, eine klassische Boyband-Nummer zu rekonstruieren, verraten Muna in einem Interview. Ein Unterfangen, dass ihnen - bis hin zu dem nicht aus dem Gehörgang zu kriegenden Post-Chorus - nahezu perfekt gelingt.

Einzig, wenn die Band die ganz leisen Töne anschlägt, beginnt das makelose Pop-Bild ein wenig zu bröckeln. Das von Sängerin Kate Gavin als Herzstück des Albums erhobene "Kind Of Girl" bietet zwar mitunter die persönlichsten Zeilen des gesamten Albums, müht sich jedoch vergeblich, deren Tragweite und Emotionalität über relativ uninspiriertes Country-Gezupfe greifbar zu machen. Auch der Closer "Shooting Star" krankt an einem ähnlich leblosen Klangbild. Die Ballade "Handle Me" schafft es mit warmer Gitarre schon eher, das lyrische Bild des nächsten Schritts einer intimen Beziehung zu vermitteln, das Gavin voller Hingabe besingt.

Wer erwartet, dass Muna mit ihrem ersten Album auf Phoebe Bridgers' Label das Rad neu erfinden, der pflegt die falsche Erwartung. "Muna" ist ein schnörkelloses, aber handwerklich großartiges Pop-Album, dass selten besonders abenteuerlustig daherkommt. Das Album allerdings brilliert vielmehr auf anderer Ebene: Selten hörte man Menschen queere (Lebens-)Freude so ansteckend ins Auditive umsetzen. In den besten Momenten möchte man sich mit dieser Platte auf der Couch einkuscheln und vom Verliebtsein träumen. Ein Gefühl mit dem sich auch der Mainstream zunehmend anzufreunden scheint: Während sie sich bei RCA gerade die Haare ausreißen, feiert die Band nun doch ihre ersten Billboard-Erfolge.

Trackliste

  1. 1. Silk Chiffon (feat. Phoebe Bridgers)
  2. 2. What I Want
  3. 3. Runner's High
  4. 4. Home By Now
  5. 5. Kind Of Girl
  6. 6. Handle Me
  7. 7. No Idea
  8. 8. Solid
  9. 9. Anything But Me
  10. 10. Loose Garment
  11. 11. Shooting Star

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