laut.de-Kritik
Der Herbst kommt. Mitten im Frühling.
Review von Yan TemminghoffVier Jahre liegt "The Ghost Of Orion" zurück, die Platte, die am Vorabend von Corona erschien und die Verdoomung der Menschheit akustisch begleitete. Heuer bricht wieder der Frühling an, und My Dying Bride lassen mit seelenmarternden Sehnsuchts-SloMo-Hymnen selbst die grünsten Blätter verwelken: Die Herbstplatte "A Mortal Binding" erscheint bereits im Frühling.
Dabei gehen die bleischweren Briten auf ihrem 15. Album abwechslungsreicher und ausufernder zu Werke als auf dem vergleichsweise kompakten Vorgänger. Der Teufel steckt wie so häufig im Detail. Der Opener "My Dominion" wartet mit abrupten Tempiwechsel auf. Die Terassendynamik macht den Longtrack "The Apocalyptist" zu einer emotionalen Achterbahnfahrt.
Das balladeske "A Starving Heart" wartet mit bittersüßer Melodik zwischen Dur und Moll auf, während Aaron Stainthorpe im abschließenden "Crushed Embers" stetig zwischen Klargesang und Kreischen pendelt. Man könnte auch sagen: Growl and Response.
Die rauen Gezeiten in Thornwyck Village stehen Pate für die Lyrics der ersten Single "Thornwyck Hymn". Die raue See, illustriert von schroffen Riff-Massiven, und der Irrglaube, die Natur übertölpeln zu können, tragen zum Reiz des Tracks bei: Eine einsame Geige spielt das Requiem für jene abenteuerlustigen Menschen, die sich zu nahe an die Klippen heranwagen. Klar ist, dass der Albumtitel nicht auf die letale Wirkung des Konsums von zu vielen Fernsehbieren verweist. Er bildet den roten Faden für die thematisch im Spektrum seelischer Verwerfungen und Verzweiflung angesiedelten Texte.
Ein besonderes Ohrenmerk gebührt der Produktion. Das in Yorkshire ansässige Quintett brilliert im wuchtigen wie wohltemperierten Zusammenspiel. Jedes Bandmitglied bekommt im Mix den fein austarierten Platz, um zur Geltung zu kommen. Ob nun der wuchtig-wummernde Bass von Lena Abé oder die schaurig-schöne Geige von Shawn Macgowan, alles hat seinen richtigen Platz, aber auch ureigenen Charme - trotz oder gerade wegen der 34-jährigen Band-Vita.
1 Kommentar
Ich hatte sie zwanzig Jahre aus den Augen verloren, aber mit diesem Album haben sie mich wieder eingefangen. Ich mag den Wechsel der Stimmungen in Aarons Stimme, neben dem ich mal in der Zeche Karl an der Theke gestanden habe, damals - bei meinem einzigen MDB-Konzert. Beeindruckend war‘s, auch als er bei der Zugabe die Menge mit den Worten „You are…the forever people!“ in Extase versetzte, aber ich schweife ab.
Sehr schönes Album, ein edles Spätwerk, dem hoffentlich noch viele folgen werden. Anspieltipps? Alles. 5/5