laut.de-Kritik
Wo ist das Tauschkonzert, wenn man es braucht?
Review von Michael Schuh"Heyihrliebnsoschönssihrdaseid!" Eine Begrüßung, die wunderbar passt. Nena ist schon lange das weibliche Mainzelmännchen der deutschen Popmusik: eine schrille Figur, die jeder kennt, immer super gelaunt. Gudn Aaaaamnd!
"Live At SO36" heißt ihr neuer Live-Tonträger, der dritte in 13 Jahren. Aber hey, im Essosechsndraisisch: Legendär! Punkrock! Oldschool! Was das mit Nena zu tun hat? Natürlich nichts, wobei "Oldschool" immerhin der Titel ihres aktuellen Albums ist, das hier abgefeiert wird, live dargeboten, wenige Tage nach der Veröffentlichung. Die-Hard-Fan-Alarm.
Und wieso jetzt SO36? Ein Wiedersehen mit einem alten, lieb gewonnenen Kultclub sei es für Nena, heißt es. Nicht künstlerisch natürlich, ihre Karriere startete ja gleich auf Minimum Deutschlandhalle-Ebene. Aber siehe da, sie wohnte Ende der 70er gleich nebenan, in der Oranienstraße, "sie war 18 Jahre jung, verliebt und bei jeder Gelegenheit im SO36", erklärt uns die Presseinfo.
Lang, lang ists her. Dreifache Großmutter ist sie mittlerweile, und anders als ihre US-Kollegin Madonna versucht sie nicht, ihrem Publikum das fortgeschrittene Alter zu verheimlichen. Sympathisch. Wenn sie es nur nicht ständig betonen müsste. Ach, Kinners, damals, wenn ihr wüsstet, wer war schon mal auf einem Stripes-Konzert? Nicht die White Stripes, sondern ihre erfolglose Band um 1980.
Ja: Lang, lang ists her! Nena-Konzerte sind im neuen Jahrtausend nichts anderes als Nostalgie-Happenings. Man will die alten Hits und vor allem: einmal selbst dabei gewesen sein. Ergo: Nena kann alles und vor allem sich alles erlauben, sogar einen Song der besagten Stripes bringen, den die Masse duldsam überhört. Dabei klingt der Text geradezu prophetisch: "I'm hoping for some sympathy / With a little luck maybe / I see you later on TV." Singt meinen verdammten Song, Kinder!
Wo, bitte, ist das Tauschkonzert, wenn man es dringend braucht? Aber das ist scheinbar nur mein Problem. Die Masse im SO36 ist heiß, und die Fernsehtante will rocken. Bis zum "Nur Geträumt"-Karaoke ist es ein steiniger Weg. "Hallo, Berlin, wo sind eure Hände?", brüllt eine männliche Stimme zur Eröffnung, und dann die bekannte weibliche: "Oh, Menno, Menno, Menno!" Nena nimmt mir die Worte aus dem Mund.
Wieso covert sie AC/DC? Oh, ist ja 'ne eigene Nummer vom Nena-Debüt 1983. Verrückt, womit man damals noch durchkam. "Immer wieder fall' ich auf die Nase und immer wieder steh' ich auf": Dieser NDW-Elektro-Rock bietet schon nette Unterhaltung, muss man zugeben. Alltag vergessen, Hirn abschalten, letzteres wahrscheinlich sowieso der Schlüssel zum Phänomen Nena.
Ihr neues Album "Oldschool" thematisierte vor allem zwei Dinge: Wie es ist, Nena zu sein, und was um einen herum geschieht, wenn man Nena ist. "Manchmal hol' ich meine alten Platten ausm Schrank / Und ich tanz' die ganze Nacht / Zu dem Rock'n'Roll und Funk / Tanz' im Licht vom Strobo / Quer durch unsere Wohnung / Mach' das Haus zur Disco / Jeder Song ein Ohrwurm." So ranzig das klingt, richtig übel wird es erst, wenn Nena aus ihrem Yoga-Tischkalender wieder ein paar Binsen abschreibt:
"Die ganze Welt dreht sich im Kreis / Alles rotiert hier so schön schnell / Wie ein Riesenkarussell" ("Kreis"). "Ich leb' bloß in dem Moment / Denk' nicht viel vor und zurück / Dabei bin ich konsequent / Denn sonst macht man sich verrückt" (...) "und ich weiß, es wird ein schöner Tag / Weil ich ihn zu einem schönen Tag mache" ("Sonnemond"). Und die Menge grölt. Es ist wie beim Glotzen des Homeshopping-Senders QVC, wo man sich auch immer fragt: Wie kann man darauf nur reinfallen?
Blendete man die Texte aus, man könnte am smarten Popsong "Sonnemond" eventuell Freude haben, die elendig eingängige Hook von "Ja Das Wars" mitpfeifen oder beim "Jumpin' Jack Flash"-Riff in der Sechs-Minuten-Version von "Leuchtturm" die Fäuste ballen. Bei "Irgendwie, Irgendwo, irgendwann" Uwe Fahrenkrog-Petersen gedenken, wie er damals die geilen Riffs aus seinem Umhängekeyboard schüttelte.
Doch Nena holt einen immer wieder runter, auch mit ihren Zwischenansagen: "Es gibt übrigens eine Mausi hier, die ich glücklich mache, wenn ich ihr 'Hallo' sage. Hallo, Mausi! Ich hab' von dir gehört, es soll dich glücklich machen." Die Phrasen werden schneller gedroschen, als Samy rappen kann.
Der "Oldschool"-Produzent war zwar nicht live dabei, gerappt wird trotzdem: "Und täglich sinkt das Niveau / Alles geht nur um die Quoten dieser Realityshow / Denn alles wirkt wie 'ne Show / Wenn alle Menschen nur posen." Dem bleibt wenig hinzuzufügen. Der kontinuierlich lange künstlerische Sinkflug der Nena Kerner hält weiter an, ihre Fans stört das nicht. Die fliegen weiter wie die Motten in das Licht.
11 Kommentare mit 14 Antworten
ungehört 1/5.
dürfte klar sein.
Vergrault mittlerweile Menschen generationsübergreifend! Toll!
schlecht informiert Benjos
Gute Rezension, witzig gschrieben! Da geb' ich mir ach lieber 99 Red Balloons von Goldfinger... ^^
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.
Ja, der Anfang des Konzert ist schon etwas arg aber ab der Mitte wäre man gerne dabei gewesen. Und das die alten Songs auch heute noch funktionieren ist geschenkt. Das ist ein .... 1, 2 oder 3 nein 4er Album. Plob und aus 4/5
Geiles Konzert, war nie Nena-Fan aber die Platte macht Bock
❤️