laut.de-Kritik

Kunst, Sadomaso, Heroin, Leben, Tod und eine verpasste Karriere.

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Die Band konnte nicht spielen, der Sänger nicht singen, mit ihren Klamotten fielen sie auf wie bunte Hunde und kein vernünftiger Mensch außer Malcolm McLaren ahnte voraus, dass sie einmal eine musikalische Revolution anzetteln würden. Im Oktober 1977 veröffentlichten die Sex Pistols unter der Ägide des PR-geschulten Subkultur-Auskenners ihr Debütalbum "Never Mind The Bollocks".

Schon zwei Jahre zuvor erprobte McLaren dieses Erfolgsrezept bei den New York Dolls, die zu diesem Zeitpunkt als Könige des New Yorker Rock'n'Roll-Undergrounds mit zwei wilden Studioalben vor dem Durchbruch stehen. Von Musikjournalisten in den Himmel geschrieben, von Plattenkäufern ignoriert. McLaren wollte helfen, dies zu ändern, aber es gelang ihm nicht.

Dass er als etatmäßiger Dolls-Manager fungierte und sozusagen schon mal für die Sex Pistols übte, scheint jedoch eine dieser unzähligen Legenden zu sein, die sich naturgemäß um Bands aus einer Zeit ranken, als erschwingliche Video-Camcorder noch als eine unerhörte Zukunftsvision der Aufzeichnungstechnik galten. McLaren suchte zwar die Nähe der Furious Five, erklärte der Band aber "nur etwa zwei Wochen lang seine Vermarktungsideen und dann lösten wir uns auf", wie Sänger, Harp-Spieler und Frauenschwarm David Johansen 30 Jahre später trocken resümiert.

Vielleicht war McLaren 1975 zu spät dran, vielleicht fungierte sein vieldiskutierter britischer Humor als soziale Barriere zu den Arbeiterkids, vielleicht dämpften die unregelmäßigen Zuschauerzahlen auf ihren Konzerten irgendwann den Glauben an den Ruhm, oder die (in den 1990ern gestorbenen) Dolls-Mitglieder Johnny Thunders (Gitarre) und Jerry Nolan (Drums) hatten den Selbstzerstörungsmodus via Heroin bereits aktiviert, das ist 40 Jahre später schwer zu ergründen. Als sicher gilt, dass McLarens Idee, die Dolls vor Hammer-und-Sichel-Fahnen auftreten zu lassen, von allen Beteiligten als albern empfunden wurde.

Als das legendäre Debüt "New York Dolls" im Juli 1973 erscheint, ist die vermeintliche Traumkarriere der Band für viele Beobachter bereits vorbei. Ab 1971 begeistern sie Lower Manhattan mit extravaganten Bühnenoutfits, Frauenklamotten und Plateaustiefeln, Eyeliner, Rouge und Lippenstift, Tüll und Tuch. Ihr CBGB's ist das Mercer Arts Center, ein Teil des Broadway Central Hotelgebäudes. Niemand zweifelt daran, dass die Revoluzzer in Strumpfhosen durch die Bank homosexuell sind.

Man wollte es anders machen als die anderen. Der Zeitgeist verlangte nach ausufernden Drum- und Orgel-Soli der Sorte Deep Purple, dem die Dolls eine gut geschminkte Portion Little Richard entgegen setzten. Wenig verwunderlich, dass dieses Debüt auch zum Geburtshelfer der Eagles Of Death Metal zählt. Zudem verehrten Johansen und Co. Lenny Kayes stilbildenden "Nuggets"-Sampler, der frühe Garage Rock-Bands wie The 13th Floor Elevators oder Question Mark & the Mysterians listete. Darin erkannte man die ultimative Definition von Punkrock. Kaye wurde später übrigens Gitarrist von Patti Smith.

Dolls-Rhythmusgitarrist Syl Sylvain erklärte die eigene Scheißegal-Haltung so: "Die New York Dolls, das ist Halloween, 365 Tage im Jahr." Neben dem optischen Fun-Faktor waren da glücklicherweise noch Songs, die in ihren besten Momenten dem Bösewicht Rock'n'Roll den Dolch mit einer Wucht ins Herz rammte, dass dem Publikum der Atem stockt. 1972 supporten sie als erste Band der Rockgeschichte, die keinen Plattenvertrag besitzt, einen Superstar: Rod Stewart in England. Kritik und Publikum sind vom roh-rumpelnden Rock'n'Roll begeistert, da ertrinkt Drummer Bill Murcia auf einer Party in einer Badewanne, in die ihn Gäste schleppen, nachdem er von einem Drogencocktail ohnmächtig wird.

Die Band steht vor der Trennung, da drängt sich Drummer Nolan auf, ein langjähriger Dolls-Fan. Für ihn geht ein Traum in Erfüllung und er setzt alles daran, sein Idol Murcia adäquat zu ersetzen. Ein ähnliches Szenario wie 1988, als John Frusciante für den verstorbenen Hillel Slovak zu den Chili Peppers stößt. Erst nach sechs weiteren Monaten traut sich Mercury, es mit dem wilden Subkultur-Thema und Live-Phänomen zu versuchen.

"New York Dolls" erreicht zum Zeitpunkt der Veröffentlichung kein Publikum und steht somit in einer Linie mit lange verkannten Album-Klassikern wie "Kick Out The Jams" (MC5, 1968) oder "Raw Power" (The Stooges, 1973), um zwei geistesverwandte Bands zu nennen. In seiner Herangehensweise des musikalisch genialen Dilettantismus, der in fett rockende Drei-Minuten-Songs mündet, fällt die Scheibe etwas aus der Zeit. T.Rex waren vielleicht poppiger und die aufgrund von Johansens stimmlicher Nähe zu Jagger oft genannten Stones bluesiger; so richtig verstehen will man trotzdem nicht, dass "New York Dolls" nicht funktionierte (Platz 116 der US-Charts, das Folgealbum "Too Much Too Soon" Platz 167).

Mit elf furiosen Drei-Akkorde-Rocksongs, produziert von Todd Rundgren, war die Saat für den Durchbruch eigentlich gelegt, doch die Zeit zum Wachsen fehlte. Die Früchte sollten später andere ernten: Die Pistols, Ramones, Clash, Talking Heads, aber auch Hardrocker wie Kiss und Aerosmith.

Kunst, Sadomaso, Heroin, Leben, Tod: Die Dolls nehmen den lyrischen Faden ihrer New Yorker Altvorderen Velvet Underground auf. Das Fuck Off, das die in schwarzes Leder gekleidete Gang um Lou Reed den Hippies entgegen schleuderte, richten die Dolls gegen den zunehmenden Perfektionismus im Rockbusiness.

Songs wie "Personality Crisis" (mit großartigem Chuck-Berry-Lick), "Bad Girl" oder "Jet Boy" klingen hart, dreckig, brutal und degeneriert. "Frankenstein" ein aufrüttelndes Stück Teenage-Angst, "Looking For A Kiss" eine herzzerreißende Ode an die Liebe. Johansen eröffnet den Hit im prahlerischen Stil eines Rappers: "When I say I'm in love, you best believe I'm in love, L - U - V!" Anders als zwei seiner Kollegen, ist er eben nicht auf der Suche nach dem nächsten Schuss, sondern dem nächsten Kuss.

Wie bei den Stooges finden sich mit "Lonely Planet Boy" und "Private World" auch akustische Nummern auf der Platte, die den Drive runterbremsen, wobei letzterer mit Handclaps und poppigen Powerchords auch im Albumkontext aus der Reihe fällt. Das grandiose "Subway Train" überstrahlt die Platte als eine der großen Außenseiterhymnen: Johansen fährt U-Bahn, um der Trostlosigkeit seines Daseins zu entgehen, die Straßenschluchten Manhattans als "Boulevard Of Broken Dreams".

Die Lipstick Traces der New York Dolls wirken bis heute nach. Nicht nur Green Day oder My Chemical Romance tragen nach wie vor ehrfürchtig Mascara auf, auch Michael Stipe, The Libertines, Manic Street Preachers, Black Lips, Hanoi Rocks oder Teenage Fanclub zählen zu ihren Bewunderern.

Morrissey coverte ihre Songs und bringt die Band 2004 für das Meltdown Festival noch einmal mit den Überlebenden Sylvain, Bassist "Killer" Kane und Johansen auf die Bühne. Als zwei Jahre später das dritte Album "One Day It Will Please Us To Remember Even This" erscheint, ist auch Kane tot. Ähnlich wie beim enttäuschenden Stooges-Spätwerk "The Weirdness" (2007) spricht darüber heute niemand mehr. Es sind ihre beiden 70er LPs, die überleben werden. Die ganze Tragik der Bandgeschichte vermittelt ein Q Magazine-Zitat Kanes von 1995: "Ich verdiene am Guns N' Roses-Cover von 'Human Being' mehr als an den New York Dolls."

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Personality Crisis
  2. 2. Looking For A Kiss
  3. 3. Vietnamese Baby
  4. 4. Lonely Planet Boy
  5. 5. Frankenstein
  6. 6. Trash
  7. 7. Bad Girl
  8. 8. Subway Train
  9. 9. Pills
  10. 10. Private World
  11. 11. Jet Boy

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