Seite 49 von 50

Platz 2: Wanda - "Bei Niemand Anders"

Wanda? 2024? Ernsthaft? Waren die nach ihrem Debüt nicht eigentlich abgefrühstückt?

Ja, ernsthaft. Gebt ihnen noch einmal eine Chance. Erschienen Wanda auf ihrem fünften Album "Wanda" 2022 mehr als auserzählt, nötigte ihnen das Leben seitdem einen Neuanfang ab. 2024 erkennt man sie zwar wieder, dennoch unterscheidet sich ihr Album "Ende Nie" deutlich von den Vorgängern.

Damals funktionierte ihre Mischung aus postpubertärem romantisierten Selbstzerstörungs- und Todeswunsch, kombiniert mit Machotum, (Bitte nicht mit Depression verwechseln) ein einziges Mal, allerdings genau auf den Punkt. Als im September 2022 Keyboarder Christian Hummer langer, schwerer Krankheit starb, war jedoch Schluss damit. Wenige Monate später starb auch Marco Wandas Vater. Das Leben zeigte, wie deppert und unnachgiebig es wirklich sein kann.

"Ich wollte eigentlich überhaupt keine Platte schreiben, aber die Not der Situation, die Tragik und die damit verbundenen, sehr schwer zu ordnenden Gefühle haben mich ans Klavier gezwungen", erklärte der Sänger in einem der wenigen Promo-Interviews zum Album gegenüber dem Standard. "So schlecht es uns persönlich ging, so viel Spaß hatten wir am Musikmachen. Das war in den ganzen Monaten der einzige Lichtblick für uns." Später entschied man sich, aufgrund der offenen Wunden keine weiteren Interviews zum Album zu führen.

Bei weitem nicht alles auf "Ende Nie" funktioniert. Zu sehr stolpert die nun nur noch aus drei Musikern bestehende Band auf der Suche nach ihrem neuen Ich. Verständlicherweise. Wenn aber alles zusammen kommt, wenn sie ihre geschundenen Seelen ganz in die Musik fließen lassen, entstehen große Songs wie der Titelsong, "Jeder Kann Es Sein" oder eben "Bei Niemand Anders". Der Song, den Marco Wanda am traurigen Silversterabend 2022 mit Gedanken an Hummer und seinen Vater schrieb und den die Band nun ihrem verstorbenen Keyboarder widmet.

Die Adern, die früher Alkohol anstelle von Blut transportierten, zeigen heute deutliche Scharten. Das Herz hat einen deutlichen Schmiss bekommen. Wer selbst bereits nahestehende Menschen verloren hat, kann den Unterschied zwischen gespielter Trauer und der hier deutlich vorgetragenen wirklich erlebten klar erkennen. Man erkennt einander an den Narben. In "Bei Niemand Anders" knubbelt Wanda an der Kruste seiner noch offenen Wunden, schreibt mit dem Blut aus eben diesen, ganz ohne Kitsch.

Dabei verliert er sich in dem voll herzzerreißender Intimität und dezent arrangierten "Bei Niemand Anders" nicht in Selbstmitleid. Viel mehr schreibt er eine voller Trost steckende Liebeserklärung: "Bei niemand anders werd' ich sein, wenn das alles zugrunde geht / Bei niemand anders werd' ich sein, wenn die Welt untergeht / Und deine Angst vor dem Ende / Ist so alt wie die Menschheit selbst / Und wenn du glaubst, dass es endet / Bin ich da und ich halt' dich fest."

Darauf eine Träne für jeden Menschen, den wir verloren und jedes Drama, das wir durchlebt haben.

[von Sven Kabelitz]

Seite 49 von 50

Weiterlesen

2 Kommentare

  • Vor 8 Tagen

    Das ist so eine schöne Rezension! Ich fühle mit. Das Lied ist sicher kein Highlight der Musikakrobatik, aber es ist tiefste Emotion - und das erstaunlicherweise ohne dabei platt oder kitschig zu wirken.

  • Vor 6 Tagen

    Da berufe ich mich auf das Johnny-Cash-Phänomen und behaupte, ohne die Hintergrundinfos würde der Track überhaupt nicht auffallen. Ich kann seltenst Songs etwas abgewinnen, zu denen man erst eine Einführung benötigt.