Die Pop-Ikone der Nullerjahre schreibt ihre Geschichte selbst. Dabei geht sie erstaunlich offen mit den Schattenseiten ihres Ruhms um.

Calabasa (rnk) - "Hier auf den Steinen liegend fühlte ich mich Gott ganz nahe", steht im Prolog von "The Woman in Me". Der Einstieg in Britney Spears' Autobiografie erfüllt genau das Bild eines Kindes, das in dem ganzen Trubel der Welt nur einen ruhigen Platz braucht, endlich einmal eine Pause von der sonst so traurigen Existenz. Der Vater ist Alkoholiker, die Mutter narzisstisch. Wie in zahlreichen anderen Biografien über Sängerinnen, liegt der Ausgangspunkt für eine spätere Weltkarriere auch hier erst einmal ziemlich weit unten in der Gesellschaft.

Was viele Erzählungen aus solchen nicht einfachen Kindheiten eint: In den Gesangsstunden fühlen sich die späteren Weltstars wirklich zuhause und finden einen Ort, an dem sie ihre Traurigkeit endlich vergessen können. Musik bietet eine Option, um der Welt zu entfliehen. Gerade einer fragilen Persönlichkeit liefert sie zudem eine Form der Struktur innerhalb einer dysfunktionalen Umgebung. Die Tragik liegt, laut Spears, bei ihr bereits in den Genen, reicht bis zu ihren Großmüttern zurück. Am Grab ihres Sohnes, acht Jahre nach seiner Geburt, begeht Emma Jean Spears Selbstmord, ihre andere Großmutter ertrinkt im Pool.

Isn't she lovely, this Hollywood girl?

Gerade zu Anfang ihrer Karriere musste Britney Spears auf Wunsch der Plattenfirma die Rolle eines unterschwellig erotischen, aber auch enthaltsamen Popstars spielen. Ihre Jungfräulichkeit war ein großes Thema in der Boulevardpresse, ähnlich wie ihre Oberweite. Man stelle sich vor, ein Reporter hätte damals ein Boygroup-Member nach seiner Penislänge gefragt. Wir sprechen hier von den sexistischen Nullerjahren, nicht von der Self-Empowerment-Ära einer Beyoncé oder Taylor Swift.

Dabei ist die junge Britney durchaus kein Kind von Traurigkeit: erste Cocktails und Zigarren schon zu frühen Teenager-Zeiten, das erste Mal Sex in der neunten Klasse mit dem Bad Boy der Schule. Ein nettes, naives Kind scheint sie zu sein, zumindest in ihrer eigenen Erzählung. Die Plattenfirma-Menschen, allesamt ältere Männer, geben ihr das Gefühl eines Onkel- oder Vater-Ersatzes. Das Vater-Thema bleibt eine große Konstante in ihrem Leben.

Was sonst noch auffällt: Schon früh presst diese Industrie alles aus dem noch gar nicht erwachsenen Menschen heraus. Weltweite Flüge zu Produzenten, nonstop Auftritte in Kaufhäusern: Wie sollte jemand in dieser prägenden Lebensphase überhaupt eine stabile Persönlichkeit entwickeln? Warum schickt man einen damals 17-jährigen Teenager zu quasi soft-pornösen Lolita-Aufnahmen? Die späteren dunklen Wolken sieht man schon hier aufziehen, da auf einen naiven Teenie aus der Provinz nun zusammen mit dem Ruhm auch Ablehnung einprasselt. Britney scheint nun zwei Leitsternen zu folgen: Gott, und wo der nicht hilft gibt es ja noch Antidepressiva und Adderall.

Don't you know that you're toxic?

"The Women in Me" böte eigentlich eine Chance, eben nicht den Männern ihre Fantasie und das Narrativ zu überlassen, aber fatalerweise bedient Spears häufig dieses Klischee. Ihr Schreibstil und ihre noch Jahre später ziemlich naive Sichtweise lassen nicht unbedingt eine reife Frau erkennen. Immerhin räumt sie mit Justin Timberlakes Rolle des Guten auf. Der sang damals in "Cry Me A River" noch ziemlich eindeutig über seine Ex.

Glaubt man der Sicht von Spears, ergibt sich ein weitaus anderes und ziemlich düsteres Bild. Ihr zufolge geht Timberlake fremd, prahlt noch während der gemeinsamen Beziehung mit seinen Affären und drängt Britney zum Schwangerschaftsabbruch. Die Beschreibung der stundenlangen Krämpfe und Schreie auf dem Boden des Badezimmers liest sich absolut erschütternd. Ebenso wie die Geschichte einer lieblosen Kündigung per SMS kurze Zeit später. Das Image des cleanen Nice Guys Timmberlake bekommt in ihrer Erzählung ordentliche Kratzer. Justin kündigte bereits einen Song an, in dem er sich mit den Vorwürfen auseinandersetzen möchte. Auch Britneys Mutter Lynne und ihre Schwester Jamie prüfen bereits rechtliche Schritte.

Natürlich muss man als Leser immer daran denken, dass wir kein neutrales Buch vorliegen haben, sondern nur eine Perspektive gezeigt bekommen. Was davon dem Fakten-Check standhält, wird man leider vielen weiteren Klagen und deren juristischer Aufarbeitung entnehmen müssen. Die Offenheit, die mitunter wirkt, als stamme sie ohne Lektorat direkt aus Tagebüchern, bleibt jedenfalls erstaunlich, aber auch verständlich für einen Menschen, der so lange eine Rolle spielen musste.

Free Britney!

Auch wenn viele schlechte Männer in Britneys Leben auftauchen, scheint sie keinen besonderen Groll oder gar Hass zu spüren. Wer ständig Streit und Eskalation erlebt, sucht eben keine Konfrontation mit der ganzen Welt. Es kommt eher das Bild eines Familienmenschen durch, der ganz in der Rolle als Mutter aufgeht und nur noch Ruhe vor dem Paparazzi-Wahn möchte. Oder vor vielen miesen Parodien, wie damals vom niederträchtigen Oliver Pocher, der sich wie viele andere über ihren mentalen Downfall in den Nullerjahren lustig machte. Auch Sarah Silverman, für gewöhnlich an die zwanzig Galaxien besser als der germanische Stumpf-Komiker, springt nicht für Britney in die Bresche, sondern machte sie stattdessen auf einem Event zum Gespött. Auch hier darf man fragen, wo viele der Kolleginnen, die heute so prestigeträchtig ihren Feminismus propagieren, denn waren, als es mit Spears eine Zeit lang stark abwärts ging.

Allerdings sucht die Sängerin im Laufe des Buches laufend nach Ausreden. Irgendjemand beeinflusst sie immer negativ und schubst sie in die falsche Richtung. Verantwortung zu übernehmen, lernt sie in den Jahren der Bevormundung kaum, sie scheint damit überfordert. Überhaupt klappert Britney viele Boulevard-Themen ab, doch über ihre Musik erfährt man erschreckend wenig. Sie trägt selbst dazu bei, ein Thema für die Klatschpresse zu bleiben, die sie unentwegt mit pikanten Infos füttert.

Alles klingt wenig selbständig. Immer kommt ein "Mein Mann sagt, die Fans sagen, alle meinen", auch wenn Britney gerade zum Ende des Buches affirmativ ein "Ich bin stark"-Mantra aufführt. Trotz kommt zwar durch, aber letztlich hört sie eben doch auf die anderen. Auch die "Free Britney"-Bewegung ihrer Fans musste erst einen Weckruf an die notorisch Gutgläubige richten, damit die die lange Vormundschaft ihres Vaters beendete. Ein musikalischer Befreiungsschlag, der sie endlich wieder aus der Klatschpresse herausholt, steht weiterhin aus.

So bleibt für den neutralen empathischen Leser der Wunsch, dass Britney Spears nach so vielen Enttäuschungen und toxischen Beziehungen nun endlich Selbstbewusstsein findet. Sie sei angekommen, bescheinigt sie sich selbst zum Schluss. So richtig glauben kann man das nicht. Dennoch: Leave Britney finally alone, sie schuldet uns nichts mehr. Einen Chartserfolg hat sie ja immerhin wieder zu vermelden: "The Woman In Me" belegt weltweit die Nummer eins der Besteller-Listen.

Fotos

Britney Spears

Britney Spears,  | © SONY BMG (Fotograf: Mark Liddell) Britney Spears,  | © SONY BMG (Fotograf: Mark Liddell) Britney Spears,  | © SONY BMG (Fotograf: Mark Liddell) Britney Spears,  | © SONY BMG (Fotograf: Kate Turning) Britney Spears,  | © SONY BMG (Fotograf: Kate Turning) Britney Spears,  | © SONY BMG (Fotograf: Frank Micelotta) Britney Spears,  | © SONY BMG (Fotograf: Frank Micelotta) Britney Spears,  | © SONY BMG (Fotograf: Frank Micelotta)

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1 Kommentar

  • Vor einem Jahr

    … Sie sei angekommen, bescheinigt sie sich selbst zum Schluss …

    Wird halt durch peinliche Social Media Auftritte, in denen sie paralysiert halbnackt an der Stange (nennen wir es) tanzt, gnadenlos konterkariert.

    Ich fürchte sie wird halt doch noch für eine gute Maisernte sorgen.