"Generation Golf" im Kohlerevier: Musik, Mixtapes, Rockpalast, VfL Bochum, Boris Becker, Politdemos, Videotheken und natürlich Mädchen.

Konstanz (mis) - Fangen wir mal mit einem harmlosen Spoiler an: Der Eurythmics-Hit gleichen Namens kommt in "Sweet Dreams - Rücksturz in die Achtziger" gar nicht vor. Das ist schade. Behandelt das Buch doch jede Menge der faszinierenden und belächelnswerten Begleitumstände im Leben eines damals Heranwachsenden, für die die 1980er Jahre bis heute berühmt sind. Herbert Grönemeyer begegnet uns allerdings auch nicht, obwohl "Sweet Dreams" sicher so viel Ruhrpott atmet wie "4630 Bochum". Das ist angenehm.

Ein Grund dafür ist sicherlich, dass Frank Goosens Ich-Erzähler seinerzeit nicht "Tief im West-öhnnn" grölt, sondern Paul McCartney-Solosongs zitiert, maßgeblich da die Beatles, zu seinem ausdrücklichen Leidwesen, 1980 bereits aufgelöst sind (für die Reihe "KiWi Musikbibliothek" schrieb Goosen bereits über die Fab Four). "Sweet Dreams" beginnt mit dem Satz: "Als die Achtziger ausbrachen, war ich dreizehn, und als sie zu Ende gingen wie eine Krankheit, von der man sich erholt, war ich vierundzwanzig". Zahlreiche Traumata einer Teenagerzeit im sich strukturell wandelnden Kohlerevier Bochum sind daher von Beginn an vorgezeichnet. Seinen persönlichen "Rücksturz in die 80er" behandelt Goosen mit einer Mischung aus Ungläubigkeit, entwaffnender Selbstironie und jenem Sarkasmus, der einem das Verstehen gewisser, angeblich selbst verursachter Handlungen mit dem Abstand mehrerer Jahrzehnte erträglicher macht.

Trio live in Bochum 1982

So fungiert "Sweet Dreams" als Goosens persönliches "Generation Golf", nur dass er selbst kein Auto fährt, sondern stets Mitfahrer ist und Golf zwar im Roman auftaucht, aber als Sportart. Seine Kumpels heißen Pommes, Mücke und Spüli, mit denen er viele kuriose Erlebnisse teilt, darunter zu meiner großen und von Neid zerfressenen Freude ein Trio-Konzert 1982 in der relativ frisch eröffneten Zeche. Depeche Mode kommen nur indirekt in Form der Erwähnung des Songs "Master And Servant" vor, was ich als Mindestanforderung an eine ernstzunehmende (musikalisch gefärbte) 80er-Jahre-Lektüre jedoch gelten lassen würde.

Ansonsten steht der junge Goosen auf den Rockpalast, den VfL Bochum und Mädchen, die Reihenfolge verändert sich. Für seine Sicht auf die Jugend der 80er Jahre reklamiert er im Rückgriff auf den erwähnten Bestseller von Florian Illies den Terminus "Generation Mixtape". Tatsächlich füllt Goosen gleich reihenweise Seiten mit den vielschichtigen Bedeutungsebenen und möglichen Folgewirkungen, die eine konzentriert für die Schneider Kompaktanlage erarbeitete Liederabfolge auf Kassette (TDK C-90) beim anderen Geschlecht bewirken kann. Dieses trägt vor allem Mitte des Jahrzehnts vorwiegend "Kim-Wilde-Vogelnest-Frisuren", ein Look, den Goosen später kenntnisreich mit der Hair-Metal-Bewegung in Verbindung bringt.

Die Compact Disc - ein völlig neues Klangerlebnis

Weitere Themen seiner 80er-Jahre-Jugend sind Polit-Demos, der Walkman, die Schwarzwaldklinik, Boris Becker, Fiege Pils, Zauberwürfel, Videotheken, deren Erotik-Abteilungen und natürlich das für Jugendliche einschneidendere Erlebnis im Vergleich zu Tschernobyl: das Aufkommen des CD-Players. Da Pommes 1985 als erster aus Goosens Freundeskreis dieses technische Wunderwerk besitzt, lädt dieser in einem der schönsten Kapitel zu sich ein, um ihnen das völlig neuartige Klangerlebnis anhand der Dire Straits-CD "Brothers In Arms" ("die gab es gratis dazu") persönlich vorzuführen. Um die Unzerstörbarkeit dieses neuen Tonträgers zu rühmen, versteigt sich Pommes zu dem Satz "Im Fernsehen hat einer Honig draufgeschmiert und die lief trotzdem noch wie 'ne Eins". Eine Bemerkung, die nicht folgenlos bleiben sollte.

Der Mauerfall beendet das Jahrzehnt mit einem Knall, und auch wenn Goosen das ähnlich sieht, kann er sich doch nicht dazu durchringen, das Buch hier enden zu lassen, sondern wagt noch einen Zeitsprung ins Jetzt, wo sich seine Protagonisten bei einem Klassentreffen wiedersehen. Was nichts daran ändert, dass Frank Goosen mit "Sweet Dreams" ein kurzweiliger und witziger Roman gelungen ist, für dessen Genuss allerdings eine gewisse Sympathie für pubertierenden Jungs-Humor unerlässlich ist.

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