Charlotte Brandi
Wie waren die bisherigen drei Monate im Lockdown? Kreativ oder depressiv?
Charlotte Brandi: Nachdem der erste lähmende Schreck überwunden war, wurde ich ultra kreativ. Die verordnete Stille für alle hat mir den Druck genommen, sozial sonderlich aktiv sein zu müssen, was mir eh nicht soooo liegt. Ich habe meine ersten deutschsprachigen Songs geschrieben und aufgenommen, Gedichte geschrieben, gemalt, Schach gelernt, das Übliche, was man jetzt von vielen Leuten hört. Unterm Strich war mein Rhythmus entspannter und besonnener als sonst, und das tat meiner Kunst in Schüben sehr gut.
Wie wird dich der Lockdown prägen? Gibt es Erkenntnisse oder Konsequenzen, die sich aus einem viertel Jahr Stubenhocken für dein Business ableiten lassen? Oder hofft man einfach, dass sich die Lage in den kommenden Monaten wieder normalisiert, und es so weitergehen kann wie in den Jahren zuvor?
Körperkontakt wird für mich grade ein unschätzbarer Wert, das war mir vorher nicht bewusst. Einen Freund zu drücken, sich Sachen ins Ohr zu flüstern, küssen, sich nahe sein - alles total unterschätzt gewesen, da tut Corona definitiv nur Schlechtes. Man ist als Musikerin ja nach einiger Zeit in Sachen Unsicherheit so abgebrüht, dass einem Menschen, die ihr Leben in vermeintlicher Sicherheit planen, jetzt nur leid tun können. Als Selbstständige wusste man schon immer, dass jederzeit alles passieren kann, egal, wie viel Energie man in eine Sache gesteckt hat, Naturgesetze fragen da nicht nach.
In Kürze wird es unter Auflagen wieder erste Konzerte geben. Wie siehst du diese Entwicklung und was steht bei dir in naher Zukunft an?
Ich bin gerade auf Theaterprobe in Heidelberg für das Sommertheater, welches auf nächstes Jahr verschoben wurde. Die Arbeit macht mir großen Spaß, und ich freue mich darauf, das Stück mit meiner Musik auffüllen zu dürfen. Eigene Konzerte müssen jetzt klug und eher spontan organisiert werden, aber da findet sich entweder ein Weg, oder man kommt eben anders zurecht, das wird die Zeit jetzt zeigen.
Rechnen sich überhaupt Konzerte, wenn in nächster Zeit nur noch ein Bruchteil der Leute kommen darf?
Nö, wahrscheinlich nicht. Aber den Erfahrungswert habe ich bisher noch nicht.
Was kann man tun, um sich als Musiker*In finanziell über Wasser zu halten? Rächt es sich gerade in der Coronakrise, dass Musik als Kulturgut regelrecht entwertet wurde?
Das kann ich nicht für andere beantworten. Ich persönlich weiß, was ich wert bin und muss es, wie jeder andere auch draußen in der Welt selbstständig verteidigen. Was mir Mut macht, ist, dass es gerade eine Zeit der Aufschreie ist. Es ist essenziell, dass jede/r, der/die sich gerade benachteiligt fühlt, das auf kluge und laute Art äußert, damit sich Dinge, u.a. für Kulturschaffende, ändern. Wenn nicht jetzt, wann dann?
Wie ist die Situation konkret für dich: Fühlt man sich angesichts gewaltiger Kurzarbeitergeld-Volumina etc. vom Staat im Stich gelassen? Man hat ja das Gefühl, dass Freiberuflern bzw. der Kulturbranche erst zuletzt geholfen wird - oder kommt man auch in den Genuss eines finanziellen Schutzschirms und/oder anderer Hilfen?
Ich habe von der IBB Geld bekommen, das ging schnell und unkompliziert. Aber die Ungewissheit bleibt: Wie lange wird das reichen? Was kommt danach? Ich persönlich bin kinderlos und gerade mal wieder richtiggehend froh darüber. Ich als Musikerin, die sich ihre Freiräume früh genug erschaffen musste und lernen musste, die zu verteidigen, fühle mich relativ gut in meinem Leben aufgehoben, da es wie gesagt nie besonders sicher gewesen ist. Aber mir tun vor allem andere leid, Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind und ihre Kraft täglich ganz genau einteilen müssen, um nicht zusammenzubrechen. Das Wort "Solidarität" möchte ich tiefer verstehen lernen und mehr als bisher in meinem Alltag umsetzen.
Charlotte Brandi war bis 2018 Sängerin von Me And My Drummer. 2019 erschien ihr Solodebüt "The Magician".
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