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Still Ugly

In England fiel derweil diese Woche bereits ein Urteil. Am Montag sprach eine Jury Slowthai frei, der von zwei Frauen aufgrund von Vergewaltigung angeklagt wurde. Als das Gericht den Rapper nach zehn Stunden Beratung in allen Anklagepunkten für unschuldig befand, brach er in Tränen aus. Auch den Mitangeklagten Blake Weller sprach die Jury von den gegen ihn vorgebrachten Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs frei. Beide Angeklagten widersprachen zuvor sämtlichen Vorwürfen.

Bei der Tat, die sich 2021 zugetragen haben soll, hatten der Rapper und sein Freund laut der Anklage angeblich zwei Frauen, die sie zu sich nach Hause eingeladen hatten, erst von ihren Freunden isoliert und dann abwechselnd vergewaltigt. Beide Beschuldigten gaben zu, dass sexuelle Aktivität stattgefunden habe, behaupteten allerdings, alle sexuellen Handlungen seien konsensuell geschehen.

Joa, ne. Da haben wir den Salat. Wie will man Consent nachträglich beweisen? Dieser Freispruch heißt im Grunde gar nichts. Weder, dass Slowthai wirklich unschuldig ist, noch, dass er es getan haben muss. Wobei ich angesichts seines sonstigen Auftretens (kleiner Reminder) zumindest einen persönlichen Bias habe. 99 Prozent aller Vergewaltigungs-Klagen im UK enden ohne Verurteilung, da kann man sich seinen Teil darüber denken, auf welcher Seite das Gericht in den meisten Fällen steht. Rein statistisch kann man sich nämlich ziemlich sicher sein, dass nicht alle dieser 99 Prozent Falschbeschuldigungen sind.

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1 Kommentar mit 11 Antworten

  • Vor einem Tag

    Oh Mann. „99 Prozent aller Vergewaltigungs-Klagen im UK enden ohne Verurteilung, da kann man sich seinen Teil darüber denken, auf welcher Seite das Gericht in den meisten Fällen steht. Rein statistisch kann man sich nämlich ziemlich sicher sein, dass nicht alle dieser 99 Prozent Falschbeschuldigungen sind.“
    Ich weiß nicht, woher diese Zahlen stammen, ob sie korrekt sind usw. Wenn sie es sein sollten (was mich überraschen würde) stellt sich wie fast immer die Frage: „Und jetzt?“, bzw. besser formuliert: „Was folgt daraus (dass „statistisch gesehen“ nicht 99% aller Beschuldigungen falsch sind)?“
    Wenn es in 20% der Fälle zu einer Verurteilung käme, was würde das für die anderen 80% bedeuten? Wenn es in 99% der Fälle zu Verurteilungen käme, wäre es dann „statistisch gesehen“ nicht so, dass sehr wahrscheinlich die eine oder andere Fehlverurteilung darunter wäre? Und dann?
    Mit anderen Worten: was sollen der zitierte Absatz bedeuten, was soll daraus folgen? Dass es schwierig ist, im Nachhinein „die Wahrheit“ herauszufinden? Das ist doch offensichtlich.
    Natürlich werden Menschen freigesprochen, obwohl sie tatsächlich eine Tat begangen haben. In aller Regel nicht, weil sich das Gericht „auf ihre Seite gestellt“ hat, sondern weil es Restzweifel hatte. Und natürlich werden Menschen verurteilt, obwohl sie die Tat nicht begangen haben. Und das sind die deutlich gravierenderen „Fehlurteile“, die für eine Gesellschaft ungleich schwieriger auszuhalten sind - bei allem Respekt für Opfer, bei denen die zu ihrem Nachteil begangenen Taten ungesühnt bleiben.

    • Vor einem Tag

      Die Zahlen werden auch hier erwähnt bzw stammen vielleicht auch von dort:

      https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgesch…

      „Im vergangenen Jahr wurden in England und Wales 144.000 Frauen vergewaltigt oder erlebten versuchte Vergewaltigung. Im selben Jahr wurden 1.439 Personen wegen Vergewaltigung verurteilt.“

    • Vor einem Tag

      Danke Caps, passt ja auf den ersten Blick. Wobei dabei zu berücksichtigen wäre, wie viele Taten die Verurteilten jeweils begangen haben. Wenn das im Schnitt 10 pro Täter sind, wären bereits 10% der Taten verurteilt.
      Ich vermute, die 144 T sind außerdem die Taten inkl. Dunkelziffer. Die meisten Sexualdelikte werden nicht angezeigt. Dass dann keiner verurteilt wird, ist der Justiz nicht vorzuwerfen- sie weiß davon ja nichts.
      Ich kann mir beim schlechtesten Willen nicht vorstellen, dass es nur in 1% der angeklagten Taten zu einer Verurteilung kommt. Das wird aber oben behauptet.
      Mich nervt an dem Beitrag oben neben der Unsicherheit der Zahlen, dass er vermutlich an der rechtlichen Realität (so sie in England ähnlich wie in D sein sollte) vorbeigeht. Es ist nicht Aufgabe eines Statfgerichts, sich „auf eine Seite zu stellen“, das ist Blödsinn. Ebenso wenig ist es Aufgabe eines Strafgerichts, die Unschuld festzustellen. Es prüft, ob sich der Angeklagte nach sicherer Überzeugung des Gerichts strafbar gemacht hat, das ist der (alleinige) Maßstab, nicht mehr, nicht weniger. Was „wirklich“ war, wissen nur die Beteilgten - und selbst die haben jeweils einen subjektiven Blick auf das Erlebte, der stark von dem des anderen abweichen kann.

    • Vor 22 Stunden

      Ich finde es sowieso grundsätzlich schwierig, in Fällen von Sexualstraftaten bei den Statistiken mit relativen Zahlen zu arbeiten. Letztlich gibt es eben immer eine Dunkelziffer oder unklare definitorische Rahmen. Es kursiert ja seit Jahren immer wieder die Zahl, dass nur 2% aller Anklagen sich als Falschanschuldigungen erweisen, was allerdings nicht repräsentativ ist, wenn es in vielen Fällen und aus verschiedenen Gründen überhaupt nicht erst zu einer Anklage kommt. Darüber hinaus haben zumindest meine Recherchen ergeben, dass die Zahl von 2% so nicht stimmt und wohl eine Erfindung einer Politikerin während einer Rede gewesen sein soll (zumindest ist das die früheste Quelle), Kriminalstatistiken aus Amerika führen demnach wohl 8-10% Anteil an Falschanschuldigungen an. Wobei die Untersuchung, die sich damit beschäftigt, auch widerum von 2000 ist.

      Grundsätzlich wäre auch, selbst wenn es tatsächlich stimmen würde, rein methodisch betrachtet der Rückschluss falsch, dass wenn nur 2% aller Anklagen sich als falsch erweisen damit automatisch von einer 98% Wahrscheinlichkeit der Schuld in jedem individuellen Fall auszugehen ist.

      Und darüber hinaus finde ich, dass neben der gesellschaftlichen Problematik im Umgang mit Sexualstraften immer wieder unterschätzt wird, dass es sich dabei auch einfach um schwer zu klärende forensische Fragestellungen handelt. Wir können den Opfern so viel glauben, wie wir wollen (was ich auch per se nicht verkehrt finde), wenn aber absolut keine Beweise und Nachweise einer Tat vorhanden sind, sind einem automatisch die Hände gebunden. Die Unschuldsvermutung, so unpraktisch sie in diesen Fällen auch zu sein scheint, ist letztlich ein juristischer und ethischer Standard, der irgendwo auch die Rechte von Angeklagten schützen soll.

    • Vor 14 Stunden

      @lei: sorry für den etwas harschen Tonfall. Bin da berufsbedingt etwas empfindlich.
      @cooler typ: genau, die praktischen Hauptprobleme liegen in aller Regel darin, dass es konkret keine „neutralen“ Beweismittel und abstrakt eine nicht unerhebliche Anzahl von Falschbeschuldigungen gibt, sodass der Maßstab für den Nachweis einer Tat recht hoch angesetzt ist.

    • Vor 11 Stunden

      Ich hatte gestern keine Zeit mehr darauf einzugehen: Wenn das wirklich die Quelle ist oder die gleiche Quelle hat, dann ist das im obigen Text grob falsch wiedergegeben, da das eine nicht die Zahl der für Vergewaltigung angeklagten ist.

      Wenn du aber dann mit Sachen kommst wie „Wenn das im Schnitt 10 pro Täter sind, wären bereits 10% der Taten verurteilt.“, dann begibst du dich auf noch dünneres Eis, da es für diese Zahl nicht einmal eine einigermaßen schlüssige Fehlinterpretation gibt, aus der sie stammen könnte. Mein Bauchgefühl sagt mir auch, dass zehn ein außerordentlich hoher durchschnitt ist, besonders da offensichtlich auch Männer existieren, die in ihrem Leben bis jetzt nur eine Frau vergewaltigt haben und das für alle Anzahlen bis zehn gilt. Und dann braucht es noch relativ viele, deren Anzahl darüber liegt, um den Durchschnitt selbst auf zehn zu bringen.

      Abgesehen davon kann eine Frau auch mehrfach vergewaltigt werden, was wiederum die Zahl der Taten, sber such die der Täter erhöht. Da sollte Mensch bei der Interpretation zurückhaltend sein.

      Bei der Aufgabe des Gerichts idealisierst du die Vorgänge. Da sitzen Menschen, die Entscheidungen treffen. Diese Menschen behaupten mitunter, dass sie objektiv wären, das ist bestenfalls aber Selbsttäuschung.

    • Vor 10 Stunden

      @Caps: Ich weiß, dass das rechnerisch alles dünnes Eis ist, um nicht zu sagen: Unsinn. Keiner kann da was konkret berechnen, denn keiner weiß, wie viele Taten von wie vielen Tätern es "wirklich" gibt. Wir können höchstens die Anzahl von Strafanzeigen, die Anzahl von Anklagen, die Anzahl von Freisprüchen und von Verurteilungen gegenüberstellen, mehr nicht. Die zweifelhafte Datengrundlage ist ja auch bei der Polizeilichen Kriminalstatistik das Hauptproblem.

      Und in Bezug auf Gerichte, die ja wahrlich täglich eher meine Gegner als meine Freunde sind, will ich nur sagen, dass die sich nach meinem Dafürhalten in aller Regel redlich Mühe geben, ein "richtiges" Urteil zu fällen (Ausnahmen gibt es immer). Dass dieses Urteil naturgemäß höchst subjektiv ausfällt, ist bei menschlichen Entscheidungsträgern systemimmanent. Dass es Verbesserungsbedarf allenthalben gibt, ebenfalls. Bei den Gerichten sehe ich - anders als häufig bei den Ermittlungsbehörden - das redliche Bemühen um Neutralität.

      Schließlich: die Öffentlichkeit erwartet von Strafgerichten häufig viel zu viel. Um ins obere Regal zu greifen: ein NSU-Prozess dient der Aufklärung, Feststellung und ggf. Aburteilung von Straftaten, die den Angeklagten vorgeworfen werden. Die Verstrickung von Verfassungsschutz etc. ist nur insoweit von Belang, als dass dies relevant für die Strafbarkeitsfrage ist. Um andere Dinge müssen sich Untersuchungsausschüsse, parlamentarische Kontrollgremien, Medien, Bürger, ggf. Verwaltungsgerichte kümmern. Und in einem Strafprozess geht es konzeptionell um die Frage, ob das Gericht nach Aufklärung aller relevanten Umstände zu der sicheren Überzeugung gelangt, dass eine oder mehrere zuordnenbare konkrete Straftaten vorliegen, nicht um den "Beweis der Unschuld", Wahrscheinlichkeiten o.ä.

      Lustig (und zugleich irgendwie traurig) ist in der Tat, dass Gerichte ab und an zu Beginn eines Prozesses meinen, betonen zu müssen, wie neutral sie an die Sache rangehen. Dabei ist diese Herangehensweise oder zumindest der Versuch davon ja selbstverständlich. Dass die Neutralität bereits dadurch schwindet, dass die Richter die Akte vor Proessbeginn gelesen haben (und gedankliche "Zwischenurteile" dabei fällen, von denen sie sich anschließend nur mit großem Aufwand lösen), ist auch klar. Was auch sonst.

    • Vor 10 Stunden

      In dem Fall Sorry für meine Vermutung, dass es der andere Artikel gewesen sein könnte. Allerdings ist dann „99 Prozent aller Vergewaltigungs-Klagen im UK enden ohne Verurteilung, da kann man sich seinen Teil darüber denken, auf welcher Seite das Gericht in den meisten Fällen steht“, ziemlich misleading, da laut Artikel viele der Fälle das Gericht ob des kaputtgesparten Systems gar nicht erst erreichen. Und der zweite Teil ist halt auch ein Fehlschluss:

      „Rein statistisch kann man sich nämlich ziemlich sicher sein, dass nicht alle dieser 99 Prozent Falschbeschuldigungen sind.“

      Mal abgesehen davon, dass „rein statistisch“ nichts dagegen spräche, das 99% aller Anzeigen Falschbeschuldigungen sind, mensch braucht zusätzliche (äußerst sinnvolle und empirisch belegbare) Annahmen, um diesen Schluss zu ziehen: dass 99% der Angeklagten nicht schuldig gesprochen werden (angenommen das wäre so, siehe oben), sagt überhaupt gar nichts darüber aus, was wirklich stattgefunden hat und lässt auch keine Rückschlüsse darauf ziehen, wie viele Falschbeschuldigungen gemacht worden sind. Ein Zusammenhang zwischen Freisprüchen und Falschbeschuldigungen ist hier gänzlich aus der Luft gegriffen, die vorliegenden Zahlen belegen so etwas in keiner Weise.

      Dennoch zeichnet sich da ein düsteres Bild ab und es wichtig anzuerkennen, dass da etwas gewaltig schief läuft.

    • Vor 10 Stunden

      @lei: hier werden die Anzahl der angezeigten ("reported") Fälle ins Verhältnis gesetzt zur Anzahl der Verurteilungen. Das ist etwas grundlegend anderes als die Anzahl der angeklagten Fälle im Verhältnis zu den verurteilten. Aber nichts für ungut, die Zahlen wirken so oder so bedrückend.

    • Vor 8 Stunden

      Ja, beides wichtige Punkte. Ich will nicht lügen, ich hab den Text auch mit bisschen Wut im Bauch geschrieben, weil ich gesehen habe, wieviele Leute sich jetzt aufgrund des Freispruchs darüber freuen wieder ohne Gewissensbisse ihren unproblematischen Lieblingsrapper hören zu können. Da sind mir im Eifer des Gefechts ein paar Flüchtigkeitsfehler passiert. Wie von euch bereits erwähnt sind es nicht die angeklagten, sondern die angezeigten Fälle, und es ist nicht das Gericht oder die Jury, sondern das fehlerhafte System an sich, dass Opfern Steine in den Weg legt. Zum zweiten Teil: Die 99% an sich lassen keine Rückschlüsse auf die Anzahl der Fahlschbeschuldigungen zu, das stimmt, aber wie von Caps erwähnt belaufen sich die Werte separater Studien zu dem Thema ja zwischen 2 und 10% (4% in UK: https://research.open.ac.uk/news/false-acc…), wenn man das den 99% gegenüberstellt, bleiben da ein paar Fragen offen.

      Das alles ändert nichts am Kern, das dieses Urteil absolut nichts zu heißen hat, und der Umgang mit solchen Cases in vielen Fällen bestenfalls fragwürdig ist.

    • Vor 5 Sekunden

      "Natürlich werden Menschen freigesprochen, obwohl sie tatsächlich eine Tat begangen haben. In aller Regel nicht, weil sich das Gericht „auf ihre Seite gestellt“ hat, sondern weil es Restzweifel hatte. Und natürlich werden Menschen verurteilt, obwohl sie die Tat nicht begangen haben. Und das sind die deutlich gravierenderen „Fehlurteile“, die für eine Gesellschaft ungleich schwieriger auszuhalten sind - bei allem Respekt für Opfer, bei denen die zu ihrem Nachteil begangenen Taten ungesühnt bleiben."

      Hach, ist das schön. Da bekomme ich Pipi in den Augen. Ich liebe Weihnachten. Und ich liebe Deutscheland.