Doubletime-Rückblick: Oh, Ye, ohje!

JANUAR: STORYS

(Foto: Dean Benic. Danke.)

Gar-nicht-mehr-sooo-Freshman Mirco: Eigentlich müsste man ja meinen, dass Musiker*innen erstmal ein wenig Anlaufzeit im neuen Jahr benötigen, bevor sie sich wieder darum kloppen, wem Memo RapCheck die reißerischste Clickbait-Headline entlocken kann. Aber die guten Vorsätze, es dieses Jahr ein wenig friedlicher angehen zu lassen, waren bei den üblichen Verdächtigen gefühlt noch schneller vergessen als sonst. Katja Krasavice beefte mit Haiyti, Kollegah mit dem Zeitgeist, und selbst Sido, der sich nur beim Brutzeln ein bisschen was dazuverdienen wollte, kriegte sich mit PETA in die Haare. Wobei da die Frage berechtigt ist, mit wem die sich eigentlich nicht in die Haare geraten.

Besonders für Haiyti hätte das Jahr allerdings kaum schlechter beginnen können. Neben dem Zwist mit Katja sah sie sich mit einer von ihr getätigten Aussage konfrontiert, dass sie 'schwul' weiterhin als Schimpfwort benutzen wolle, sie allerdings nicht homophob sei. Is' klar. Irgendwer hat dann auch noch ausgegraben, dass sie vor ein paar Jahren in ihren Songs nicht gerade vor dem N-Wort zurückscheute. Ihre Antwort? Eine passiv-aggressive Insta-Story. Joa, ne. Das Jahr konditionierte uns schon früh darauf, dass manche unserer Lieblingskünstler vielleicht gar nicht mal so coole Menschen sind.

Dieser Yannik™: Oh, mein Gott, Schwul-Gate. Ich hatte es schon wieder komplett vergessen. Ich war eigentlich auch ganz froh darum, es wieder vergessen zu haben. Es ist ja komisch. Deutschrap hat irgendwann 2015 oder 2016 diese 180-Grad-Wende gemacht, in der wir von problematischen Hobgoblins zu selbst-reflektierenden Engelchen geworden sind. Und es gibt diesen stillschweigenden Pakt zwischen vielen Leuten, einfach nicht zu genau nachzufragen, was die meisten von uns vor 2015 so von uns gegeben haben. Deswegen überrascht mich diese Entwicklung ein bisschen.

Wenn wir die Metrik von "'schwul' als Beleidigung geht gar nicht" verwenden, dann kannst du halt 90 bis 95 Prozent der Rapper dieser Zeit wegen irgendetwas ans Kreuz nageln. Wie gesagt, das soll nicht einmal eine Verteidigung sein, eher eine Einordnung. Pi sagt auch auf "Keine Liebe" das N-Wort, die besten Retrogott-Tapes sind himmelschreiend homophob ... ich dachte, der einzige Weg diese Szene intakt zu lassen, war es, dieses kirchliche Dekret zu erlassen, dass wir einfach alle nicht mehr daran denken und versuchen, es besser zu machen. Wie man es damit hält, bleibt natürlich jedem selbst überlassen, es kommt mir nur komisch vor, genau eine Person dafür drankriegen zu wollen, früher dumme Sachen gesagt zu haben.

Yo Grandma Fromm: Zumal ich auch nicht besonders überraschend fand, dass Haiyti dumme Sachen sagt. Weiß nicht, ob ihr Interviews einfach gar nicht liegen oder komplett egal sind, aber sie verwendet ja wirklich wenig Energie darauf, in solchen Kontexten nicht wie die aller-funzeligste Kerze auf der Torte rüberzukommen. Bin wirklich jedes Mal aufs Neue überrascht, wie hohl sie oft auf mich wirkt. Aber vielleicht ist das auch Kunst.

So rückblickend bin ich eigentlich ganz dankbar, dass man so vieles, über das man sich aufgeregt (oder worüber man zumindest verzweifelt den Kopf geschüttelt hat) so schnell so restlos in Vergessenheit geraten ist. Dieser unsäglich beschissene Song zum Beispiel, für den Heidi Klum sich für ihr Drecks-"Topmodel"-Casting (wieso läuft das eigentlich immer noch?) Snoop Dogg als Featuregast eingekauft hat: Der hat mich Anfang des Jahres überall hin verfolgt. War mir komplett wieder entfallen, genau wie das Galama, dass Kollege Marcus Staiger mit seiner Deklaration, er sei ungeimpft und habe auch nicht vor, daran irgendetwas zu ändern, losgetreten hat: vollkommen verdrängt. Das menschliche Erinnerungs- respektive Vergessens-Vermögen ist eine wundersame Angelegenheit.

Nicht vergessen hatte ich allerdings, dass Kanye West sich als "young Putin" in Szene gesetzt hat. Rückblickend, zumindest was beider Herren Verrücktheitsgrad betrifft, wahrscheinlich sogar ein bisschen prophetisch. Einen Angriffskrieg in Europa hab' ich für die kommenden Monate jedenfalls so wenig kommen sehen wie das Ausmaß, das die Ye'sche Selbstdemontage annehmen sollte. Zum Glück war ich nie ein Fan.