Platz 3: "4630 Bochum", 1984
Decca Records lehnte die Beatles ab, Apple Records wiederum zeigte kein Interesse an David Bowie. Tja. Da lobt man sich die Intercord Tonträger GmbH, die es immerhin vier Alben lang mit dem singenden Schauspieler Herbert Grönemeyer versucht hatte, auch wenn er sich nicht, wie zunächst favorisiert, als "Herbie Green" vermarkten ließ. Unter dem Eindruck, das Maß an schlecht investierter Großmut ausgeschöpft zu haben, entließ das Label Grönemeyer nach dem Erscheinen von "Gemischte Gefühle" aus seinem Vertrag – woraufhin sich dieser an die Arbeit für "4630 Bochum" machte. Dumm gelaufen.
Ein neues Label ist mit der EMI schnell gefunden, nur die Produzentenrolle bleibt diesmal absichtlich vakant. Edo Zanki, Produzent der beiden Vorgängeralben, hatte nach einem von Grönemeyer erschlichenen Co-Producer-Credit für "Gemischte Gefühle" ohnehin keine Lust mehr auf eine Zusammenarbeit und erinnerte sich: "Herbert war jemand, der ständig um die Führung stritt, obwohl er sie hatte." Für Album Nummer fünf dann eben auch ganz offiziell.
Noch wichtiger als irgendwelche Booklet-Credits ist allerdings der thematische Shift, den bereits der Albumtitel vorgibt: Auch über den Heimatfokus des Titeltracks hinaus wendet sich Grönemeyer auf "4630 Bochum" vom künstlichen Schmonzetten- oder Soziopathen-Storytelling ab und legt den Fokus auf die Geschichten, die ihm vor der Nase liegen: Deshalb und nur deshalb gelten heute nicht einfach nur das Album als solches, sondern auch die Hälfte der Tracks für sich stehend als deutsches Kulturgut.
Und für Kulturgut reicht manchmal sogar schon Platz 7 in den Charts, wie "Männer" eindrucksvoll belegt. Selbst wenn man den Text akustisch verstehen mag, bleiben bis heute eine ganze Menge Fragezeichen: Feministin-Hymne? Maskulines Geheule? Beides? Herbert selbst wehrt sich wie immer gegen Überinterpretationen: "Welchen Sinn hat das denn?" Manche Sätze seien "einfach stulle". Thats the spirit.
Zur weitestgehend fußballfreien Steigerromantik von "Bochum" und der von emotionaler Abwesenheit geprägten Liebe in "Flugzeug Im Bauch" ist in popkultureller Hinsicht alles gesagt, was gesagt werden kann – zu "Alkohol" und "Mambo" sowieso. Eine der zahlreichen Zutaten im Erfolgsrezept (neben gefestigtem Bandgefüge, höherem Synthanteil und der oben erwähnten lyrischen Neufokussierung) ist die diesmal totale Zuspitzung von Grönemeyers gebrochener Art zu texten: in typischer Ruhrpott-Knappheit, ohne das eine Zeile direkt auf der anderen aufzubauen hätte.
Das fünfte Studioalbum definiert die Berufsbezeichnung "Liedermacher" völlig neu und macht den singenden Schauspieler Grönemeyer endgültig zum Musiker Grönemeyer – und: Es etabliert das Liebe-oder-Hass-Prinzip, in das Grönemeyer die Nation bis heute zu spalten vermag: Genie oder Gülle, dieser Herbert ist fortan keinem mehr egal.
Objektiv bester Song:
"Alkohol" (geschrieben von Norbert Hamm und Gaggy Mrozeck)
Bloß nicht versehentlich überhören:
"Jetzt Oder Nie", "Amerika"
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2 Kommentare mit einer Antwort
Zum Vierzigsten gibt es eine Neuauflage mit ein paar Neu-Interpretationen (noch nicht gehört) und einem neuen Mix. Letzterer ist meist interessant, richtig daneben ging nur "Flugzeuge im Bauch" (ziemlich vergeigtes Intro) und "Amerika" (unnötige, wahrscheinlich gewollte Verzerrung). Der Rest ist eine meist interessante Alternative zu den Originalen. Manche vocal takes sind hörbar anders, ob von 1984 oder neu eingesungen, ist mir nicht bekannt.
Habe mir eben mal den neuen Mix von "Bochum" auf einem Streamingdienst angehört. O! M! G! Was für ein beschissener Klang! Es klingt EXAKT so wie es von den Kritikern immer behauptet wird, wie Spotify und Co klingt.
(Streaming klingt bei weitem nicht so schlecht wie immer behauptet wird, aber dieses Album schießt echt den Vogel ab.)
PS: die Neuauflage nicht 44787 Bochum zu nennen, ist eine versiebte Gelegenheit.