Der Flowerpornoes-Songwriter und "westsozialisierte Old School-Hipster" besuchte für uns ein Konzert des Ostrock-Phänomens.
Dortmund (laut) - Einer der großen Vorzüge, die meine Arbeit mit sich bringt, ist, dass es oft einen Weg gibt, umsonst in Konzerte anderer Künstler zu kommen. Für die ganz großen Acts hab ich Kontakte zu zwei Agenturen, die auf diesem Level arbeiten. So konnte ich zum Beispiel vor ein paar Jahren meiner Tochter Matti Tokio Hotel ermöglichen (im letzten Jahr war es dann dem Geschmackswandel folgend das Northside-Festival in Aarhus). Bei kleineren Bands kenne ich oft selber die Clubs (oder direkt die Bands) und manchmal muss ich halt ein bisschen tricksen. Nachdem mein Interview mit laut.de im November allen Beteiligten so viel Spaß gemacht hatte, kam mir die Idee, mal nachzufragen, ob ich nicht über das Keimzeit-Konzert in Dortmund schreiben soll. Fanden die gut.
Warum Keimzeit und warum ich? Ein Weihnachtsgeschenk. Meine Freundin ist im Erzgebirge aufgewachsen und Norbert Leisegang, Sänger und Texter der Band, hat bei ihrer persönlichen, künstlerischen Initialzündung als Inspiration eine große Rolle gespielt. Und auch wenn ich manches daran nicht verstehe – weil sich die spezifische Bedeutung Keimzeits für den Osten mir westsozialisiertem Old School Hipster eben nicht erschließen KANN – fand ich die Kompositionen Leisegangs immer clever und einigermaßen überraschend, seine Texte mindestens schlau und vor allem keinesfalls anbiedernd. Außerdem hab ich gelernt, dass an den Sachen, auf die meine kluge Frau steht, meistens was dran ist und gucke dann gerne mal genauer hin.
Erst beim Rastamann, dann Volleyball
Das Weihnachtsgeschenk also lautete: Wir gehen zusammen zu Keimzeit und vorher zum Rastamann in Holsterhausen afrikanisch essen. Eigentlich noch vorher Wandern. Was ich nicht wusste im Dezember: Wir stecken jetzt gerade knietief in Wohnungssuche, sehen uns zur Zeit siebzehn Wohnungen pro Tag an (von denen die eine Hälfte unmöglich und die andere zu teuer ist). Also fällt Wandern aus und auf dem Weg zu Papa Selassie Lufo haben wir uns noch eben davon überzeugt, dass man nach Bergkamen besser nicht ziehen sollte.
Wenn man auf dem Land wohnt, ist es immer schräg und zwiespältig, in die Stadt zu kommen. Einerseits die kulturelle und kulinarische Vielfalt – andererseits ist alles so abgefuckt und die Menschen so müde (außer, sie haben Drogen genommen). Bei Papa Lufo ist es super. In dem Plattenbau, der das FZW in Dortmund ist, nicht so. Aber Keimzeit spielen auf dem Parkplatz davor Volleyball und das find ich erst mal sympathisch. Genauer: Norbert Leisegang und die beiden jüngsten Musiker der Band (Gitarrist und Trompeter) spielen Volleyball und sehen erstaunlicherweise ohne Brille aus vielleicht zwanzig Metern Entfernung ungefähr gleich alt aus.
Weiße Internetadresse vor grauem Himmel
Oft wenn eines der Gründungsmitglieder von Keimzeit ausgestiegen ist, entschied man sich für eher jungen Ersatz. Als etwa der Keyboarder vor fast zwanzig Jahren einstieg, war er auch so jung wie die beiden, die vor kurzem dazugestoßen sind. Leisegang ist ein Jahr älter als ich, fünfundfünfzig. Er lacht herzlich, wenn es echt ist, aber auch sichtlich routiniert, wenn es zur Show gehört und er sich eigentlich gerade gar nicht danach fühlt. Der Tourbus von Keimzeit ist übrigens königsblau. Hinten oben ist in weiß die Internetadresse der Band (natürlich keimzeit.de) aufgedruckt, was vor dem grauen Himmel echt okay aussieht.
In Keimzeit-Songs kommen Akkorde und Harmoniewechsel vor, die ich sonst von Kevin Ayers' Platten oder anderen exzentrischen englischen Songschreibern der Siebziger her kenne. Eigentlich Jazz-Akkorde, verminderte Durs nur als Beispiel, in Songs aber jazzfrei integriert. In Deutschland macht das kaum einer. Nur Niels Frevert manchmal und ich ab und zu. Ich mag das sehr gerne, weil es Popsongs spannender macht. Wenn ich Radio höre, stört mich mit am meisten, dass in allen Stücken immer wieder die gleichen langweiligen Akkordfolgen vorkommen.
Vom Red Horn ins FZW
Wie sind Keimzeit auf der Bühne? Ich hol mal ein bisschen aus. Am Abend zuvor waren wir auch schon auf einem Konzert. Die isländische Band ADHD hat in Bad Meinberg Horn gespielt. Im Red Horn, einem Club, wo die Leute vor der Bühne auf dem Boden oder auf der Couch sitzen und in den Klos, die eher Badezimmer sind, stehen Kerzenleuchter. Wahnsinns-Sound, Wahnsinns-Licht und eine unglaubliche Band. Der mehr als virtuose Schlagzeuger guckt die ganze Zeit wie Jesus am Kreuz nach links oben.
Der Saxophonist sieht aus wie ein Obdachloser und stakst arschcool auf der Bühne herum. Omar, der Gitarrist (ich hatte mal das Vergnügen mit ihm gemeinsam spielen zu dürfen) sieht aus und klingt wie die Mischung aus einem alten Atari, Hendrix und Tierstimmen. Und der Keyboarder, auch etwas was ich sehr mag, ist rhythmisch eher in den Effekten als bei den Tasten. Deep Space Shit! Die erste halbe Stunde DIESES Konzerts hab ich zum ersten Mal seit ich Coltrane kenne, nicht bedauert, dass ich Coltrane niemals live erleben werde.
Was ist Leisegangs grundsätzliche Frage?
In diesem Zusammenhang haben es Keimzeit-Auftritte und der äußere Rahmen im FZW natürlich schwer. Fairerweise muss man sagen, dass aber auch ganz andere Paradigmen gelten. Saskia und ich stehen erst vorne und dann hinten, wo alles besser klingt und man die Texte versteht. Ich versuche herauszufinden, was eigentlich Leisegangs großer, unausgesprochener Wunsch ist. Was ist die grundliegende Frage in ihm?
Erst später auf dem Heimweg kommt mir ein Bild: Da ist er, irgendwie auf dem Dorf. Vielleicht siebzehn. Seine große Liebe ist in die Stadt gezogen, sagen wir, nach Berlin. Und dann ist sie ein Wochenende wieder da und ist total auf Film, wie großartig Berlin ist und so. Und obwohl (und weil) er weiß, dass er sie verloren hat und auch nicht zurück kriegt, fängt er an, einen Schutz um seine ganz eigene Welt zu bauen – einen Schutz, der nicht mal den Hauch einer Beurteilung von außen zulässt. Er fängt an, erst recht um sie zu kämpfen - im vollen Bewusstsein der Sinnlosigkeit seines Handelns. Könnte bedeuten, sein autistischer Teil möchte gesehen werden.
Eine Band, die mir komischerweise während der ersten drei Songs auch einfällt, sind die Meat Puppets. Vielleicht weil es da so schön strukturiert und uneitel twängelt. Vielleicht wegen dem Doppelgesang. Vielleicht hat es aber auch mit dem Autismus zu tun. Vor Beckum ist wieder Stau. Die machen da irgendwas an der Autobahn.
Von Tom Liwa
3 Kommentare
Genug Wasser und Dünger so und so?
Minute 1
Mein Blick fiel heute morgen auf einen Konzertbericht des Tom Liwa und klingt zu sehr nach Lima.
Irgendwie ein blöder Künstlername aber macht eigentlich keinen Unterschied, der Typ muss seine Brötchen verdienen.
Minute 7
Mittlerweile war ich bei dem Interview angelangt. Kurz überflogen. Direkt am Anfang schon wieder Kohle. Hier Schippe und malochen würde man gern rein rufen. Ich hasse mich dafür so was oberflächliches wie simple Maloche, jemanden nahe zu legen. Bist ja selbst eine faule Schnecke, ham se mal ne Mark.
Minute 11
Bei Spotify angelangt und „Wir sind die Beatles“ klingt am Ende nach einem verzweifelten Ruf nach Thees dem Chef von Grand Hotel van Cleef. Der wird dich nicht retten, sicher bin. Rette dich selber, sonst rettet dich keiner. Ach so Test sagt er.
Minute 37
Wie die Zeit vergeht beim denken! Das Cover, das Matterhorn, was ein Berg, war ich schon und hab mich totes mutig doch nicht runter gestürzt oder doch eher will ich rauf, bin dabei, auf geht’s der Everest wartet schon. Ich hab keine Ahnung, Gedanken, Gedanken, Gedanken. Ach ja weiß Tom mittlerweile wie viele Platten von „Umsonst und Draussen“ über den Ladentisch gewandert sind?
Und wie war Weihnachten, gab es Ostereier?
Minute 50
„Umsonst und Draussen“ hat kein Review bei Laut.de. Wenn denen was wichtig und richtig erscheint sind die als Sponsor ganz gut, ansonsten muss auch der Richtige an die Zeilen ran.
23. Oktober 2015 laut Spotify ist schon etwas her, glaub da schreibt keiner mehr. Also mach ich es. Nö keine Lust, sorry. Liegt nicht am Album, muss heute noch die Waschbetonplatten vor meiner Haustür richten, reine Rechnerei.
Minute 62
Nun also freier Mitarbeiter bei Laut.de. Die Kohle muss rüber wachsen, was gibt es für den Konzertbericht? Keimzeit kannte ich nicht und da nur Durchschnittswertungen hier, halt stop Kai hat sie geschrieben. Da stimmt bestimmt was nicht mit der Wertung. Zwinker in Richtung Kai.
Nun geb ich es auf die Minuten zu zählen. Tom du bist ein Dino assem Pott, allein das reicht und sagt alles. Das du keine normale Maloche für dich machst sondern lieber textest irgendwas, kann ich voll verstehen. Wenn nur ein bisschen stimmt von dem was man da heraus lesen kann, dann wünscht man dir und deinen Lieben ein wirklich gutes Leben. Du bist ein sympathischer Typ mit einer guten Fanta, (Phantasie) nur bitte das verzagen muss aufhören. Bekommt man fast einen Deprie. Die Türen sind alle mehr als eine Spalt auf, nun noch Fuß aus der Tür nehmen, ein Schritt vortreten und Ideen den Leuten unter die Nase reiben. Die müssen merken das du wirklich willst und bitte keine Wiederholung, nicht langweilen. Dann wird das was und sollte es so bleiben wie jetzt ist das auch nicht schlimm. Übrigens den Kampf den du kämpfst öffentlich, kämpfen doch alle Künstler. Was deinen Weg unterscheidet? Nichts? Wir alle hassen schnöde Maloche, alles klar!
Dreimal durchgelesen für gut befunden und Minute 80. Ran an die Waschbettonplatten.
Gruß Speedi
Bei a(u)ssem) fehlt das u und das Komma muss hinter (Phantasie) mehr Korrektur lassen die Waschbetonplatten gerade nicht zu.
Munay sonqo, my ever BEyond Time'nd Space brotherhuMan:o) Mir gefällt Dein BEricht außerordentlich GUT & zieh , mit Bliss auf'm Drahtseil stehend, mEINen LebensJonglageHUT....iss ja BEIdes kEINe kUNSt für mIch, der dIch sooo gut kennt......TREFFEN ?!!!!!!
hamsafarischen Gruß to yoU ) b4AEIOn