Pogo-Alarm: Die gehypte Hardcore-Band aus Baltimore verwandelt das Palladium in einen einzigen Moshpit.

Palladium (rnk) - Eine Hardcore-Crowd, die inbrünstig und textsicher zu einer 80er-Dancepop-Nummer singt. Daran ist natürlich absolut gar nichts verkehrt und "I Wanna Dance With Somebody" von Whitney Houston einfach ein großartiges Lied. So häufig und vor allem unironisch trifft man es auf Punk-Konzerten allerdings nicht an. Es herrscht einfach ein anderer Vibe bei Turnstile, deren Konzerten der Ruf eines Abrisses voraus geht. Besonders daran ist, dass gleichzeitig alle äußerst wholesome und respektvoll miteinander umgehen.

Kein übertriebener Männer-Machismo oder zur Schau gestellte Dauer-Grimmigkeit schreckt hier ab. Jeder darf vorbei kommen, dümmliche Dogmen gibt es nicht. Bis auf eine positive Ausnahme und die steht auf den Shirts am Merch-Stand: "Thank You For Letting Me Be Myself" - und daran halten sich dann auch alle im unfassbar vollen Palladium. Auch sämtliche Termin-Verschiebungen hielten kaum Menschen davon ab, ihr Ticket zu behalten. Es passt schlichtweg kein Blatt Papier mehr zwischen die Menge vor der Bühne und der Empore, die alle nur darauf warten, das Durchbruchsalbum "Glow On" endlich gebührend zu feiern.

Nach der kaum erwähnenswerten Vorgruppe Pressure Pact aus Eindhoven, die mit einfallslosem Circle Jerks-Gedächtnis-Gegröle wenig Eindruck hinterlässt, erklingt das wunderschöne Intro zu "Mystery". Ein paar Sekunden Synthie-Pop, die Anspannung steigt und dann explodiert die Halle und man sieht kaum noch die Band, dafür viele Körper. Ja, das hier erfordert schon ausreichend Energie und die Kraft, auch die nächste Welle Menschen über sich hinweg zu tragen. Gerade die älteren, straighten HC-Kloppersongs wie "Big Smile" besitzen noch nicht diese Tanzbarkeit, und drängen zartbesaitete Menschen an den Rand. Ansonsten herrscht Pogo-Alarm: Zu viel Groove, zu viele Hymen, zu viel Rhythmus, der schon instinktiv den Körper triggert.

Auch nach dem x-ten Versuch wird man von der Masse wieder irgendwo ausgespuckt, aber es hilft ja nichts. Und irgendwann flattert ein Typ an einem vorbei, der eben noch eine Säule hochgeklettert ist und euphorisch die Menge anstachelte. Er wird es an diesem Abend noch mehrfach wiederholen. Präsenz nennt man so etwas, die natürlich auch von der Bühne ausgeht. Sänger Brendan Yates sieht mit seiner He-Man-Figur so aus, als ob er noch vor dem Konzert einen Workout mit zwei Laster-Reifen in sein Sport-Programm integrierte. Ja, der Blick auf den eigenen Body ist da ungleich weniger berauschend. Ansonsten ist der Hüne einfach der Typ großer Bruder, der immer wieder zu Respekt und nettem Miteinander auffordert. Wie eine Figur aus einem College-Film, in dem der coole Skater die schwachen Nerds gegen die Arschloch-Mobber verteidigt. Und als ob diese Bullies vor seinen eigenen Augen erscheinen, tritt Yates mit Roundhouse-Kicks durch die Luft und stemmt vollgepumpt mit Adrenalin den Mikrofonständer wie eine Trophäe nach oben.

90 Minuten Konzertlänge wären anderswo vielleicht eine Enttäuschung, bei Turnstile verdichtet sich diese Zeiteinheit zu einem Nonstop-Wirbel und atemlosen Body-Moves. Wenn selbst ein Hulk neben dir nur noch schnauft und kurz die eigene, eher zierliche Schulter zum erschöpften Anlehnen benötigt, sind eineinhalb Stunden wohl genau richtig dosiert. "Turnstile Love Connection" bildet den Rausschmeißer: Ein einziges High im Kopf. Pures Glück, so etwas erleben zu dürfen. Der Hype um diese Band ist absolut gerechtfertigt. Das hier wird noch größer. Und in den Moshpit kackte an diesem Abend auch keiner.

Fotos

Köln, Palladium, 2022 Turnstile, die Hardcore-Band der Stunde, auf Tourstopp in Köln.

Turnstile, die Hardcore-Band der Stunde, auf Tourstopp in Köln., Köln, Palladium, 2022 | © laut.de (Fotograf: Sascha Wasem) Turnstile, die Hardcore-Band der Stunde, auf Tourstopp in Köln., Köln, Palladium, 2022 | © laut.de (Fotograf: Sascha Wasem) Turnstile, die Hardcore-Band der Stunde, auf Tourstopp in Köln., Köln, Palladium, 2022 | © laut.de (Fotograf: Sascha Wasem) Turnstile, die Hardcore-Band der Stunde, auf Tourstopp in Köln., Köln, Palladium, 2022 | © laut.de (Fotograf: Sascha Wasem) Turnstile, die Hardcore-Band der Stunde, auf Tourstopp in Köln., Köln, Palladium, 2022 | © laut.de (Fotograf: Sascha Wasem) Turnstile, die Hardcore-Band der Stunde, auf Tourstopp in Köln., Köln, Palladium, 2022 | © laut.de (Fotograf: Sascha Wasem) Turnstile, die Hardcore-Band der Stunde, auf Tourstopp in Köln., Köln, Palladium, 2022 | © laut.de (Fotograf: Sascha Wasem) Turnstile, die Hardcore-Band der Stunde, auf Tourstopp in Köln., Köln, Palladium, 2022 | © laut.de (Fotograf: Sascha Wasem)

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