"Wie geht man damit um, wenn man vor 10.000 Leuten gespielt hat und dann alleine in einem weißen Backstage-Raum sitzt?"

Berlin (dill) - Sänger Frederik Rabe, Gitarrist Finn Schwieters, Bassist Luca Göttner, Keyboarder Jonathan Wischniowski und Drummer Finn Thomas gründen 2015 die Giant Rooks. Es folgen drei EPs, eine 1Live-Krone und ausverkaufte Konzerte in Rom, Paris und Manchester. Über 350 Auftritte spielen sie in den letzten Jahren, mediale Erwartungen für die Debüt-LP "Rookery" wachsen wie Wolkenkratzer, Scheinwerfer, Vermarktung, Handybildschirme noch und nöcher. Ich frage für "Kunst & Kopfkrieg" bei Frederik Rabe und Finn Schwieters nach, wie es ist, als junger Mensch im Rampenlicht zu stehen.

In seiner Reihe "Kunst & Kopfkrieg" spricht Laurens Dillmann mit großen und kleinen Größen im Biz über allerhand emotionale Themen von Selbstverwirklichung bis hin dazu, wie sich die Gefühlswelt in der Kunst widerspiegelt.

Laurens Dillmann: Was denkt ihr zum Thema mentale Gesundheit?

Finn Schwieters: Ich denke vor allem an Geschichten, die ich häufig von Leuten aus meinem Umfeld mitbekomme, von Essstörungen bis hin zu Depressionen. An Menschen, die Verwandte oder Freunde durch Suizid verloren haben. Auch ich selbst bin in meinem direkten Umfeld viel mit dem Thema konfrontiert. Enge Freunde von mir arbeiten im psychologischen Bereich. Und ich bin auch selbst betroffen gewesen: Ich kenne das Gefühl der Depression.

Frederik Rabe: Zuerst fällt mir die Zahl 27 ein, ein Alter, in dem sich viele Musiker und Musikerinnen das Leben genommen haben. Amy Winehouse, Kurt Cobain und etliche andere, und die vielen Drogen, die sie zugrunde gerichtet haben. Ich denke, dieses Thema spielt eine sehr große Rolle in der Musikbranche. Es fällt mir nicht leicht, mich hier zu öffnen.

Finn Schwieters: Mir auch nicht.

Frederik Rabe: Ich finde es aber sehr interessant und super wichtig, sich damit auseinanderzusetzen. Da kommen mir die schon oft gestellten Fragen in den Sinn: Wie geht man mit Erfolg um? Wie geht man damit um, wenn man vor 10.000 Leuten gespielt hat und dann alleine in einem weißen Backstage-Raum sitzt?

Finn Schwieters: Ich habe auch den Eindruck, dass es einerseits eine Tabuisierung gibt und nicht darüber gesprochen wird, besonders unter Männern. Gleichzeitig habe ich auch das Gefühl, in der Kunst-Bubble gibt es eine gewisse Romantisierung. Innerhalb der ist es schick, Therapie zu machen. Das steht stellvertretend für die eigene Deepness. Was ein gefährlicher Trugschluss ist. Depression ist einfach eine Krankheit, eine sehr schwere für die Betroffenen.

Was für Gefühle verbindet ihr mit dem Thema?

Finn Schwieters: In meiner eigenen Geschichte verbinde ich damit vor allem beschissene Gefühle. Ganz schwierige Zeiten. Große Belastungen, insbesondere auch für Beziehungen und Familie.

Frederik Rabe: Sorge. Sorge um andere. Ich sorge mich um mein Umfeld. Ich habe mich auch sehr um Finn gesorgt, als es bei ihm akut war. Da fühlt man sich ziemlich machtlos und weiß nicht, wie man richtig damit umgehen soll. Gut gemeinte Ratschläge helfen da oft nicht weiter.

Seid ihr Kopf- oder Bauchmenschen? Und wie drückt ihr eure Gedanken und Gefühle in euer Kunst aus?

Finn Schwieters: Kopf. Ich zerdenke Sachen eher, als sie aus dem Bauch heraus zu entscheiden.

Frederik Rabe: Auf jeden Fall Bauch. Da ergänzen wir uns gut.

Finn Schwieters: In unseren Texten versuchen wir, unsere Gedanken und Gefühle in großen, surrealistischen Bildern auszudrücken.

Welche Rolle spielt die Kunst generell beim Thema mentale Gesundheit?

Finn Schwieters: Ich habe den Eindruck, zur Zeit thematisieren viele Künstler*innen mentale Gesundheit und holen sie so aus der Tabuisierung heraus. Bestes Beispiel ist Billie Eilish. Ich bin riesen Fan, aber auch bei ihr findet sich die angesprochene Romantisierung, wenn sie singt: "I wanna end me", und dabei den Gothic-Style verkörpert. Ich fühle mich auch zu dieser Dunkelheit hingezogen. Aber finde es doch irgendwie bedenklich, wenn 15-jährige Mädchen auf ihren Konzerten "I wanna end me" mitsingen. Ähnlich wie bei der Netflix-Serie "Tote Mädchen lügen nicht". Da wird schlimmstenfalls der Werther-Effekt getriggert. Andererseits ist es cool, dass Prominente offen über ihre Verletzlichkeit sprechen, das kann sehr viel wert sein.

Was macht es mit euch, wenn eure Musik bewertet wird und ihr öffentlich besprochen werdet?

Finn Schwieters: Das ist ganz komisch. Wir selbst verbinden wahnsinnig viel mit unserer Musik. Wir sind so nah dran wie niemand anderes. Das ist unser Leben, das ist, was wir machen und sind. Es ist super komisch, nach Veröffentlichung zum Beispiel mit Sternen bewertet zu werden. Aber davon muss man sich lösen. Das haben wir beim jetzigen Album auch getan. Es ist ein intimer Prozess unter uns fünf Bandmitgliedern. Das wird einem noch klarer, wenn man dann ein Interview gibt und damit konfrontiert wird, wie andere Menschen uns und unsere Musik wahrnehmen.

Wie seid ihr damit sozialisiert, über euer Innenleben zu sprechen?

Finn Schwieters: Ich habe mitgegeben bekommen, dass man füreinander da ist. Und dass es gut ist, über Gefühle zu sprechen. Aber gesellschaftlich wirkt natürlich auch viel auf einen ein, was die Familie gar nicht verhindern kann. Ich war ein unsicherer Jugendlicher und beeinflussbar. Zuhause bekam ich wichtige Werte vermittelt, die gesellschaftlichen Anforderungen oft widersprachen.

Frederik Rabe: Ich kann sehr offen über mein Innenleben sprechen. Ich habe das von meiner Mutter, meiner Familie, meinen Freunden und Freundinnen gelernt. Es hat sich immer am besten angefühlt, wenn alles ganz offen kommuniziert wurde. Man fühlt sich erleichtert. Du kannst endlich sagen, was du sagen möchtest. Das schafft Gemeinschaft, und ich bin sehr dankbar, das so oft erlebt zu haben. Ich habe das Gefühl, manchmal verschließe ich mich deswegen sogar zu wenig.

Finn Schwieters: Wir haben auch als Band gelernt, offener miteinander zu sprechen. Als Fünfergruppe musst du das lernen, wenn du so viel Zeit zusammen verbringst.

Was für Gründe seht ihr für das Leid der Menschen in unserer Gesellschaft?

Frederik Rabe: Ich kann erstmal nur für unsere Generation sprechen: Da spielen Social Media und das Internet eine riesige Rolle. Es gibt natürlich positive Effekte. Aber die Selbstdarstellung, der Vergleich mit anderen, Neid: Das ist Gift für jeden. Für mich fühlt es sich an, als hätten wir die Kontrolle über diesen Mechanismus verloren. Viele Menschen belastet es auch, so viel Zeit damit zu verbringen, obwohl sie es eigentlich gar nicht wollen. Ich bin genauso guilty und kenne es von mir selbst, eine Stunde zu scrollen und im Anschluss nicht mehr zu wissen, was man eigentlich getan hat. Am freisten fühle ich mich, wenn ich Handy und Computer zuhause lasse.

Finn Schwieters: Wir sprechen natürlich aus einer sehr privilegierten Position: Wir sind Typen, wir sind weiß, wir leben in einem der reichsten Länder der Welt. Dennoch leiden viele Menschen unter dem Druck, den eine Gesellschaft birgt, in der so vieles offen steht. Unsere Generation hat so viele Möglichkeiten und Lebensentwürfe. Das ermöglicht uns sehr viel, weckt aber auch den Zwang, das Beste aus dem eigenen Leben machen zu müssen.

Frederik Rabe: Ich denke auch, dass das Leben durch die Globalisierung für viele Menschen sehr viel schwieriger geworden ist. Ich denke, es gibt einen Zusammenhang zwischen den politischen Entwicklungen und der generellen Überforderung. Die Welt ist so groß, es gibt alles, und wir verlieren trotzdem die Kontrolle. So viele positive Effekte es auch bringt: Es gibt viele Menschen, die sich frühere Zeiten zurückwünschen. Auch in meinem persönlichen Umfeld.

Was gibt es für Möglichkeiten im Alltag, sich selbst zu helfen, wenn es einem schlecht geht?

Frederik Rabe: Bei mir ist es ganz klassisch Sport machen. Alleine, ohne Musik auf den Ohren, durch den Wald gehen. Bewegung. Den Kopf frei bekommen. Oder einen Roman lesen. In eine ganz andere Welt eintauchen. Auch aus meinem Gesangsunterricht kenne ich Entspannungsübungen wie die Bauchatmung.

Finn Schwieters: Es klingt vielleicht etwas kitschig, aber für mich ist Singen eine der wirkungsvollsten Sachen überhaupt, um akut aus einem krassen Loch wieder rauszukommen.

Ein Experiment: Ich nenne euch Gefühle und ihr könnt mir Musik nennen, die ihr damit verbindet. Traurigkeit.

Finn Schwieters: Ich denke sofort an das letzte Album von Nick Cave – "Ghosteen". Da verarbeitet er den Tod seines Sohnes. Es gibt kaum ein traurigeres Album als das. Und das Album "Funeral" von Arcade Fire.

Frederik Rabe: Ich denke an Reinhard Mey - "Gute Nacht Freunde". Und "Waltz#2 (XO)" von Elliott Smith. Das ist für mich die traurigste Musik.

Wut.

Finn Schwieters: Das ist bei mir ein Problemfeld. Ich habe Schwierigkeiten, sie auszudrücken. Da kommt mir ein Song von uns, "What I Know Is All Quicksand" vom neuen Album, in den Sinn. Die Strophen sind wahnsinnig wütend.

Frederik Rabe: Als Jimi Hendrix die amerikanische Nationalhymne beim Woodstock-Festival gespielt hat. Das klang richtig wütend. Ich bin manchmal selbst auf der Bühne super wütend. Und habe gleichzeitig Spaß dabei.

Angst.

Finn Schwieters: Ängstliche Musik gibt es wirklich selten ... Es herrschen große Unsicherheit und Zerbrechlichkeit in der Mukke von Bon Iver. Wenn auf dem "22, A Million"-Album plötzlich die Stimmen kaputt gehen. Billie Eilish verwendet auch die Bohrmaschinengeräusche vom Zahnarzt.

Frederik Rabe: Mir kommt die Zeile "I'm frightened by the devil" von Joni Mitchell – "A Case Of You" in den Sinn.

Freude.

Finn Schwieters: Auch ein Song von uns. "Heat Up", das ist ein sehr freudiger, beschwingter Song.

Frederik Rabe: Wir machen aus Freude Musik. Und wie es oft gesagt wird, dient die Musik als Ventil für das, was man erlebt und fühlt. All diese besprochenen Gefühle fließen in die Kunst.

Wenn ihr heute, euch selbst am Tiefpunkt eures Lebens einen Rat geben könntet:

Frederik Rabe: Ich glaube, alles verläuft in Phasen. Es gibt gute Zeiten und schlechte Zeiten. Wenn ich eine schlechte Phase und einen ganz düsteren Tag habe, hilft es mir, das ins Bewusstsein zu rufen. Es geht auch wieder nach oben, und das gibt Hoffnung und Halt. Alles verläuft in Wellenform und bleibt nie gleich. Gerade wenn es einem schlecht geht, macht es Sinn, sich der schönen Dinge bewusst zu werden.

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Giant Rooks

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laut.de-Porträt Giant Rooks

Die Giant Rooks sind keine "riesigen Türme", wie der Name vielleicht vermuten lässt, sondern fünf schmalere Jungs aus Hamm, die 2014 eine Band gründen. Frederik …

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