Dreyer, Stelzmann und Wenzel porträtieren die Szene rund um den Ratinger Hof. (Punk-)Geschichte wird gemacht, von den 70er Jahren bis heute.
Düsseldorf (dani) - Wenn eine Dokumentation ein Publikum in ihren Bann schlägt, das vorher wenig bis gar kein Interesse an ihrem Thema hatte, spricht das Bände für ihre Qualität. Mein Wissen über Punk, New Wave, Krautrock und Elektro bewegt sich in übersichtlichem Rahmen - hat mich bisher wohl einfach nicht so wahnsinnig fasziniert. Zudem lassen sich meine Berührungspunkte mit Düsseldorf an einer arg verstümmelten Hand abzählen. Trotzdem haben mich Sven-André Dreyer, Michael Wenzel und Thomas Stelzmann mit "Keine Atempause - Musik aus Düsseldorf" (DROSTE Verlag, 128 Seiten, Hardcover, 25 Euro) komplett erwischt. Huch?
Porträt an Porträt
Zum Glück bleibt gar keine Zeit, um im etwas langatmigen Vorwort zu versanden. Nach zwei Seiten ist das nämlich schon vorbei, ehe man anfängt, sich an der Schwafeligkeit zu stören. Danach macht das Buch seinem bei Fehlfarben geborgten Titel alle Ehre. Für Atempausen bleibt hernach wirklich keine Zeit mehr: Die Autoren Dreyer und Wenzel hauen einem die Porträts der Musiker, Veranstalter, DJs, Fotografen, Plattenhändler, Galeristen und anderen Szenegestalten, die die Düsseldorfer Musiklandschaft in den 70er und frühen 80er Jahren geprägt haben, nur so um die Ohren. Thomas Stelzmann ergänzt die Texte und historischen Bilder um aussagekräftige aktuelle Fotos.
Dreizehn Kapitel lang widmet sich jedes einer bestimmten Person. Eins führt zum nächsten, die Erzählungen greifen derart smooth ineinander, dass sich die vielfach verflochtene, organisch gewachsene und aufregend beispiellose Szene ganz automatisch vor dem inneren Auge auffächert. Der Leser begegnet unter anderem Jürgen Engler (Male, Die Krupps), Ralf Dörper (S.Y.P.H., ebenfalls Die Krupps, Propaganda), Andreas Frege (Die Toten Hosen), sowie Bettina Flörchinger und Martina Weith (Östro 430).
Epizentrum Ratinger Hof
Der würdige Auftakt gehört allerdings Carmen Knoebel, der Frau, die einst eine Gaststätte in der Ratinger Straße Nummer 10 grundlegend verwandelte: Unter ihrer Zuständigkeit diente der Ratinger Hof einer ganzen Szene als Kristallisationskeim, Epizentrum, Begegnungsstätte, Klanglabor und Wohnzimmer. Offensichtlich bildete das Lokal nicht nur in der Dramaturgie dieses Buches den Dreh- und Angelpunkt: Ein Akteur nach dem anderen erzählt von seinen Erinnerungen und Erfahrungen im Zusammenhang mit besagter Spielstätte.
Rumhängen mit Sinn
Als die legendäre Venue ihre Pforten schließt, ist der Keks aber noch längst nicht gegessen: Die zweite Hälfte des Buches spürt Clubs, Initiativen und Veranstaltungsreihen nach, die das verrückte Erbe angetreten haben. Die Autoren entführen in den Unique Club und den Salon des Amateures, zerren die sagenumwobene EGO Bar aus den Nebeln der Zeit (und werfen am Rand die Frage auf: Wo mag wohl der legendäre Bartresen geblieben sein?) und zeichnen die Entwicklung nach, die die Brause, genommen hatte, der Verkaufsraum einer ehemaligen Tankstelle, in dem regelmäßig "Rumhängen mit Sinn" auf dem Programm stand.
Es geht voran
All diese Geschichten erzählt "Keine Atempause" liebevoll, aber komplett unsentimental. Statt in Ehrfurcht vor der Historie zu erstarren, arbeiten die Autoren eine Erkenntnis besonders heraus. Der Moment ist flüchtig, nichts lässt sich auf Dauer bewahren.
Macht aber nichts: Es kommt ja immer wieder etwas Neues nach. Wenn Chronist Jürgen Teipel in "Verschwende Deine Jugend" die Geschichte des einheimischen Punk und New Wave aufgerollt und das Genre längst seinen Weg ins Museum gefunden hat, Stabil Elite den Motown-Slogan vom "Sound of New America" auf die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt umgemünzt haben und wir am Ende zusammen mit den Broilers auf Platz eins der Charts angekommen sind, weiß ich es auch: Geschichte wird gemacht, in Düsseldorf. Immer noch.
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Dreyer, Stelzmann, Wenzel - "Keine Atempause - Musik aus Düsseldorf"*
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