laut.de-Biographie
Fehlfarben
Deutsche Texte gelten seit der Nachkriegszeit lange als Domäne der Schlagermusik, mit der die jüngere Generation nichts am Hut haben will. Erst in den 80er Jahren treten mit der so genannten Neuen Deutschen Welle (NDW) Künstler ins Rampenlicht, die in ihrer Heimatsprache singen, um so ihre Botschaften besser transportieren zu können.
Diese Entwicklung geht jedoch nicht von späteren NDW-Spaßbands wie Frl. Menke oder Markus aus, sondern vor allem von einer Szene in Düsseldorf, zu denen neben Jürgen Engler von Male (später Die Krupps) auch die Fehlfarben gehören. Bereits um 1977, als die Punkwelle von England ausgeht, beginnen unzählige Bands damit, den neuen Radau für eigene Zwecke zu missbrauchen.
Die Fehlfarben-Geburtsstunde lässt sich auf das Jahr 1979 zurückdatieren: Aus den Düsseldorfer Bands Mittagspause, Charley's Girls, DAF und Der Plan finden Peter Hein, Thomas Schwebel, Frank Fenstermacher, Michael Kemner, Uwe Bauer und Markus Oehlen als "regionale Supergruppe" zusammen. Ein paar von ihnen stehen kurz zuvor in einem Londoner Club an der Bar und lauschen der Ska-Band The Teardrop Explodes, die im Specials-Stil das Haus rocken. Die Jungs lassen sich vom Two Tone-Fieber anstecken und importieren den Sound nach Deutschland. Mit der Single "Abenteuer und Freiheit/Große Liebe" im Gepäck geben sie Anfang 1980 ihr erstes Konzert als Vorgruppe der Band Hansaplast im Mannheimer Capitol. Schon bald lassen sie aber vom Ska-Sound ab, denn "es hat ja auch keinen Sinn, nur die Neger nachzumachen" (Peter Hein in "Verschwende Deine Jugend", Jürgen Teipel).
Kurz darauf nehmen die Jungs den Song "Paul Ist Tot" auf, der einen Vertrag mit der "ausbeuterischen, schrecklich monopolistischen Riesenfirma" EMI nach sich zieht, wie die Band sie scherzhaft bezeichnet. Für viele einstige Weggefährten sind die Fehlfarben mit dem EMI-Deal die Verräter der Bewegung. Es war die Zeit des Schranken-Denkens: Indie-Labels = glaubwürdig, Major-Labels = Verrat. Ende 1980 erscheint das legendäre Debut "Monarchie und Alltag". Der im Kontext untypische Song "Ein Jahr (Es geht voran)" wird trotz Murren der Band in letzter Sekunde und auf Drängen von EMI-Intimus Horst Luedtke noch auf die Platte gepackt (doch erst viel später ein Hit).
Für Frank Fenstermacher, der bei Der Plan einsteigt, kommt Uwe Jahnke von Syph in die Band. Anfang 1981: Gerade als eine Tour geplant ist, verlässt Sänger und Texter Peter Hein drei Tage vor Tourbeginn die Band, um fortan beim Drucker- und Kopierkonzern Rank Xerox zu arbeiten. Seine Aufgaben übernimmt Gitarrist Schwebel. Die Band freut sich über den Album-Charteinstieg und über das erstmalige Spielen vor nennenswertem Publikum. Ein Jahr später nimmt Hans Maahn den Platz von Bassist Kemner ein.
Im Februar 1982, sechs Monate nach "33 Tage in Ketten" und anderthalb Jahre nach dem Debutalbum, wirft EMI den einzigen Fehlfarben-Hit "Ein Jahr (Es geht voran)" (1980) auf den Markt. Der Song schafft es prompt in die Top 20 und genau soviele Jahre später noch immer auf jede Demo oder Studenten-Party. Die dritte LP "Glut und Asche" steigt auch hoch in die Charts ein. Der Musik Express verleiht dem Album als erstes deutschsprachiges Werk den Titel "Platte des Monats". Nach Konflikten mit dem Majorlabel entschließt sich die Band, die neuen Songs in ihrem eigenen Studio aufzunehmen. Auf ihrem musikalischen Höhepunkt löst sich die Gruppe im November 1984 auf. Die Single "Keine Ruhige Minute/Der Himmel Weint" ist das letzte Lebenszeichen der Düsseldorfer für fünf Jahre.
Ende der 80er trifft sich die Band dank des alten EMI-Entdeckers Luedtke nach fast zehn Jahren erstmals wieder in Originalbesetzung. Daraufhin wird "Die Platte Des Himmlischen Friedens" veröffentlicht, die ein zwiespältiges Kritikerecho hervor ruft. 1991 unterstützt die Band auf der Popkomm die Newcomer von Blumfeld. 1994 erscheint die Platte "Popmusik und Hundezucht" (unveröffentlichtes Album von 1984) in den Läden und zu Beginn des neuen Jahrtausends ernten Fehlfarben zum Stolz ihres Ex-Labels EMI die Goldene Schallplatte für "Monarchie und Alltag". Nach 20 Jahren haben sich 250.000 Menschen die Scheibe endlich zugelegt.
2002 sitzen die Fehlfarben mit ihrer zweiten Comeback-Scheibe "Knietief im Dispo" bzw. in den Startlöchern. Vor der Veröffentlichung des Albums rocken die Altpunks auf der Popkomm 2002 im Gebäude 9 - ihr letzter Auftritt auf der Kölner Musikmesse liegt elf Jahre zurück. Dank Jürgen Teipels erfolgreichem Doku-Roman "Verschwende deine Jugend", der die deutschen New Wave/Punk-Anfänge nachzeichnet, sind die Deutschpunk-Vorreiter wieder gefragter denn je. Die glücklichen Zuschauer, die es in die ausverkaufte Halle schaffen, erleben dann einen soliden und vor allem lauten Rockgig sowie einen Sänger Peter Hein, der seinen Anzug auch bei 40°C Innen-Temperatur nicht abzulegen gedenkt.
Anstelle von "Ein Jahr (Es geht voran)" und "Militürk" spielt die Band "Grauschleier" und den Oldie "Zurück zum Beton"; jenen Song, der auch der Punk/New Wave-Ausstellung in der Düsseldorfer Kunsthalle 2002 seinen Namen leiht. Im Oktober ist es dann endlich soweit: "Knietief Im Dispo", das zweite Fehlfarben-Comeback-Album erscheint und es zeigt die Legende in bestechender Form.
Nach der anschließenden Tournee fliegt Sänger Hein bei Xerox raus und hält sich eine Zeitlang als freischaffender Künstler über Wasser, bevor er sich arbeitslos meldet. Das Bandgefüge ist derweil weiter voll intakt. 2004 ergeben sich einige Label-Querelen, da die Band von !K7 zu V2 wechselt, wodurch auch das bereits komplett aufgenommene neue Studioalbum in der Warteschleife hängen bleibt. Als es dann erscheinen könnte, überlegt man sich, ob es nicht passender wäre, ein Album voller befreundeter Gaststars vorzuziehen. Schließlich ist man bereits 26 1/2 Jahre im Business.
Gesagt, getan: Ende Februar 2006 melden sich Hein und Co. zunächst mit "26 1/2" zurück, das ausdrücklich "kein Tribut und kein neues Fehlfarben-Album" darstellt. Mit illustren Namen, darunter Campino, Francoise Cactus, Dirk von Lowtzow, Helge Schneider und Herbert Grönemeyer feiert die deutsche Punklegende mit 18 Songs ihr 25-jähriges Bandjubiläum, das eigentlich schon 2004 fällig war. Auch anschließend erscheinen bestätig neue Alben, obwohl die sechs Musiker mittlerweile in sechs verschiedenen Städten leben.
Doch so richtig in Form präsentiert sich die Band endlich wieder nach der ersten Dekade des neuen Jahrtausends. Mit "Glücksmaschinen" und "Xenophonie" stellt Hein dem Zustand der Welt allgemein - und dem der Deutschen speziell - ein vernichtendes Zeugnis aus. Frische Texte und musikalisch abgezockter Waverock at its Best. Hein: "Ich bin schon dafür, dass jeder auf seine Art vor die Schnauze kriegt."
Das Zakk Düsseldorf überredet die nicht gerade nostalgietrunkene Band zur Teilnahme an den "Lieblingsplatte"-Konzerten: 2016 spielen sie erstmals "Monarchie und Alltag" von vorne bis hinten. "Die Bestechungssumme war groß genug", scherzte Saxophonist und Keyboarder Frank Fenstermacher im Vorfeld. Auch im Folgejahr sind sie wieder dabei. Auf ein neues Album wartet man (auch pandemiebedingt) allerdings bis 2022: Auf "?0??" zeigt sich die Band wieder im bekannten Soundbild mit den gewohnt bissigen Texten aus der Feder Heins. Eine traurige Nachricht verbreitet sich im Juni 2023: Kurz vor seinem 70. Geburtstag stirbt der frühere Fehlfarben-Schlagzeuger Uwe Bauer.
1 Kommentar mit 4 Antworten
Scheint ja super recherchiert zu sein, bin schon an der angeblichen Ska-Band The Teardrop Explodes hängen (eine meiner Lieblingsband mit Julian Cope und seeeeehr weit weg von Ska). Da lese ich doch gar nicht weiter, denn auf was kann ich mich da noch verlassen?
Keks?
Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.
Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.
N' Stück Nackensteak?