Acht Zeichner gedenken der DDR-Punk-Legende Dieter "Otze" Ehrlich und erklären ihre Beziehung zu der legendären Band.
Stotternheim/Erfurt (rnk) - DDR-Punk: Der Begriff wirkte auf mich in den Neunzigern sehr komisch. Kommunismus war doch schließlich in den rebellischen Teenager-Jahren das Ideal, und Provo mit Ost-Symbolen brachte meinen Vater grundsätzlich auf die Palme. Dabei hatten es die Punks "da drüben" wesentlicher schwerer als wir kleinen Atzen aus der Mittelschicht, und wurden wie in einem Unrechtsstaat drangsaliert. Und während hier Punk-Platten irgendwann im Karstadt ganz gemütlich im Regal standen, mussten die DDR-Kids auf Umwegen an die Platten von Sham 69 erwerben oder eben die West-Radiosender abhören.
Frank Willmann, nicht unbedingt des Englischen mächtig, begeisterte sich in der ostdeutschen Provinz für einen Song von den Ramones, den er fälschlicherweise als "China Is A Punkrocker" verstand. Hieß dann natürlich doch anders, aber damit war der Keim für die neue und laute Rockmusik in seinem Leben gelegt.
Ein Denkmal für die stilprägende Band
Bereits in der faszinierenden Biographie "Satan, kannst du mir noch mal verzeihen" ging er auf seine Sozialisation, aber auch ganz besonders auf sein Idol Dieter "Otze" Ehrlich ein. Ein übercharismatisches Punkrock-Tier, das die Außenseiter-Jugend mit seiner Leidenschaft inspirierte und eine absolut filmreife Biografie hinterließ. Schon in diesem Buch wurde klar, Punk war jenseits der Elbe noch mal eine ganz andere Überlebensnummer und hatte unsere privilgierte Wessi-Arroganz nicht verdient. Der Songcomic "Betreten Auf Eigene Gefahr" setzt der stilprägenden Band Schleimkeim vollkommen gerechtfertigt noch mal ein weiteres Denkmal. Oberfan und Herausgeber Frank Willmann begleitet mit ergänzenden Infos das liebevoll aufbereitete Comic.
Für das wertige Buch konnte er Fans der ersten Stunde wie Dirk Mecklenbeck, aber auch jüngere Semester wie Lara Swiontek, geboren 1988 im Kreis Segeberg, gewinnen. Der Zeichenstil ist wie die Musik von Schleimkeim schroff und minimalistisch, aber dann auch wieder sehr detailliert. Was ganz dem Charakter von Otze entsprach, dessen Stimmung zwischen brachialem Hass und sehr großer Verletzlichkeit wechselte. Ähnliche Projekte gab es auch von anderen und über andere Bands, wie zum Beispiel das auch sehr schöne "Sie wollen uns erzählen" über die Tocos. Deren Bassist Jan Müller verfügt über eine eigene Punk-Vita und schrieb schon in seiner Reflektor-Kolumne ein paar schöne Zeilen über diesen komplexen Menschen, den keiner vergaß, der ihn jemals live erlebte.
Sony oder Geracord? Egal!
Die Erzählungen der Zeichner mit DDR-Jugend erinnern lustigerweise an die eigene West-Kindheit. Egal ob der Rekorder von Sony oder Geracord stammte, die Soundqualität der mehrfach kopierten Kassetten mit Scheppersound machte westlich und östlich der Mauer den Reiz aus. Der Autor und Zeichner PM Hoffmann durchlebte genau so eine Jugend und brachte bereits selber eine Punk Graphic Novel namens "Anders sein" heraus. Für "Betreten Auf Eigene Gefahr" sucht er den Song "Der Dikator" heraus. Auch in ihm, so stellt er selbstironisch fest, befinde sich ein kleiner Alleinherrscher. Er bestimme ja seine seine Comicwelten allein, und die Charaktere müssen seine Gedanken ohne Widerspruch folgen. In seiner beißend-spöttischen Zeichnung trifft es einen kleinen lächerlichen Gartennazi, der im VEB seinen Napoleon- oder eher Honecker-Komplex auslebt und ein einsamer Versager mit einem kleinem Penis bleibt. Diese Art von Menschen beschrieb Otze ebenfalls in literarischer Ich-Form. "Der Mann ganz oben an der Spitze, das ist für mich die Macht. Der Herrscher über alles. Werde das Feuer entfachen".
Niedlicher dagegen der Comic-Strip von Auge Lorenz, der den lakonischen Liebessong "Plus Minus" mit knopfäugigen Figuren und einer kurzen Lovestory über einen Indie-Boy und eine Punkerin zeichnet. Mit "Du warst Minus, ich war Plus. Der Strom ging weg und dann war Schluss", beschrieb Ehrlich das Ende seiner großen Liebe. Auch hinter dieser einschüchternden Fassade verbarg sich ein Mensch, in dem ein Wunsch nach Liebe steckte, der aber sehr kompromisslos mit seiner Musik und mit sich selbst umging. Oder wie es Andrea "Cabi" Berwing ausdrückte: "Otze hatte vergessen, dass er auch verletzbar ist."
Die Wende verlief für ihn und Schleimkeim weniger gut. Das noch größere,, da leicht zu beschaffende Angebot an Drogen brachte die unangenehmen Seiten noch stärker hervor. Ein Mord unter Drogeneinfluss und lange Jahre in der Psychiatrie werfen einen besonders dunklen Schatten auf seine letzten Jahre. "Betreten Auf Eigene Gefahr" bietet jedenfalls einen Einstieg für Menschen, die eine der interessantesten Biografien des deutschen Punk noch einmal komprimiert nachlesen möchten. Otze schaut von unten gerührt auf diese Hommage, und der Leibhaftige hat ihm bestimmt schon längst verziehen.
Frank Willmann beantwortete noch ein paar Fragen:
Otze war ein nicht ganz einfacher Charakter mit einem Hang zu Selbstzerstörung. Hätte es für ihn überhaupt irgendwie ein gutes Ende finden können und was wäre dieser Anlass gewesen?
Für den Legendenstatus ist ein früher Tod eine feine Sache, für den betroffenen Menschen wahrscheinlich weniger. Otze war ein Suchti, der am Ende auch psychisch schwer angeschlagen gewesen ist. Ich kann ihn mir schwer als Rentner vorstellen. Wahrscheinlich wäre er irgendwann im Suff beim Überqueren der Fahrbahn von einem LKW überrollt worden, wie Graciano "Rocky" Rocchigiani.
Schleimkeim und DDR-Punk waren für mich als Wessi gar nicht existent. Es wurde ja hier sogar mit DDR/Soviet-Symbolen kokettiert oder die DDR romantisiert. Hat euch die Westpunkszene überhaupt für voll genommen oder war das enttäuschend?
Die Westpunkszene hat dank Höhnies (Plattenlabel von Andreas Höhn, Anmerk d. Autors) Schleimkeim-Scheiben schnell Spaß an Schleimkeim gefunden. SK hat die DDR verarscht, aber wenn ihnen was gefiel, wie beispielsweise "Ata, Fit, Spee", wurde es ironisch verballhornert.
Otze wird ja immer mit Punk in Verbindung gebracht. Was würde er vielleicht heute ausüben? Punk ist ja eigentlich total assimiliert und ein Nostalgie-Dingen geworden.
Bestimmt kein braver Familenvater, eventuell als trockener Alkoholiker und Ex-Junkie im Kloster unterwegs. Oder ein wandelnder Schatten in der Psychiatrie? In jedem Fall würde er in der Nähe des Totenreichs abhängen.
Viele jüngere Zeichner in dem Comic kannten Otze und Schleimkeim kaum. Warum ist dir das Erbe so wichtig und welchen Platz sollte die Band in der deutschen Musikgeschichte einnehmen?
Schleimkeim ist die wichtigste ostdeutsche Punkband. Sie waren und sind stilprägend. Schleimkeim wird heute noch von jungen Leuten gehört, die bei den immer ausverkauften Konzerten (diesen Freitag im Werk 2 in Leipzig, im November im SO 36 in Berlin und im Kassa in Jena) im Osten (sie geben jedes Jahr 3-4 Konzerte vor 500-1000 Leuten) textsicher bei 90 Minuten Punkrock ihr Bestes geben. Natürlich ohne Otze (der glotzt aus der Hölle zu), aber mit Lippe und Hagen.
Wie würde Otze dieser Comic gefallen? Ich schätze ihn so ein, dass er mit Desinteresse kokettiert hätte und doch so etwas wie Stolz empfände.
Er würde in die Läden gehen, die Teile klauen und unter der Hand gegen Drugs and Alk verticken.
Frank Willmann (Hrsg.) - Betreten auf eigene Gefahr* erscheint über den Ventil-Verlag.
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