laut.de-Kritik
Girlpower-Collage der letzten fünfzehn Jahre.
Review von Katja ScherleWas für ein Schmuckstück: Die CD-Hülle des neuen No Angels-Albums ist komplett durchsichtig, die Ecken sind zart abgerundet, es gibt einen mit "Press" gekennzeichneten Öffnen-Mechanismus und das Booklet wird von zwei separaten Haltern in Szene gesetzt. Okay, diese CD-Verpackung ist schon vor einiger Zeit eingeführt worden, aber es passt einfach zu gut zu den wieder ins Scheinwerferlicht gehechteten Glamour Girls, die nun nur noch zu viert schmachten, und ihren weiblichen, accessoire-affinen Fans.
Glamourös geben sich auch die neuen Stücke. Instrumentell wird satt zugelangt, fast immer unterlegen Streicher die Lieder und eine Flut von Hall trägt aller Damen Gesang sowie vor allem das exzessiv verwendete Klavier hinfort. Vor allem am Ende des Albums bietet das Quartett Midtempo-Balladen auf, die allesamt mit dem No Angels-typischen großen Refrain ausgestattet sind. In "I Don't Wanna Talk About It" scheint die Melodie in den Strophen etwas orientierungslos vor sich hin zu wandern. Ob dies nun ein bewusstes Songwriting-Stilmittel darstellt oder nicht; Refrain und Bridge kennen jedenfalls ihren Kurs: immer Richtung Bombast.
Ein Violinen-Solo und ein kurzer E-Gitarren-Einschub am Ende legen den Teppich auch für die beiden Nachfolger "Misguided Heart" und "A Reason" aus, die sich ebenfalls als große Herzschmerz-Sausen ins Ohr schmeicheln. Sie machen auch den Rausschmeißer "The Rhythm Of My Heart" mit seiner nett gemeinten, aber medizinisch bedenklichen Liebeserklärung "You changed the rhythm of my heart" und seiner einfach nicht erstnehmbaren Schnulzigkeit wieder gut.
Zuvor fährt "Back Off" in etwas forscherer Weise die stets gerühmte Girlpower auf, die man mittlerweile als Young Woman-Power bezeichnen möchte. Ignoriert man die albernen Polizeisirenen an Anfang und Ende findet man hier ein rhythmisch schön gemachtes Plädoyer für die gepflegte Abfuhr: "If u are looking for a quickie then I'm not the one to talk to". Spontan denkt man an Frauenhymnen wie "Survivor" und "Independent Woman" von Destiny's Child. Überhaupt scheint man (als Hommage oder - hoppala - unbeabsichtigt?) einen Großteil des Albums als Girlpower-Collage der letzten fünfzehn Jahre angelegt zu haben. Die starken Anklänge an die US-amerikanische Girlgroup schlechthin, äußert sich auch im Booklet. Die vier Frauen posieren auf Seite zwei genauso wie die drei Schicksalskinder auf dem "Survivor"-Cover.
"What If" lässt ein wenig an "2 Become 1" von den Spice Girls denken. Die Ästhetik von deren Videoclips findet sich ebenfalls im Booklet wieder. Eine städtische Nacht-Szenerie wird erleuchtet von langzeitbelichteten Straßenlaternen und Autolichtern. Irritierend wirken hier allerdings hausmütterliche, aber gerade deswegen ganz entspannende Konjunktiv-Textzeilen wie "What if it was me who cooked your food". Und schließlich darf auch noch En Vogue gedacht werden, im Speziellen ihrem 1996er-Hit "Don't Let Go (Love)". Fast schon etwas dreist klingt deren Klavier-Motiv in "Make A Change" deutlich an.
Weitere Ausflüge in die Neunziger leisten die Tonalitäten der Backstreet Boys, deren nie sprichwörtlich gewordene Boypower in der Rhythmik und Produktion von "Believe In You" und dem schön herben "Been Here Before" zum Tragen kommen. An die eher grausigen Zeiten von Mariah Careys "Music Box" (1993) erinnert dagegen "I Had A Feeling" mit seiner übertriebenen Synthie-Reminiszenz, die derzeit ja auch Jessica Simpson in "Public Affair" betreibt.
Ob dies nun zu viel des produzierten Glitters ist, hängt wohl von der persönlichen Pathos-Vorliebe ab. Was man den No Angels definitiv nicht absprechen kann, ist ihre Gesangskunst. Damals wie heute passen sie, Produktion hin oder her, wunderbar zusammen. Und das ist es wohl letztendlich, was die Mädels wieder zusammengebracht hat: die Freude am Singen. Auch wenn sich das manchmal in nervenden, weil inflationären "Uhs", "Ahs" und "Yeahs" äußert.
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