laut.de-Kritik

Eine sanfte Revolution, ganz ohne Hip Hop.

Review von

OK Kid 1.0 sind vorbei. Vorhang auf für Version 1.1: Jonas, Raffi und Moritz sagen dem Hip Hop ihrer Anfangstage endgültig Adieu und wenden sich vollends dem Pop zu. Die werkübergreifende "Kaffee (Warm)"-Trilogie ist abgeschlossen, es ist Zeit für eine sanfte Revolution.

Auch textlich ist die stringente Weiterentwicklung erkennbar. "Sensation" knüpft am politischen Ansatz von "Gute Menschen" (auf "Zwei") an: OK Kid legen den Zeigefinger in die rechts klaffende Wunde der bürgerlichen Mitte. "Warten Auf den Starken Mann", zur Bundestagswahl veröffentlicht, betrachtet die Attraktivität rechtsidentitärer Bewegungen: "Gib mir bitte ein Gefühl / Gib mir bitte einfach irgendeins / Nur nicht das Gefühl / Ein Verlierer zu sein". Viel klüger klingt das im Proseminar Politik an der Universität Köln auch nicht. Dort bekommt man dann aber kein sanftes Schlagzeug, Drone-Sounds und verspielte Synthies mitgeliefert. Übrigens auch der einzige Song des Albums mit deutlichen Hip Hop-Wurzeln.

Auch sonst zeigt sich Texter und Sänger Jonas als umsichtiger Zeitgenosse. "Ich Und Die Planierraupe" kommentiert mit traurigem Unterton, wie der Proberaum der Gießener Punkband Pestpocken der Gentrifizierung weichen muss und wirft ihren Befürwortern den Verrat früherer Ideale vor: "Früher haben deine Jungs doch ACAB-Shirts getragen / Jetzt Rollkragen auf Start-Up-Events". Tja, die Revoluzzer von damals sind die Spießer von heute. Für diese Erkenntnis muss man kein Welt-Journalist sein. "Lügenhits" haut der heutigen Deutschpop-Landschaft die berüchtigte Faust aufs Auge: "Deutsche Musik nur noch Lügenhits (...) Wo ist das Kribbeln im Bauch, das man nie mehr vergisst?" Sehr selten geworden, denn "Junge, alles nur noch fake".

Das Ding mit den Emotionen haben die Gießener glücklicherweise raus. In der schönen Gitarrennummer "1996" erzählt Jonas ehrlich von seinen Teenager-Jahren voller Pickel, Oberlippenflaum, Mobbing und dem ersten großen Schwarm. Dabei verzichtet er zum Glück auf die schmalzige Option einer rührseligen Coming-Of-Age-Geschichte und schreibt lieber eine Short-Story über seine Jugend. Glaubt man dem Promotext, sind die Songs erstmals beim Jammen entstanden, innerhalb von zehn Tagen in einer Hütte in Brandenburg. Die erste wirkliche "Bandplatte", die Gitarrenstücke wie "1996" möglich machte.

"Hinterher" wartet mit Bonmots auf wie "Du gibst mir einen Korb / Ich leg mich rein / Vielleicht reicht die Körbchengröße ja für zwei". "Heimatschänke" begibt sich zu den Säufern in die Kneipe und entromantisiert diese gnadenlos. "Verlorene Seelen tanzen Striptease auf dem Tresen / Das muss Liebe sein". Der 80er Sound des Songs mit trockener Hi-Hat, cheesy Gitarrensolo und Synthies hätte dabei auch dem guten Drangsal nicht schlecht zu Gesicht gestanden.

Zum Abschluss brodelt "Wut Lass Nach" vor sich hin, immer wieder scheint Jonas die Titelgeberin verraten zu wollen, immer wieder fängt er sich im letzten Moment noch ein. Vielleicht weil das Klavier schön vor sich hin plätschert und sehr entfernt an eine poppigere Version der Namenspaten (OK Computer/Kid A) erinnert.

Die neue OK Kid-Version überzeugt. Die Texte sind gewohnt alltagsklug und feinfühlig geraten, die Gefahr der musikalischen Langeweile nicht mal ansatzweise im Verzug und die Haltung stimmt mehr denn je.

Trackliste

  1. 1. Lügenhits
  2. 2. Hinterher
  3. 3. Ich Und Die Planierraupe
  4. 4. Heimatschänke
  5. 5. 1996
  6. 6. Wolke
  7. 7. Sensation
  8. 8. Pattaya
  9. 9. Reparieren
  10. 10. Warten Auf Den Starken Mann
  11. 11. Wut Lass Nach

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7 Kommentare mit 3 Antworten

  • Vor 6 Jahren

    Leider bis auf "Lügenhits" (weil dort passend) und "Warten auf den Starken Mann" keine richtig guten Lieder drauf. Erinnert teilweise an eine weichgespültere Version von Tocotronic (zB 1996). Ich persönlich habe alle Alben davor wirklich gemocht aber damit hat es fast nix mehr zu tun. Ich hoffe am Konzert spielen sie noch ein paar alte Lieder. Das Neue Ok Kid hat mich noch nicht überzeugt.

  • Vor 6 Jahren

    Wirklich schade...den eigenen Stil mit Hip Hop und elektronischen Einflüssen wird zu austauschbarerem deutschem Pop. Klingt als hätte man sich von Caspar und Bilderbuch beeinflussen lassen..Enttäuschend!

  • Vor 5 Jahren

    Erinnert mich ein wenig an den qualitativen Untergang von Mumford and Sons. Weg von den Wurzeln hin zu Mainstream-fähigem Alltags-Pop. Die Rezension ist unglaublich oberflächlich und einen guten Schwank zu wohlwollend. Alltagsklug ist ein Wort ohne jegliche Bedeutung und ich weiß nicht ob ich Texte die wirklich jeder (inkl. der 14 Jährigen) beim ersten Mal hören entschlüsselt, als feinfühlig bezeichnen würde. Ein Titel der Planierraupe als Stempel trägt und sich dann tatsächlich thematisch mit Gentrifizierung auseinandersetzt ist sicherlich vieles aber nicht feinfühlig. Wobei die Texte schlussendlich wirklich mitnichten schlecht sind (wenigstens etwas, dass sie aus den alten Tagen mitgenommen haben). Wie man das darunter vor sich "hinplätschernde" (Zitat vom Autor) gedudel aus Klavier und weichgespülten Synthesizern als positiv bewerten kann bleibt mir ein Rätsel, ist es doch vor allem Anderen einfach nur gähnend langweilig und bedient eine Zielgruppe der es beileibe nicht an deutschen Durchschnittskünstlern mangelt.