laut.de-Kritik

Hormonstau und Handclapping im Skater-Paradies.

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Kritikern und Musikliebhabern wirft man gerne vor, sie nähmen erfolgreiche Pop-Erzeugnisse, die sich gut verkaufen und erkennbar auf den Mainstream zielen, generell nicht ernst. Im Herzen des Pop residiert die Band One Republic. Sie ist so sehr Pop, dass es kein Neben-Genre gibt. Keine Einflüsse, keine Stilverschmelzung, keine Experimente. Pop-Pop eben. Eine Cash Cow der Industrie, beim Melken ergiebig.

Der Bandname One Republic ist ungefähr so platt gehalten wie 'Die Mannschaft' für eine Fußball-Elf. Auch den Albumtitel "Artificial Paradise" formulieren die Kalifornier und ihre Marketing-Berater absolut passend, gleichzeitig stellt er eine Bankrott-Erklärung dar: Die Platte feiert den naiven super-sunny Lifestyle der Songtexte und Musikvideos als "Paradise", das zwar maximal langweilig, aber auch bequem wirkt. Gleichzeitig gibt man zu, wie extrem künstlich, "artificial" jede einzelne Nummer klingt. Papp-Pop.

Sogar Musik-Idealisten müssen aber einräumen, dass One Republic mindestens zehn andere, schlecht verkaufende Bands auf ihrem Label Polydor mittels Querfinanzierung unterstützen. Dieser pragmatische Nutzen spricht erst mal für sie: Ohne One Republic und ihre planbaren, seriellen Charts-Hits gäbe es viele andere Artists gar nicht in Video-, CD- oder Vinyl-Format.

Doch ist die Gesamtheit dessen, was sie künstlerisch darbieten, nicht dürftig bis dämlich? Die inhaltlich armseligen Themen, die banalen und ein bisschen sexistischen Texte, plakativer Gesangsstil, vorhersehbare Sound-Gestaltung. Und das alles sogar gemessen an den Maßstäben von Major-Kriterien in diesem Genre. Immerhin haben Gruppen, die zu schnalzenden Beats die Hormonsituation pubertierender Jungs in Vollzeit durchleben, ihre feste Nische. Schon in den 1970ern hüpften die Bay City Rollers durch ihren sorgenfreien Forever-Teenie-Alltag. In den '90ern rockten N'Sync weltweit dank Simplifizierung den Uptempo-Coming-of-Age-Markt.

Trotzdem kamen N'Sync klar, ohne nach fast jeder Zeile 'eaa-yea-eh' und 'ooo-woo-hoo' einzuwerfen, gar in Fremdschäm-Dialogen zu gipfeln wie "you're a Friday / I'm a Monday with a reservation" - Antwort: "Then cut your ties / Send 'em packing on a long vacation." Häh?! Welche Chatbot-App das wohl getextet haben mag?

Schon in "Hurt" vergeht einem die Lust aufs One Republic-Album, wenn man einen Funken Anspruch hat. "So if you want my heart, then, Babe, you're gonna have to work for it", kräht Frontmann Ryan Tedder und zitiert eine begehrte Frau, während im Videoclip ein Skateboard zu Schrott gesprungen wird. "Work for it / Work for it / Work for it..." feuert der Herrenchor an, aber es hat etwas Forderndes und Abweisendes, das skatende 'Babe' hat schon verloren.

Sogar der verliebtheitskalkulatorische Unsinn Mark Forsters atmet einen höheren IQ. Dass es unserem Zeitgeist entspricht, aus allem eine Bewerbung nach Gesetzen der Arbeitswelt zu machen, kommt hier gnadenlos zum Ausdruck: Wenn er den Job als Freund will, "then, 'Babe'", soll er sich anstrengen. Nun mach schon. "Work for it." Wenn sie von ihm Liebe im Gegenzug erwartet, dreht er das Spiel um "I'll make you hurt for it". Flirten war gestern, Anziehung vorgestern.

In der One Republic-Welt dreht sich sonst alles um Spaß, unbeherrschbare Einbildung, Ferien, Sonne, Küsten und um einen sorgenfreien Mix of emotions mit "Serotonin"-Überhang bis zum "Last Holiday" im "Sunshine" an der "West Coast", in "Singapore" oder an der Halfpipe. Das Großreich 'Eine Republik' erstreckt sich also von Kalifornien bis nach Südostasien. Dazwischen gibt's bei frühzeitiger Anmeldung zum Assessment-Center und Bestehen der Aufnahmeprüfung einen "Room For You". Für dich, "then, 'Babe'".

Jetzt mag man einwenden, dass One Republic eben auch keinen Plattenvertrag hätten, wenn nicht ein riesiger Markt dafür existierte. Derweil mangelt es jedoch immerhin an handwerklicher Sorgfalt, logischer Konsistenz, Originalität als auch dem zielführenden Zuende-Denken des Profitstrebens.

Die K.I. kann auch pfeifen, was sie zur Abwechslung in "I Ain't Worried" tut. Einem belanglosen Lied übers Skaten und Schwimmen. Das Video über Düsenjäger im Zuge des "Top Gun: Maverick"-Soundtracks (von 2022) ist ein verwirrender Zusammenschnitt aus Flug-Startbahnen und einem zirka 13-jährigen Mädchen mit seiner Mama. Aufschlussreich ist das nicht so wirklich.

Während man beim stumpfsinnigen Auftrags-EM-Song "Fire" with Meduza + Leony auf die Idee des Product Placement einer Limonade im Clip kam, verpasste man die Chance, im Film zu "I Ain't Worried" für Sonnenbrillen zu werben. Um sie scheint es zu gehen, schaut man sich das Video ohne Ton an. Doch wir erfahren keine Hersteller-Namen. Hier wäre noch Luft nach oben beim Gelddrucken und somit dann eventuell ein Rest-Taschengeld für den arbeitslosen Trommler aus Kaliforniens Straßenmusik-Szene übrig.

Der könnte sicher mehr als die seit George Ezra inflationär oft missbrauchten Handclappings aus der Toolbar. Dieses stupide Versatzstück klingt nicht im Ansatz nach dem dramatischen "Mix of emotions", den Tedder in "Sink Or Swim" durchzumachen behauptet. Schnalz klack - schnalz klack - schnalz klack. Dazu das Ticken eines Metronoms und viel "Wooo-hooo-ho-ugh" im Text.

Zum 'Bad Boy'-Aufgebot auf dem sonnigen Skater-Platz an der Küste gehört es selbstverständlich, sich mit fremden Federn zu schmücken. Im Major-Musikschaffen ist das ja mittlerweile Einstiegsbedingung. "Last Holiday" besteht deswegen zur Hälfte aus einem debilen Imitat von Serge Gainsbourgs "Histoire De Melody Nelson". Die andere Hälfte formt sich aus einer doppelwandigen Recycling-Schicht schnalzenden Handclappings mit weiteren "wooo-hooo"-Chören.

Im "Sunshine" an der "West Coast" kommt der Bad Boy im Achselshirt der Frau namens 'Babe' kurz nahe und kann auf ihren Masochismus zählen. Eine Zeitlang. Dabei fällt ein typischer Unternehmens-Satz im Assessment Center: "Even if the sun burns out / I'll be there for you." Mag das Sonnensystem implodieren, das Unternehmen denkt ja langfristig, nachhaltig, bietet unbefristet Aufstiegsmöglichkeiten. So ähnlich behauptet es Mister Achselshirt gegenüber der namenlosen Verehrerin, die sich ziert. Die zweieinhalb Jahre alte Single "West Coast" handelt derweil vom nachhaltigen Geldzählen in der Sonne.

Wer übrigens noch keine 'Wall of Sound' von Phil Spector gehört hat, braucht damit gar nicht erst anfangen. Die letzten 40 Sekunden von "Sink Or Swim" stellen alles in den Schatten, was der Ehrendoktor des wahnhaften Kitsches je theatralisiert hat. Das Budget der 'Einen Republik' hat man offenbar hier verbraten.

Als Anspieltipps drängen sich die Instrumentals "Singapore" und "Entr'acte" auf, weil hier Gesang und flache Lyrics unterbleiben. Klappe halten und dazu noch Klapper-Beats pausieren - das ist eigentlich die Empfehlung, die man als Fazit geben kann. Ich persönlich höre dann lieber wieder die Jonas Brothers. Als vorteilhaft erweist sich die Werbung, die sich auf YouTube zwischen die Tracks schaltet und aus der Sedierung erweckt. Ein User selbiger Plattform hat den sinnfälligen Tipp angesichts der austauschbaren Musik parat: One Republic sollten mit Coldplay und Imagine Dragons eine Kollabo aufnehmen.

Trackliste

  1. 1. Artificial Paradise
  2. 2. Hurt
  3. 3. Sink Or Swim
  4. 4. Mirage - with Assassin's Creed x Mishaal Tamer
  5. 5. Sunshine
  6. 6. I Don't Wanna Wait - with David Guetta
  7. 7. I Ain't Worried
  8. 8. Entr'acte
  9. 9. West Coast
  10. 10. Nobody
  11. 11. Serotonin
  12. 12. Red Light Green Light
  13. 13. Runaway
  14. 14. Last Holiday
  15. 15. Singapore
  16. 16. Stargazing
  17. 17. Room For You
  18. 18. Fire - with Meduza + Leony

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