laut.de-Kritik

Ein bisschen von allem und davon zu wenig.

Review von

Sie gilt als Trendbarometer für zukünftige Hypes: Die "Sound of..."-Liste der BBC stellt seit 2003 auf ihrer Homepage die hoffnungsvollsten und spannendsten Newcomer des Jahres vor. Ellie Goulding und Adele tauchten hier lange vor späterem Weltruhm und Grammy-Auszeichnungen auf. In der Liste für 2018 zog die Band Pale Waves mit ihrem interessanten Erscheinungsbild die größte Aufmerksamkeit auf sich.

Deren Sängerin Heather Baron-Gracie und Schlagzeugerin Ciara Doran sehen aus wie eine Filmidee von "Nightmare Before Christmas"-Regisseur Tim Burton, irgendwo zwischen Stummfilm und 80ies-Gothic, und kommen aus Manchester. Diese hübsch-hässliche Industriestadt im Norden Englands, die neben London als das Epizentrum der britischen Musik gilt und schon viele legendäre Bands wie Stone Roses, Joy Division und Oasis hervor brachte.

Eine große musikalische Vergangenheit, deren Zukunft die Pale Waves gerne wären. In dem braven Mode-Allerlei der derzeitigen britischen Bands nimmt die Band aus der Musikmetropole schon jetzt das Siegerfoto mit nach Hause. The 1975, Freunde und Mentoren der Pale Waves, wirken gegenüber ihren extravaganten Schützlingen wie die durchschnittliche Jungs-Band vom Lande. Kein Wunder, dass die britische Musikpresse nach den großen Britpop-Tagen und dem mondänen Indie-Rock der 00er nach einer neuen Ausnahmeerscheinung lechzt.

Es ist anderer Vergleich, bei dem die Band klar verliert, und der findet in Konkurrenz zwischen dem eigenen unangepassten Image und der harmlosen Pop-Musik auf ihrem Debüt "My Mind Makes Noises" statt statt. Sängerin Heather mag wie die neue Wave-Ikone für die ausklingenden 10er-Jahre aussehen, aber der Synthie-Pop in "Loveless Girl" scheitert an dem Versuch Kate Perry, The Cure und Taylor Swift in einen Song zu pressen, denn weder sind Ohrwurm-Charakter, noch die Klasse eines Robert Smith zu erkennen. Die einfachen Kitsch-Romantik-Texte wie "You're changing the way that you look at me / But I was never who you wanted me" oder "I would give you my body / But I'm not sure that you want me" ("There's A Honey") sind seichte Girl meets Boy-Prosa, die mehr nach 5 Seconds of Summer oder Justin Bieber als nach wahrer Teenage Angst klingen.

Pale Waves tun außerhalb ihrer Goth-Verkleidung erst gar nicht so, als hätten sie über den Look hinaus größeres Interesse an dem Genre. Ihr Debüt soll erfolgreich werden und nicht den Ansprüchen der Kritiker oder einer Subkultur genügen. Ein bisschen EDM, ein bisschen Emo, ein bisschen Pop ergibt trotzdem in der Summe aller Wenigkeiten keinen großen Song. Daran ändert auch die Alibi-Gitarre von Hugo Silvani nichts, der bestimmt auch chronischer Unterforderung wegen auf den Promo-Fotos so traurig in die Kamera schaut. Wer will es ihm verdecken? Zwei Akkorde auf einen Dance-Beat zu spielen hätte nicht einmal einen Dieter Bohlen bei Modern Talking glücklich gemacht.

In "Black" bekommt er immerhin die Möglichkeit in einer zweitklassigen The Killers-Coverband zu spielen, doch auch von dem großen Vorbild sieht man wie in dem ähnlich klingenden "Drive" nur die Rücklichter. In diesem Song taucht übrigens elfmal mal die Zeile " drive fast so I can feel something" auf. Die Ausarbeitung von guten Textideen fällt eben im Geschwindigkeitsrausch besonders schwer und ist eh nur unnötiger Ballast auf der Schnellstrecke Richtung Charts und der Snapchat-Aufmerksamkeit der jugendlichen Fans.

Die Ausnahme in diesem hyperaktiven Pop-Mikrokosmos ist "Karl", ein Akustik-Song, der mal nicht von einem blöden (aber dann doch süßen) Kerl handelt, sondern von der Trauer über den Verlust des geliebten Großvaters. Das erschafft für einen kurzen Moment so etwas wie Intimität und wahre Emotion, bleibt aber ohne Spannungsbogen doch nur einfache Lagerfeuer-Romantik. Eine weiterer Artikel im großen Sortiment der Allerwelts-Songs.

Tanzende Party-Menschen, Düster-Look, Feuerzeuge und Über-Gefühligkeit - Pale Waves haben auf ihrem ersten Album wirklich alles versucht, um genreübergreifend in jede Playlist aufgenommen und vom Mainstream angenommen zu werden. Bei all dem Klopfen an Genre-Türen und Glitzer-Geschenken für die Käuferschaft fehlt leider das überzeugende Argument, um sich das enttäuschende "My Mind Make Noises" ernsthaft als DEN Sound of 2018 vorzustellen. Hoffen wir für dieses Musikjahr, dass da noch mehr kommt.

Trackliste

  1. 1. Eighteen
  2. 2. There's A Honey
  3. 3. Noises
  4. 4. Came In Close
  5. 5. Loveless Girl
  6. 6. Drive
  7. 7. When Did I Lose It All
  8. 8. She
  9. 9. One More Time
  10. 10. Television Romance
  11. 11. Red
  12. 12. Kiss
  13. 13. Black
  14. 14. Karl

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