laut.de-Kritik

Mit maßgeschneiderten Gucci-Anzügen in der Zeitlosigkeit.

Review von

Parcels, das australisch-berlinerische Quintett, wirkte noch nie zeitgemäß. Das selbstbetitelte Debütalbum war eine lockere Melange aus Easy Listening, Funk und Pop. Nichts an ihm verwies wirklich auf das Jahr 2018. "Day/Night" klingt jetzt noch viel mehr aus der Zeit gefallen. Die Band insgesamt auch. Die Flugbegleiter-Ästhetik des Vorgängers ist einer Gucci-Kollektion gewichen, bei der Harry Styles die Knie schlackern. Richtig gelesen, die Parcels haben einen offiziellen Ausstatter. Oh, was ist das nur für ein Fit. Wie die Faust aufs Auge passen die maßgeschneiderten Gucci-Anzüge zur Zeitlosigkeit der Parcels.

"Day/Night" lässt die 90er Synthesizer der Marke "Air" in der Vergangenheit, hier kommt (so gut wie) nichts artifizielles mit rein. Alles basiert auf dem feinst austarierten Zusammenspiel der Band, Gitarre und Schlagzeug und Klavier und Bass greifen perfekt ineinander, die Gesangsharmonien klingen immer noch so erhaben wie der Leipziger Thomanerchor. Jules Crummbiegel trägt nicht nur einen der schönsten Schnauzer der Rockgeschichte, seine Kopfstimme transportiert auch noch perfekt die Themen von Einsamkeit, Isolation und Verlangen, die sich durch dieses außergewöhnliche Doppelalbum ziehen. Mehr als 80 Minuten entführen er, Pat, Noah, Toto und Louie ihre Hörer*innen auf einen endlosen Spaziergang durch das australische Outback sowie Berliner Szeneclubs.

Wie die Band an sich existiert auch "Day/Night" in einer seltsamen Form des Dazwischenseins. Die Songs fließen ineinander, nehmen Stimmungen auf, alles greift Hand in Hand. Deshalb funktionieren die beiden Hälften "Day" und "Night" als Einheit. Besonders clever erscheint die Entscheidung, nicht eine Dance-Hälfte und eine Afterparty-Hälfte anzubieten. Mit "Famous" lauert auf "Night" ein absoluter Floorkiller, während "Theworstthing" auf "Day" nicht nur einen deprimierenden Titel trägt, sondern so bluesig und niedergeschlagen daherkommt, dass man ihn nur in den Arm nehmen will.

Man möchte generell viele dieser Songs in den Arm nehmen. "Outside" fließt so wunderbar dahin, allein das Klavier am Anfang ist Grund genug, der Gesellschaft zu entsagen und nur noch in diesen warmen Wogen zu leben. Daraus entwickelt sich zärtlich, schwebend, die bisher beste Komposition der Parcels. Voller schwereloser Traurigkeit erfüllen Streicher den Song, steigern sich in ihrer Intensität. Jules Crommelin singt dazu in seiner wunderbaren Stimme von Einsamkeit, verschollenen Vätern und Partys, die er damit nicht stören will. Spätestens beim gebrochenen "Everything's cool here / I don't wanna ruin your party", wo ihn nur noch Streicher tragen, kommen die Tränen.

"Somethinggreater" klingt wieder mehr nach den 2018er Parcels. Lässig angefunkt groovt der Song vor sich hin, lädt zum Mitklatschen ein. Spätestens mit dem Break zum Refrain wird er auf wunderbare Art und Weise tanzbar. So, wie man eben tanzt, wenn man Gucci-Pullover und Schlaghosen trägt und jung und gutaussehend ist. Ein Hauch der kultivierten Zurückhaltung weht durch "Somethinggreater", während die Parcels sich nach dem Größeren, dem Unerklärlichen verzehren. Irgendetwas treibt sie um, lässt sie nicht still sitzen, das Gefühl, dass das eigene Leben nicht alles sein kann.

"Thefear" steigert sich in diese abgründigen Gedanken rein. Düster wummert der Bass aus der Anlage, die Gitarren zirkulieren bösartig, jederzeit bereit, mich zu attackieren. Doch das übernehmen schon die Synthesizer. Anfangs klingen sie noch etwas an Kid A, doch gegen Ende steigern sie sich in ihrer Intensität, werden dissonant, ich kann es kaum ertragen, meine Ohren schmerzen, mein Kopf schmerzt, ich kann nicht mehr, will nach Hause und dann ... ist es vorbei. Wie ein akustischer Trip in die Untiefen der menschlichen Psyche kommt "Thefear" daher, gleichzeitig furchteinflößend und wunderschön.

Dass darauf "Nightwalk" folgt, scheint allzu passend. Was hilft mehr gegen den Krieg im eigenen Kopf als ein Spaziergang durch stechende Kälte und schimmernde Dunkelheit? "Nightwalk" fängt dieses mysteriöse Gefühl zwischen Leben und Tod ein. Langsam hängt jeder Klavierakkord, jeder Vokal in der Luft, Synthesizer klingen wie der Nachhall der Gedanken aus "Thefear". Doch dann nimmt der Spaziergang eine ungeahnte Abzweigung. Leichter, spielfreudiger Jazz kommt herein, komplett mit einem ausufernden Gitarrensolo, zumindest bis die Streicher den Song wieder zu den Lebenden führen.

Auch auf "Day" gibt es einen Spaziergang. Doch "Daywalk" klingt nicht nach Flucht vor den inneren Dämonen, sondern beschwingt, offen, lichtdurchflutet. Gitarren sind kurz angebunden, Synthesizer schauen kurz vorbei, alles ist easy (listening). Wie ein Frühlingsspaziergang durch den Park mit der neuen Freundin, die Sonne scheint, das Gras ist von einem satten Grün, die Welt ist für diesen Tag wunderschön.

Auch "Comingback" klingt ähnlich beschwingt. Von Percussions getragen, die bestimmt auch Paul Simon gerne geklaut hätte und einem Chor, bei dem ABBA nicht widerstehen könnten, erkunden die Australier Beziehungen. Spezifischer, wie manche Beziehungen einfach nicht genug sind. Sie können es auch nicht erklären, aber irgendetwas fehlt. Deshalb geht das lyrische Ich immer wieder und kehrt zurück, unsicher, ob da "Somethinggreater" ist.

Genau das macht "Day/Night" zu so einem großartigen Album. Sein Wille zur Ambiguität, zu Grautönen. Nur hier könnten das vorsichtige "NowIcaresomemore" auf das ätherische "Once" treffen. In die überwältigend große Geste der Vergangenheit verpacken die Parcels ihre intimsten Gedanken.

Trackliste

  1. 1. Light
  2. 2. Free
  3. 3. Comingback
  4. 4. Theworstthing
  5. 5. Inthecityinterlude
  6. 6. NowIcaresomemore
  7. 7. Somethinggreater
  8. 8. Daywalk
  9. 9. Outside
  10. 10. Shadow
  11. 11. Neverloved
  12. 12. Famous
  13. 13. Icallthishome
  14. 14. LordHenry
  15. 15. Thefear
  16. 16. Nightwalk
  17. 17. Reflex
  18. 18. Once
  19. 19. Inside

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LAUT.DE-PORTRÄT Parcels

Benannt nach dem Café der Eltern eines Bandmitglieds gründen sich Parcels mitte 2014 im letzten Jahr der Highschool in ihrer Heimat Byron Bay in Australien.

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