laut.de-Kritik

Granatenpower und Hi-Hat-Gewitter.

Review von

Die Marke Paul Kalkbrenner ist in den letzten Jahren fast so wertvoll geworden wie die Coca Cola-Formel oder das Wissen um die Produktionsstätte der Gimmicks des YPS-Heftes. Diese Marke gilt es zu hegen und zu pflegen, sie soll schließlich auch weiterhin die wildesten Soundknospen hervorbringen.

Evolution statt Revolution ist angesagt. Neben Remixarbeiten für Moby oder Rammstein ist man zwischendurch auch ein bisschen bildungsbürgerlicher geworden (siehe Zeit-Magazin-Interview) und kann es sich leisten, die Anzahl der Auftritte im Jahr auf ein verträgliches Maß herunter zu stutzen. Natürlich lastet auch ein immenser Erfolgsdruck auf einem Künstler solchen Kalibers, gerade im Zusammenhang mit dem immer noch nachhallenden Phänomen "Berlin Calling".

Die ersten Klänge des bereits im Vorfeld bis ins Unendliche gehypten aktuellen Werks "Guten Tag" docken sofort an den Rave Synapsen an. Keine Risiken, kaum Nebenwirkungen.

"Der Stabsvörnern" ist sodann auch der perfekte Einstieg in sanft verwischte Bässe und Stromtäler aus sphärischen Synthies. Eine simple Struktur eigentlich. Wie sagen die Nachwuchsproducer immer so schön: er koche auch nur mit Wasser? Oder, um beim Bildungsbürgertum zu bleiben: "Das Bild könnte mein dreijähriger Sohn auch malen". Dann muss das aber schon ein japanisches Vollmondwasser oder ein Zauberpinsel von Bob Ross' Gnaden sein oder so. Denn solch eine sehnsüchtige Atmosphäre wie sie einem beim Open Air Slammer "Das Gezabel" entgegen schallert, sucht schon ihresgleichen.

Granatenpower verspricht "Der Buhold", ein Hi-Hat-Gewitter, dass es eine wahre Freude ist. Selbst mit höchster Sorgfalt kann ich an diesem Track nichts Nachteiliges entdecken. Er steht nahezu in einer Reihe mit Evergreens wie "Atzepeng" oder "Altes Kamuffel". Fetzt auf jeden Fall. Zwischendurch erscheinen immer wieder skizzenhafte Stücke, die wohl als Überleitungen dienen sollen. Kommt aber so rüber, als seien sie aus Versehen in den Ordner für die zu masternden Albumtitel gerutscht.

Seis drum, denn Neo Trance Brecher wie "Bieres Meuse" oder Hypnokeulen à la "Der Ast-Spink" wiegen diese minimalen Nebenwirkungen um ein Vielfaches auf. Überhaupt kann man feststellen, das Paul wieder zurück zum "Self" gelangt ist, zumindest was das Sounddesign betrifft, trockener Techno und adoleszenter Trance mit Niveau bestimmen das Klangbild.

Einzig "Vörnern Anwärter" blinzelt durch die Berlin Calling Brille. Darf es aber auch, die Fettheit gibt dem Track so oder so Recht. Es ist jedenfalls beruhigend zu sehen, dass es kommerziell erfolgreiche Künstler gibt, die nicht doof sind, sich künstlerisch nicht verleugnen und trotzdem den Fanerwartungen in nichts nachstehen. Berlin Burning.

Trackliste

  1. 1. Schnurbi
  2. 2. Der Stabsvörnern
  3. 3. Kernspalte
  4. 4. Spitz-Auge
  5. 5. Globale Gehung
  6. 6. Das Gezabel
  7. 7. Vörnern-Anwärter
  8. 8. Hinrich Zur See
  9. 9. Der Buhold
  10. 10. Speiseberndchen
  11. 11. Fochleise-Kassette
  12. 12. Trümmerung
  13. 13. Datenzwerg
  14. 14. Schwer Verbindlich
  15. 15. Der Ast-Spink
  16. 16. Bieres Meuse
  17. 17. Das Gezabel De Luxe

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