laut.de-Kritik
Ein zweiter Johnny Cash wird aus McCartney nicht mehr.
Review von Michael SchuhMit 71 Jahren, da fängt das Leben an: Schon beeindruckend, wie leicht es Paul McCartney offensichtlich fällt, nach vorne zu schauen. Der Mann kauft Platten von Kanye West und The National, er zockt mit Nirvana und er sieht maximal aus wie Anfang 60.
Vielleicht nimmt er deshalb in aktuellen Interviews die ewigen Beatles-Fragen lässig entgegen, anstatt sie zähneknirschend zu ignorieren. Ja, man dürfe ihn gerne an den alten Sachen messen, auch wenn ihn das nicht so sehr interessiere. Ja, eine Welt, in der niemand seine Vergangenheit kennen würde, wäre schön, aber es gebe auch heute viele Kids, die sie nicht kennen. Ja, er ertappe sich manchmal dabei, auf der Akustischen ein zweites "Eleanor Rigby" zu klimpern, aber dann breche er einfach ab.
Resultat dieser Einstellung ist "New", ein Album, das viele Wagnisse eingeht, mit der Vergangenheit deswegen aber nicht auf Kriegsfuß steht, wie man bei der Betrachtung des modernen Minimal Art-Covers vermuten würde. Ausgehend von der gleichnamigen, mit 60s-Harmonien und Beach Boys-Chören vollgepackten Single, ist man dann aber doch überrascht, zu welchen Experimenten die "einflussreichste, lebende Figur des Pop" (Dave Grohl) noch imstande ist.
Der elektronische Track "Appreciate" ist so ein Beispiel, gleichzeitig Lichtjahre von seinem grausamen Fireman-Muzak-Projekt der frühen 90er Jahre entfernt. Beinahe schon zaghaft fruscianteesk legen sich rückwärts abgespielte Gitarren über einen wabernden Trip Hop-Soundteppich, bevor Macca zum Takt des Drumcomputers seine sanfte Kopfstimme einsetzt. Der die Stille zerschneidende Noise-Refrain wirkt im ersten Moment fremdartig, fügt sich auf Dauer aber zu einem Ganzen und auch die kleinen Soundgimmicks (Breaks, Echo-Effekte, das sich nach und nach verfremdende Gitarrensolo) unterstreichen McCartneys Nerd-Anspruch.
Im soundtechnisch verwandten "Looking At Her" erkennt man den Rocker ebenfalls kaum wieder, mit Ausnahme des Talents für diese zeitlosen Refrains, deren Grundformel McCartney einst selbst miterfunden hat. Dass ein Rick Rubin im Lebenslauf des Ex-Beatles nicht auftauchen muss, liegt aber nicht nur an Maccas Vorwärtsdrang, sondern auch daran, dass er in den letzten sechs Jahren selbst schon genug zurück geschaut hat: Mit "Kisses On The Bottom", dem Beatles-zugewandten Konzertfilm "Good Evening New York City" und erst recht auf "Chaos And Creation In The Backyard" mit Nigel Godrich in der Rolle Rick Rubins. Aus Macca lässt sich wohl kein zweiter Johnny Cash schnitzen.
Stattdessen lud er sich diesmal mit Ethan Johns (Sohn von Glyn), Giles Martin (Sohn von George), Paul Epworth und seinem Hochzeits-DJ Mark Ronson vier Produzenten ein, die ein bisschen aufs zeitgemäße Soundkleid achten sollten. Das misslang vor allem Adele-Spezi Epworth, der McCartney gleich im Opener in ein spannungsarmes 80er-Umfeld treibt, in dem es ihm offenkundig schwer fällt, seine Qualitäten auszuspielen.
Aus "Alligator" lugt bereits der für ihn typische Gitarrenpop aus einem noch relativ verspielten Arrangement hervor, bevor "On My Way To Work" Anschauungsunterricht der reinen McCartney-Lehre gibt, samt krachender Sitar-Bridge. "Queenie Eye" ist der rockigste Song des Albums, bleibt in seiner Eingängigkeit aber seltsam blass.
Nostalgiker dürfen sich vor der Standardballade "Early Days" in den Staub werfen, in der sich McCartney an seine Liverpool-Jugendtage mit good old John Lennon erinnert: "Dressed in black from head to toe / two guitars across our backs / we would walk the city roads / seeking someone who would listen to the Music / that we were writing down at home". Ein Wunder, dass er sich an diese grauen Zeiten überhaupt noch erinnert.
Für den "I Can Bet"-Hitrefrain werden McCartney seine Wings-Jünger bis ans Ende aller Tage folgen, zusammen mit dem ziellos dahinplätschernden "Hosanna" und dem missglückten Ambient Rock-Schlusspunkt "Road" steht der Song eher für die schwierigen Momente seiner stilistischen Neuerfindung.
Und doch stellt "New" abermals unter Beweis, dass mit Paul McCartney eine Legende des Genres nicht bereit ist, die eigenen Denkmäler mit dem Bulldozer platt zu walzen. Zum Glück.
14 Kommentare mit einer Antwort
Nein nein nein, dieses Album ist nicht mein Fall, tut mir leid. Ich feier McCartneys Live-Shows, wo er viele viele alte Sachen spielt, aber das mit den neuen Tracks sollte er besser bleiben lassen!
Paul McCartney war schon immer mein viertliebster Beatle.
Dieser Kommentar wurde vor 9 Jahren durch den Autor entfernt.
Habe das Album jetzt bestimmt schon 6 oder 7 mal gehört und finde es stärker als die Rezension vermuten lässt. Mit dem allzu modernen Soundgewand mancher Songs muss man sich sicherlich erstmal anfreunden (bei "Appreciate" hat's überhaupt nicht geklappt), aber insgesamt ist das ein fantastisches Album; mindestens 4/5, sehe das eher wie Erlewine von allmusic.
Muss mich korrigieren, ich meinte nicht den zweiten Teil von Road, sondern Scared. War bei Spotify zusammen als ein Track
ich mag das album. die zweite hälfte fällt etwas ab, wobei die bonussongs der deluxe edition wohl auf der normalen albenversion besser aufgehoben gewesen wären. ("get me out of here" ist fantastisch.)
alles in allem eine erstaunlich unpeinliche angelegenheit. da hat er schon viel schlimmere alben gemacht, der olle paul.
Also ich finde sein Album nicht sensationell aber immer noch sehr gut! Eindeutige Empfehlung von mir!