laut.de-Kritik
Auf der Suche nach dem Klang der Ewigkeit.
Review von Giuliano BenassiSeine Rente hat sich der Singer/Songwriter aus New York spätestens 1970 gesichert, als er mit Kompagnon Art Garfunkel eines der erfolgreichsten Alben aller Zeiten veröffentlichte. 29 war Paul Simon damals. "Bridge Over Troubled Water" verkaufte sich weltweit 25 Millionen Mal.
Anschließend startete eine erfolgreiche Solokarriere, deren Krönung 1986 das Album "Graceland" darstellte. Seiner Akustikgitarre ist er treu geblieben, doch mit Folk hat seine Musik eher selten zu tun. 2006 tat er sich gar mit dem elektronischen Klangtüftler Brian Eno zusammen. Das dabei entstandene Album "Surprise" stellt in Simons hochwertigen Diskographie eher eine Fußnote dar, doch bewies es, dass er immer noch auf der Suche war.
Wonach, zeigt sich nun, zehn Jahre später: Es ist die Suche nach dem Klang der Ewigkeit. Diesmal versucht es Simon weniger mit Elektronik als mit Stimmen und "echten" Instrumenten. Noch erstaunlicher ist jedoch die Wahl des Produzenten: Jener Roy Halee, der bereits die Platten von Simon & Garfunkel und einige von Simons Solowerken betreut hat, darunter "Graceland".
Ein 74-Jähriger (Simon), der sich mit einem 81-Jährigen (Halee) auf die Suche nach neuen Sounds macht. Bemerkenswert.
Ganz jugendlich klingt das Wolfsgeheule, das Simon einer Saite seiner Gitarre zu Beginn des Openers entlockt. Fröhlich folgen mehrschichtige Perkussionen (Händeklatschen, Rasseln, vereinzelte tiefe Beats) und Simons Stimme, die vom Ende der Welt erzählt. "Die meisten Nachrufe sind eher ablehnende Rezensionen. Das Leben ist eine Lotterie, bei der die meisten verlieren", so die zentrale Aussage. Doch letztlich sei das egal, denn bald komme der Engel des Todes in Form eines Werwolfs (bzw. einer Werwölfin) und setze dem bösen Treiben ein Ende. Das Stück endet augenzwinkernd mit einer Orgeleinlage, die aus einem schlechten Horrorstreifen stammen könnte.
Fröhlich geht es auch im zweiten Stück zu. Selbstironisch erzählt Simon in "Wristband", wie er bei einer Veranstaltung kurz die Bühne verlässt und den Hintereingang nimmt, um "Nikotin zu atmen und meine E-Mails zu checken, falls ich die Schrift auf dem Bildschirm erkennen kann". Dann fällt die Tür ins Schloss. Also versucht er, durch den Haupteingang reinzukommen, aber keine Hoffnung: Ein Riese versperrt ihm den Weg und lässt ihn nicht rein, weil er keinen Bändel hat.
Es ist das beste Lied des Albums, vorgetragen mit jener ironischen Leichtigkeit, die die Klassiker "50 Ways To Leave Your Lover" oder "Graceland" (das Lied) auszeichnet. Auch hier fallen die vielschichtigen Rhythmen auf, die das Ergebnis einer weiteren erstaunlichen Zusammenarbeit sind, nämlich die mit dem italienischen DJ Cristiano Crisci a.k.a. Digi G'Alessio, der in seinem Nebenprojekt Clap!Clap! Klänge aus Afrika einsetzt, um Tanzbares zu erzeugen. Simon traf ihn auf Tour in Mailand, per E-Mail ließ er die ersten zwei Tracks und "Street Angel" pimpen.
Eine weitere Reise führte Simon an die Montclair State University in New Jersey, um sich an den wunderlichen Instrumenten des Harry Partch zu versuchen. Der Klangtüftler hat im 20. Jahrhundert Instrumente mit interessanten Namen wie "Cloud-Chamber Bowls" oder "Chromelodeon" erschaffen, bei denen Oktaven in 30 bis 43 Untertöne unterteilt sind (statt üblicherweise 12). "Unser Ohr erfasst mehr als die europäische Definition von dem, was richtig intoniert ist. Ein einfaches Beispiel ist ein Rhythm'n'Blues-Bläsersatz, der wirklich fantastisch gespielt ist, aber leicht verstimmt klingt. Bei einem Orchester wäre das Ergebnis langweilig. Manchmal ist das, was ein bisschen schräg klingt, gerade richtig. Und ich denke, das Ohr möchte uns da etwas mitteilen", so Simon.
Ein Ansatz, den Simon auch für den Gesang anwendete. "Die Stimme wechselt nicht linear von einer Note zur nächsten. Sie rutscht und gleitet durch sie hindurch. So begann ich damit, die Gesangslinien auf dem Album entsprechend zu gestalten. Heute benutzen so viele Leute Autotune, um die perfekte Stimmung zu erzielen. Ich finde, dass es weitaus Interessanteres gibt, als eine Note genau in der Mitte zu treffen".
Recht hat er. Was aber nicht bedeutet, dass er ein abgefahrenes, hochgestochenes Ergebnis liefert. Untypische Rhythmen haben bei Simon schon immer eine wichtige Rolle gespielt, ein Album trug sogar den vielsagenden Titel "The Rhythm Of The Saints". Mehrere Stücke, insbesondere "In A Parade" und "Cool Papa Bell" (mit der denkwürdigen Zeile "motherfucker, lovely word"), erinnern an die Scheibe von 1990.
Der Titeltrack klingt dagegen nach Sting, mit dem Simon 2014/2015 gemeinsam auf Tour war. Eher untypisch für Simon sind auf dem Album auch Instrumentals zu finden. So "The Clock", in dem eine tickende Uhr, eine Gitarrensaite und eingestreute Klänge zum Einsatz kommen, und "In The Garden Of Edie", seiner Frau Edie Brickell gewidmet. Beide schrieb Simon für ein Theaterstück, in dem sie aber keine Verwendung fanden.
Ganz zum Schluss spielt seine Akustikgitarre doch noch eine prominente Rolle. "Insomniac's Lullaby" fällt einlullend, aber reichlich schräg aus. Der gelungene Abschluss eines gelungenen Albums, das über mehrere Jahre und mit Beiträgen von vielen Musikern aus verschiedenen Teilen der Welt entstanden ist. Dafür klingt es erstaunlich zusammenhängend.
Übrigens lohnt sich die Investition in die Deluxe-Ausgabe, die neben zwei nicht verwendeten Stücken auch zwei schöne Liveaufnahmen bietet. Mit den Punch Brothers nahm Simon für eine Radiosendung das weniger bekannte, aber wunderbare "Duncan" (von 1972) auf, dazu noch "Wristband". Den Schluss macht eine gemeinsame Aufnahme mit dem New Yorker Doo Wop- und Rock'n'Roll-Sänger Dion, die bereits auf dessen Album mit demselben Titel erschienen ist.
"Klang ist nicht nur das Thema des Albums, sondern auch Gegenstand der einzelnen Songs." fasst Simon über sein Label zusammen. "Ich sage nie: 'Ich werde jetzt einen Song über die Sterblichkeit oder über soziale Ungleichheit schreiben,' oder etwas in der Art. In einem gewissen Sinne schreiben sich die Songs nämlich selbst. Sie leiten mich und ich folge ihnen nur. Der richtige Song, zur richtigen Zeit geschrieben, kann über Generationen hinweg bestehen. Ein wundervoller Klang aber ist für die Ewigkeit bestimmt".
Wie sich dieser wundervolle Klang nun anhört, darf jeder Hörer selbst entscheiden. Womöglich hat ihn Simon eh schon längst gefunden. Und ihm sogar einen Titel gegeben, den seines ersten Hits: Der Klang der Stille.
1 Kommentar
Damit wird er in der Breite nicht ankommen, aber der interessierte Musikhörer wird es lieben, weil es halt nicht von der Stange ist! Wer natürlich den 417. Aufguss von S'nG erwartet, der wird kotzen....DANKE PAUL, dass du es nicht von der Stange lieferst!