laut.de-Kritik
Alpentrend im Indie-Hemd.
Review von Julian VölkerAch Österreich, ist es schon wieder so weit? Soll eine Wiener Band ein weiteres Mal neue Maßstäbe in der deutschsprachigen Indie-Szene setzen? Es ist mittlerweile schon gefährlich wahrscheinlich, dass wenn Musik aus dem Alpenland ein paar Meter weiter nach Deutschland schwappt, sie erst Berlin und dann den ganzen Rest der Republik erobert. In den letzten Jahren unter anderem so geschehen bei Yung Hurn, Bilderbuch und Wanda. Schwer zu sagen, ob dabei die Musik, die Sprache oder doch die Verbindung aus beidem Garant für den Erfolg sind.
Mit Pauls Jets bahnt sich unter Umständen erneut ein derartiges Phänomen an. Das Wiener Trio präsentiert mit ihrer zweiten Platte "Highlights zum Einschlafen" Indie-Wave-Pop, der sowohl Parallelen zu Bilderbuch, als auch Wanda aufweist, ebenso aber eine durchaus erfolgsversprechende neue Schiene der Alpen-Musik eröffnet. Im Vergleich zu den genannten Größen, sind Pauls Jets weniger aggressiv und direkt. Sie erfreuen sich nur dann an großen Melodien und Refrains, wenn sie diese zuvor sanft in unerwartete Sounds und schräge Geräusche wickeln durften.
"Highlights zum Einschlafen" erinnert stark an die Musik der Hauptstadt-Kapelle Isolation Berlin und präsentiert genau dadurch ihr Alleinstellungsmerkmal. Denn im Vergleich zum Berliner Quartett klingt sie musikalisch schräger und textlich hoffnungsvoller. Während die deutsche Indie-Combo vom einsamen Betrinken in verruchten Kneipen singt, läuft Sänger Paul "Hochhaus" Buschnegg in Pyjama-Hose und Limoncello trinkend durch Wien und träumt von Rittern. So extravagant und ironisch positiv die Stadt sein kann, so sind auch seine Texte – Isolation Wien quasi.
Die 14 Songs der neuen Platte liefern viel von dem, was sich so als Erfolgsgeheimnis der letzten Jahre in österreichischer Popmusik herauskristallisiert hat: Anglizismen, Autotune und popkulturelle Verweise sowie eine Liebe zu Italien und Selbstmitleid. Besonders stechen dabei Gesang und Text heraus. Buschneggs kratzige und wilde Erzählerstimme passt vermutlich in jedes Genre, lenkt ab und lässt der Band den Freiraum, sich musikalisch und seltsam zu entfalten - hier so melancholisch wie Wanda, da so verspielt wie Die Höchste Eisenbahn. So erklärt sich auch, dass das Album sowohl Wave-Pop-, als auch Indie-, Singer/Songwriter- und Punk-Elemente aufweist.
Mühelos driftet das Trio in "Da Da Da" in Falco-Sphären ab, nur um den Track schnell wieder durch einen Knall, eine Sirene oder einen schiefen Ton zu verhunzen. Tönt seltsam, aber es funktioniert. Pauls Jets erinnern dabei an einen positiv naiven Kommilitonen, der zur Vorlesung eine Schüssel Nudeln mit Pesto mitbringt, knapp zu spät kommt und erst vor Ort bemerkt, dass er keine Schuhe an hat. Die anstehende Klausur besteht er ohne Probleme, jedoch erst im Nachholtermin, da er den eigentlichen verpennt hat. Es ist seltsam, aber es funktioniert.
Exemplarisch für die Kreativität der Kapelle steht "Blizzard". Ein Song mit drei unterschiedlich gesungenen Hooks, einem C-Teil mit Text von Reinhold Messner und einer nicht wegzuredenden Ohrwurmgefahr:
"Sag wie viel hast du getrunken? / Garnicht so viel / Magst du heut bei mir schlafen? / Ich hab ein guten Film".
Der Refrain beschreibt ganz gut, wie die Lyrics der Wiener funktionieren. In der Banalität von Buschneggs Texten steckt eine Art Verständnis und Ehrlichkeit, die den Songs wiederum trotz ihrer simplen Wortwahl eine Schwere und Tiefe vermittelt. So wie der darauf folgende Absatz Messners:
"Es ist nicht möglich aufrecht zu stehen. Zelte und Mulden haben sich gefüllt mit Pressschnee, und wo vor einigen Wochen die Sonne stand, droht jetzt ein schwarzer Himmel mit Vernichtung. Mir ist, als sei ich selbst hierher geschleudert worden. Ich lasse alles liegen und ziehe mich in mich selbst zurück, um dem Tod zu entrinnen, dessen erste Schatten mich gestreift haben".
Vielleicht sind sie für den Mainstream zu seltsam, der künstlerische Aspekt und der Unterhaltungswert von Pauls Jets sind allerdings groß genug, um erneut einen musikalischen Trend zu setzen.
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