laut.de-Kritik
Die Synthese aus Yello und DJ Bobo: Kunst und Zirkus.
Review von Michael SchuhEs gibt Künstler, denen will man sich während eines Interviews spontan um den Hals werfen. Etwa kürzlich Yello-Querdenker Dieter Meier bei dessen Gedankenstrom zur Kunst des eidgenössischen Kollegen DJ Bobo: "Der ist ein perfekter Entertainer, ein Zirkusunternehmer, der ganz lustige Shows macht, die die Leute mögen. Das ist wie Holiday On Ice oder eben Zirkus mit Elefanten und Giraffen."
Mit diesem nachvollziehbaren Vergleich zielte Meier darauf ab, dass sich seine Band vornehmlich seriöser Musikerzeugung widmet, während Herr Bobos Erfolg eher Aufführungen wattierter Traumwelten zu verdanken ist. Aber muss es immer Entweder-Oder sein? Nein: Willkommen auf einem Pet Shop Boys-Konzert.
Ihre 25-jährige Ausbildung im Pop-Kunst- und Showbusiness-Sektor machte sich bei den Briten zuletzt im wundersam juvenilen Album "Yes" und am 21. Dezember 2009 auch live in der Londoner O2-Arena bemerkbar.
Ihre Liveshow als gigantischen Zirkus zu bezeichnen, ist beileibe keine Beleidigung, auch wenn in London weder Elefanten noch Giraffen, dafür aber Background-Sängerinnen mit absurd großen Würfel-Helmen und gigantische Film-Screens die Szenerie beherrschen.
"Das hinreißendste Spektakel des Jahres", lobte die Times folgerichtig die DVD mit einem Enthusiasmus, den die Neue Zürcher Zeitung wohl eher nicht für DJ Bobo übrig hätte.
Trotz all der verrückten Shows, die das Duo in der Vergangenheit schon gespielt hat, erreicht die aktuelle Vorstellung aufgrund der symbiotischen Verbindung technischer und darstellerischer Gimmicks einen neuen Karriere-Höhepunkt.
Holiday On Ice-Feeling kommt spätestens dann auf, wenn plötzlich als Chrysler Building und World Trade Center verkleidete Tänzer neben Sänger Neil Tennant auftauchen, die im Farbenirrsinn der Big Screens jedoch nach und nach zu Pappmaché-Figuren schrumpfen.
Tennant wirkt mit Sonnenbrille und Melone im neuen Programm ohnehin schon wie die aus dem eigenen Cartoon entsprungene, menschgewordene Comic-Figur.
Musikalisch brennen die Boys ihr bewährtes Hit-Feuerwerk ab, das sich trotzdem nie anbiedert. "Heart" eröffnet butterweich, danach schieben sie beinahe unbemerkt vier "Yes"-Songs nach.
Nicht einmal die kaum mehr zu ertragenden Heuler "Go West" und "It's A Sin" stören im Fluss des elektronischen Beat-Happenings, was wiederum zu großen Teilen der hervorragenden Show zu verdanken ist.
Der Fan bekommt anhand der Integration rarer Tracks weiche Knie, etwa bei der 1987 unerklärlicherweise auf einer B-Seite verramschten Märchenballade "Do I Have To?" oder dem majestätischen "King's Cross".
Großartig auch der Italo-Disco-Break mit dem Kraftwerkesken "Two Divided By Zero" und "Why Don't We Live Together", in dem Lowe herrlich nonchalant den Shannon-Beat ("Let The Music Play") zitiert und Tennant die eigene Bobby O.-Verbeugung "In The Night". Hier wagt sogar der stocksteife Italo-Fanatiker am Keyboard zur Begeisterung der Arena einen Tanz mit den Profis.
Der DVD liegt netterweise noch eine (von Stuart Price gemixte) Audio-CD bei, passend zur CD-Verpackung. Darauf haben es allerdings nur 17 der insgesamt 22 Livetracks geschafft. Abgerundet wird die Live-DVD mit aktuellen Musikvideos und dem schönen Auftritt bei den letztjährigen Brit Awards mit Lady Gaga und Brandon Flowers.
Dass Tennant im Medley "Se a vida e / Discoteca / Domino dancing / Viva la vida" mit goldener Krone und langer Robe den noch immer nicht mit einem Brit geehrten Depeche Mode huldigen wollte, ist jedoch nur eine launige Vermutung des Autors.
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