3. November 2017

"Ich bin kein Jennifer Rostock-Experte"

Interview geführt von

Nach ausgedehntem Tabaluga-Zyklus meldet sich Peter Maffay Ende 2017 wieder mit seiner Band zurück. Statt der Rock-Routine nachzugehen veröffentlicht der 68-Jährige unter dem Banner "MTV Unplugged" ein Akustik-Livealbum mit illustrer Gästeschar.

"Bis Weihnachten gehen wir fleißig Klinkenputzen", begrüßt Peter Maffay die anwesende Journalistengruppe im Berliner Soho House. Tiefenentspannt präsentiert er dort zwischen Plüschsesseln Ausschnitte seines "MTV Unplugged"-Konzerts, das er im Sommer im Steintor-Varieté in Halle an der Saale aufgezeichnet hat.

Bei der Gelegenheit gibt der Musiker gleich noch einen Einblick in die Bühnenkonstruktion der 2018 stattfindenden Akustiktour. Eine extra gebaute Stage-Nase soll Maffay seinem Publikum näher bringen, riesige Videoleinwände gibts obendrauf. Beim anschließenden Gespräch unter drei Augen sowie einem Veilchen (Maffay verabschiedet seine Visagistin mit den Worten "Die Schminke stört mich eher") geht es außerdem um seine Schlagervergangenheit, die gescheiterte Zusammenarbeit mit Bushido und Sido und die aktuelle politische Lage. Seit heute liegt die Show auf CD, DVD oder Blu-ray im Handel.

Bei dem MTV-Auftritt spielt ihr im Publikumsraum, während die Zuschauer auch auf der eigentlichen Bühne Platz nehmen. Wie kam es dazu?

Peter Maffay: Die Idee hatte Regisseur Hans Pannecoucke – Hans Pfannekuchen –, ein sehr innovativer Typ. Er fragte mich: 'Wie spielt ihr im Studio, wenn ihr unter euch seid?' Wir sitzen im Kreis. Also fragte er, warum wir das Konzert nicht genauso spielen – immerhin können wir uns dann angucken. Mein Gegenargument war: Wie schaffst du dann eine Totale? Wie bekommst du uns alle ins Bild? Er erwiderte: 'Das brauche ich nicht. Ich zeige deinen Rücken und das Gesicht deines Gegenübers – dann weiß ich, was zu machst.' Dieser Dialog war das Interessante an der filmischen Gestaltung. Wenn ich mir heute das Ergebnis angucke, entdecke ich darin eine filmische Qualität, die wir bisher nicht hatten.

Man bekommt einen schönen Rundumblick.

Man sieht, was der Duettpartner macht, wie er drauf einsteigt. Und wenn du das um 180 Grad drehst, ist das nicht weniger interessant. Im Endeffekt also eine gute Idee.

Gibts einen Grund, warum du gerade jetzt ein Unplugged-Album aufgenommen hast – nach über 40 Jahren im Business?

Nein, eigentlich nicht. Vergangenes Jahr waren wir mit der Tabaluga-Produktion unterwegs. Ein völlig anderes Thema, sehr aufwändig. Wir waren mit über 200 Leuten unterwegs, spielten 63 Konzerte. Die gesamte Tabaluga-Phase mit Album und Tour dauerte zweieinhalb Jahre. Jeder hatte Bock, danach etwas anderes zu machen. Ich weiß gar nicht mehr, wer zuerst MTV Unplugged ins Spiel brachte, aber als das aufkam, schrien alle sofort Yes! Es ergab Sinn und war gleichzeitig ein Schritt in eine neue Richtung.

War es auch eine Art Versöhnung mit dir selbst, da du ja angekündigt hattest: "Ich stelle die Rockgitarre jetzt eine Weile in die Ecke?"

Nein, das hat mit Versöhnung überhaupt nichts zu tun. Ich spiele gerne auf meiner E-Gitarre, gar kein Thema! Mit einer Akustikgitarre zu spielen geht im Grunde schon weit zurück zum Anfang. Als ich mit 14, 15 erste eigene Songs geschrieben habe, passierte das in irgendeinem Eck mit der Akustischen. Das ist auch heute noch so. Ich ziehe mich zurück, bin für mich alleine und klimpere vor mich hin. Das ist gerade das Reizvolle. Du hast nichts außer deinen Händen, deinen Stimmbändern und deinen Emotionen. Daraus entsteht das, was man hört. Die Summe aller, die das so empfinden, ist das Konzert.

Wie stehst du eigentlich heute zu deiner Schlagervergangenheit – "Du" und Konsorten?

Naja, wir haben "Du" ja angespielt.

Eben.

Das klingt heute natürlich ganz anders. (lacht) Ich habe damit angefangen, davor verstecke ich mich nicht. Es gibt viele Songs von damals, die ich heute nicht mehr unbedingt spielen würde, aber ich habe keine Angst vor der Berührung. Ein paar sind auch dabei, die man heute total gut spielen kann. Manchmal erfordert es ein bisschen Humor, das zu tun. Dann lachen wir über uns selbst und freuen uns auch auf die Reaktion der Leute darauf, die dann sich selbst ein bisschen auf die Schippe nehmen. Du siehst ja, was sie etwa bei "Du" machen. Gleichzeitig sind sie glaube ich auch dankbar dafür, dass das keine No-Go-Area ist. Wir alle haben natürlich eine Entwicklung durchgemacht und entsprechend stehen heute andere Lieder im Vordergrund.

Es klingt ja wirklich anders als damals.

Total.

Aufgenommen habt ihr das Konzert in Halle. Zu der Stadt hast du eine private Verbindung. War die Wahl der Location damit vielleicht auch ein Statement an die Öffentlichkeit, um zu zeigen, wo du gerade im Leben stehst?

Nein, das wäre mit der rechten Hand am linken Ohr gekratzt, haha. Es hätte genauso gut in Berlin sein können. Aber ich gebe gerne zu, dass Halle eine interessante Stadt ist. Sie ist jung, musikalisch passiert sehr viel. Es gibt gute Clubs. Die Stadt steht nicht so im Fokus, ist auch nicht überfrachtet mit Veranstaltungen. Aber es ist sehr transparent und die Leute sind nicht gelangweilt. Nicht alles passiert in München, Hamburg oder Köln.

"Bushido hat ein interessantes Publikum"

Ein wesentliches Element des Konzerts sind deine Gäste: Johannes Oerding, Ilse Delange, Katie Melua, Philipp Poisel, Tony Carey und Jennifer Weist. Du hast in deiner Karriere mit weit mehr Künstlern zusammen gearbeitet. Wieso hast du dich für genau diese sechs entschieden?

Zunächst einmal: Die Entscheidung habe ich zusammen mit der Band getroffen. Ich möchte so etwas nicht über die Köpfe der anderen hinweg durchsetzen. Wir gehen schließlich zusammen raus und spielen zusammen. So muss jeder die Entscheidung mittragen – besser er ist dafür als dagegen. Also setzt man sich wieder im Kreis zusammen und fragt, wen man sich wünscht. Wer ist überhaupt zeitlich ansprechbar? Manche hätten gern mitgemacht, waren aber selbst unterwegs oder arbeiteten im Studio. So filtern sich langsam gewisse Namen heraus. Das ist weniger kompliziert als man glaubt.

Auch Leute aus vermeintlich sehr unterschiedlichen musikalischen Positionen heraus beobachten sich und versuchen mitzuverfolgen, was der andere tut. Ich bin zum Beispiel kein Experte in Sachen Jennifer Rostock. Aber ich kenne natürlich ein paar Sachen. Peter Keller hat mich gefragt, was ich davon halte und ich meinte: "Okay, dann lass uns mal etwas genauer hinhören." Er kannte die Musik natürlich viel besser als ich. Bei Philipp Poisel war es genauso. Ich kenne ein paar seiner Sachen, aber ich bin nicht in die Tiefe gestiegen. Erst als ich es getan habe, merkte ich, was das für geile Musik ist. Johannes Oerding kannte ich ein bisschen besser. Umgekehrt gilt das natürlich auch: Ich gehe nicht davon aus, dass Jennifer Weist alle meine Platten im Schrank stehen hat.

Wie lief mit ihr die Zusammenarbeit? Das Duett "Leuchtturm" habt ihr immerhin als Single ausgekoppelt.

Ganz easy. Wir haben uns in Berlin getroffen, uns zusammen gesetzt und überlegt, welche Songs infrage kommen. Bei den anderen lief es ähnlich. Ich machte Vorschläge und bekam auch ein paar.

Vor einigen Jahren gab es ja eine Zusammenarbeit mit Bushido und Sido, die dann unschön endete. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt gewesen, wieder Kontakt aufzunehmen. Gab es dahingehend Überlegungen oder sind da alle Brücken abgebrochen?

Ich hatte niemals Probleme mit der musikalischen Attitüde – weder von Sido noch von Bushido. Musikalisch finde ich die absolut okay. Und Sido ist für mich kein Problem. Was ein Problem war und ich sage bewusst 'war', weil ich das seither nicht mehr weiter verfolgt habe, ist Bushidos Haltung. Als ich mich damals entschlossen hatte, die Zusammenarbeit nicht fortzuführen, war mir aufgefallen, dass es eine große Diskrepanz gab zwischen dem, was er in Aussicht gestellt hatte, und dem, was er eingehalten hat. Die Voraussetzung, überhaupt miteinander ins Gespräch zu kommen bestand darin, dass man gemeinsam ein Statement erzeugen wollte: Gegen Gewalt, gegen gewaltverherrlichende Dinge und und und. Deswegen habe ich da mitgemacht. Das fand ich gut.

Bushido hat ein interessantes Publikum. Wenn er sich um 180 Grad dreht und die Leute zuhören und darauf achten was er sagt, ist das doch toll. Das ist meinem Eindruck nach allerdings nicht geschehen, weshalb ich das selbst nicht länger vertreten konnte. Ich bin gegen Gewalt, ich bin gegen gewaltverherrlichende Videos, denn ich glaube nicht, dass das der richtige Weg ist. Ich stehe nicht hinter einer Stiftung für traumatisierte Kinder, die teilweise Gewalterfahrung haben, um dann eine Schippe obendrauf zu legen. Deswegen musste ich sagen: "Sorry, da kann ich nicht mitmachen." Keine Ahnung, wie sich das bei ihm weiter entwickelt hat. Kann ja sein, dass er solchen Positionen komplett entsagt hat. Das fände ich gut, aber es entzieht sich meiner Kenntnis.

Würdest du im Zweifel wieder mit ihm zusammenarbeiten? Wenn du siehst, dass sich etwas verändert hat?

Das würde ich diesmal sehr genau durchleuchten. Aber nehmen wir an, es wäre so, dann wäre das ein Grund, wieder ins Gespräch zu kommen. Gar keine Frage. Er hat ja seinerzeit einen Preis bekommen. Nach meiner Auffassung – und damit stand ich nicht alleine – bekam er diesen Preis nicht für das, was er zuvor getan, sondern für das, was er in Aussicht gestellt hat. Entscheidend war: Löst er das ein oder nicht?

Du hast dich ja damals auch sehr für ihn ausgesprochen.

Absolut. Ich habe die Laudatio auf ihn gehalten, aus dieser Argumentation heraus. Dafür haben mich ziemlich viele Leute angegangen, die sagten: "Wie kannst du das machen? Guck dir mal die Videos an!" Ich war der Meinung: Wenn er damit aufhört und anders weiter macht, ist das eine Chance! Ich sitze nicht auf einem so hohen Ross, dass ich heute nicht mehr mit ihm reden würde. Aber es müsste sehr glaubhaft sein. Und beim zweiten Mal guckt man natürlich genauer hin. Er würde wohl auch hinterfragen, ob das Sinn ergäbe oder nicht.

"Als Künstler Position zu beziehen ist Pflicht"

Da wir eh schon beim Thema Verantwortung sind: Wie siehst du heute deine Verantwortung als Künstler? Hat sie sich im Laufe der Jahre verändert? Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Lage ...

Naja, ich sag mal so: Wenn man für traumatisierte Kinder eintritt und das nicht erst seit kurzem, ist das schon ein bisschen politisch. Unsere Stiftung gibt es seit 2000, wir machen also seit 17 Jahren diesen Job. Jedes Jahr kommen etwa 1200 Kinder, viele kommen aus Kriegsgebieten, haben ihre Eltern verloren. Wir hatten ein Jahr lang, bis zum Winter dieses Jahres, zwanzig afghanische Flüchtlinge bei uns. Damit bezieht man ja doch sehr deutlich Position. Ich habe mich zu Ausländerfeindlichkeit und Einwanderungspolitik artikuliert, unterstützte Udo Lindenberg bei "Rock Gegen Rechts". Wir haben 1986 angefangen, in der DDR zu spielen, weil wir dachten, es ist besser, den Dialog aufrechtzuerhalten als sich weiter gegenseitig zu bedrohen.

Als Künstler Position zu beziehen halte ich für eine Pflicht. Jeder muss für sich selbst interpretieren, wie weit er geht, aber ich bin der Ansicht, die Leute müssen wissen, wo man steht. Insofern gibt es auch eine Verantwortung, sich dementsprechend zu verhalten. Das wird auch so bleiben und je länger wir dabei sind, desto konsequenter muss das sein. Das ist keine Geschichte, die man an einem Tag anfängt und am nächsten wieder aufhört. Die Umstände werden sich für uns ja nicht radikal und sehr schnell verändern. Die Stiftung wird auch nächstes und übernächstes Jahr noch existieren, wir werden weiter dieser Arbeit nachgehen und eine entsprechende Position beziehen.

Welches ist deiner Ansicht nach das wichtigste Album deiner Karriere und warum?

Im nächsten Jahr gehts anlässlich des Albums auf große Akustikkonzertreise. Der Start erfolgt pünktlich zum Valentinstag. War das eigentlich Absicht?

Ist das so?

(die gerade erschienene Assistentin von der Seite) Oder am Aschermittwoch, das kann man sich aussuchen.

(Maffay lacht los)

Also keine Absicht, hm?

Nein, weder das eine noch das andere, hahaha. Aber ich finds interessant. Ist witzig.

Was hat das jetzt für deine Valentinstagspläne zur Folge?

Keine. Wir werden spielen, so oder so.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Peter Maffay

Kennzeichen: 1.68 cm klein, pfenniggroßes Muttermal links oberhalb der Lippe, markante raue Stimme, Tätowierungen auf den muskulösen Oberarmen, Rocker …

Noch keine Kommentare