laut.de-Kritik

Auf dem dritten Album des Radiohead-Drummers regiert das Orchester.

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Sind Radiohead etwa schon Geschichte? Weltweit schreckten Fans der Rock-Giganten auf, als Gitarrist Ed O'Brien letztes Jahr im The Line-Up Podcast über eine Auflösung der Band spekulierte: "Im Moment gibt es kein Radiohead. Es könnte passieren, aber die andere Sache ist ... es könnte auch nicht passieren".

Sollte die legendäre Band, die 2016 mit "A Moon Shaped Pool" ihr letztes Studioalbum veröffentlichte, tatsächlich Schluss machen, wäre das zur Zeit wohl noch verhältnismäßig leicht zu verkraften. Selten waren die Nebenprojekte der Mitglieder so vielfältig. O'Brien selbst präsentiert im April 2020 sein Debütalbum "Earth", Bassist Colin Greenwood geht mit Nick Cave auf Tour, während die Radiohead-Granden Thom Yorke und Johnny Greenwood als The Smile begeistern.

Fürs neuste Feature im erweiterten Radiohead-Universum sorgt jetzt Philip Selway. Mit "Strange Dance" legt der Schlagzeuger der Kultrocker sein bereits drittes Soloalbum vor. Nach dem zurückhaltenden Debüt "Familial" und dem Zweitwerk "Weatherhouse" vervollständigt Selway seine Trilogie mit einer orchestral arrangierten, elektronisch geschmückten Kollaboration.

Gerahmt vom abstrakten Cover des Künstlers Stewart Geddes mündet die Zusammenarbeit mit dem London Contemporary Orchestra und Gastmusiker*innen wie Hannah Peel, Portishead-Gitarrist Adrian Utley und Cellistin Laura Moody in einem emotionalen Klanggemälde. "Ich wollte eine weite, große Klanglandschaft", betont Selway, "aber so, dass sie sich um die intime Stimme in der Mitte hüllt".

"Little Things" tupft und knistert sich fast wie ein Radiohead-Track ins Album. Mit Piano, Streichern und Synthspitzen etabliert Selway ein "Don't believe what they say"-Mantra, das gut zur Misstrauensromantik der Oxforder Mutterband passt, sich dann aber zu einem feierlichen Finale aufschwingt, das mehr Seelentrost anvisiert als es bei Radiohead in Frage käme.

Selway krönt seine elegische Musik mit einer hoffnungsvollen Perspektive. Gegen ein Szenario der Verlassenheit kreist die Leadsingle "Check For Signs Of Life" um ein harmonisches Pathos ("So, let's let some daylight get in"). "Make It Go Away" und der Epilog "There'll Be Better Days" perfektionieren den optimistischen Ausblick mit klaren Bildern und starken Melodien.

Doch Selways melancholischer Stil kommt mehrfach ins Stocken. Wenn die Klangkulisse nicht gerade sämtliche Register zieht, erscheinen die allgemein gehaltenen Lyrics mitunter ausbuchstabiert und der Gesang entsprechend vortragsorientiert oder kitschig.

Über sechs Minuten strauchelt der Titeltrack "Strange Dance" zwischen geisterhaften Klängen und Slogans einer gescheiterten Beziehung ("But say this night was never / Meant to end like this"). Auch "The Heart Of It All" und "Salt Air" kommen nicht weit über den Status einer gleichförmigen Notizensammlung hinaus.

Reicht das, wenn Radiohead tatsächlich der Vergangenheit angehören? Zum Glück gibt Selway selbst im Gespräch mit dem Spin-Magazin weitgehend Entwarnung: "Soweit ich weiß, sind wir immer noch eine Band".

Trackliste

  1. 1. Little Things
  2. 2. What Keeps You Awake At Night
  3. 3. Check For Signs Of Life
  4. 4. Picking Up Pieces
  5. 5. The Other Side
  6. 6. Strange Dance
  7. 7. Make It Go Away
  8. 8. The Heart Of It All
  9. 9. Salt Air
  10. 10. There’ll Be Better Days

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