laut.de-Kritik

Einfach laufen lassen.

Review von

"Why Love Now" war mindestens so gut wie warme, nasse Hosen um die Oberschenkel. Aus der gefährlichen, seltsamen Band Pissed Jeans wurde über das eine solche Entwicklung schon andeutende "Honeys" eine gefährliche, seltsame und musikalisch ebenso hochwertige wie vielfältige Post-Irgendwas-Band. "Have You Ever Been Furniture?" schrie Matt Korvette uns ganz zurecht an, und nachdem ihr euer Selbstbewusstsein ganze sieben Jahre zu Unrecht wiederaufbauen durftet, biegt "Half Divorced" um die Ecke. Das gelungene, vielfältig interpretationsfähige Cover und der tolle Titel (nachdem der letzte veröffentlichte Song "Not Even Married" hieß) legen nahe, dass die Amis wenig von ihrem so charakteristischen scharfen Witz verloren haben.

"Killing All The Wrong People" ist wie ein Strom, der in ein viel zu lange trockenes Bett strömt, mit einer sinnlosen Urgewalt, Sedimenten-Sound, zu dem sich Krebstierchen und unvorbereitete Zuhörer im Schlamm verstecken, um nicht weggefegt zu werden. Am Schluss dieser nur gut zwei Minuten brüllt ein über Leichen tanzendes Echo um die Ohren, dass man schon ganz verstört in "Anti-Sapio" startet, einen der klassischsten Punksongs der Bandgeschichte, mit dem sie sich musikalisch und thematisch etwas unter Wert verkauft.

Natürlich ist es völlig gerechtfertigt, Helikoptereltern und selbstverliebte, seelisch verkrüppelt-frigide Pseudo-Sapiosexuelle scheiße zu finden. Aber alleine schon sich mit ihnen zu beschäftigen, ist natürlich auch ein wenig wack, beziehungsweise dienen solche Erscheinungen als Aufhänger, die die Band gar nicht nötig hat. Pissed Jeans sind da stärker, wo sie die Welt aus eigenem Antrieb heraus unerträglich finden und nicht Symptome anbellen. Auf Songs wie dem angenehm nach den Turbonegro besserer Zeiten klingenden "Cling To A Poisoned Dream" und dem sludgigen Marschierer "Sixty-Two Thousand Dollars In Debt" treten Korvettes Stärken als Texter besonders deutlich hervor, wenn er sich selbst einbläut: "play it down".

Der Feind der Gelbshorts sind sie selbst und die Unsicherheiten, die sich aus dem Spannungsfeld von vier okay situierten Familienvätern in ihren Mittvierzigern ergeben, die es sich leisten können, ihre menschenfeindliche Band als Hobby zu betreiben und trotzdem irgendwie authentisch verzweifelt sind ("Seatbelt Alarm Silencer"). Aus dieser Friktion schöpfen sie Kraft und diese bricht sich in ihren ekstatischen Live-Shows Bahn, wo dreiviertel der Zuschauer inklusive der Band aussehen wie Michael Douglas in Falling Down.

Textlich fällt "Helicopter Parent" entsprechend ab, aber musikalisch kommen sie die vollgeseuchten Hosen wieder in die Spur, da der Track genau so ätzend erbarmungslos prügelt, wie es nur diese Band kann. "Everywhere Is Bad" dagegen klingt wie eine Punk-Hymne mit genau den Beschränkungen, die ein solcher Song eben hat. Um es klar zu sagen: Straighter Punk ist den wahren Erben von Cows und Unsane schlicht unwürdig. Eine Band, die ein komplexes Machwerk wie "Junktime", das Schlüsselwerk von "Half Divorced" hervorpresst, ist nicht auf Songs, die nur geradeaus schießen angewiesen und für die hat Produzent Don Godwin, der bislang vor allem als Engineer tätig war, einen guten Job erledigt.

Der kantige Bastard aus Punk und Noise-Rock von "Alive With Hate" läutet vier Songs ein, die alle unter zwei Minuten einlaufen, von denen nur das Pink Lincolns-Cover "Monsters" nicht ganz überzeugen kann. Der Rest ist Musik, wie sie weniger geläuterte Ceremony heute machen würden.

Der treibende Pop des Closers und Single "Moving On" zeigt eine weitere Spielart auf, die die Harnstein-Hosen beherrschen, doch stellenweise wirkt es, als möchten die Jungs zeigen, was sie alles können und worüber sie alles Bescheid wissen, wenn ihre verdammte Kernkompetenz doch immer weiter wächst und auf diesem Album so offensichtlich brilliert, dass man nicht abgelenkt werden mag. Vielleicht ist es der Fluch des Punk- und Core-Bloggers Korvette, der durch sein Yellow Green Red schlicht zu vielen Einflüssen nacheifern will. Pissed Jeans mögen "Half Divorced" sein - wir bleiben mindestens halb steif in Erwartung des nächsten Albums der Pennamites.

Trackliste

  1. 1. Killing All The Wrong People
  2. 2. Anti-Sapio
  3. 3. Helicopter Parent
  4. 4. Cling To A Poisoned Dream
  5. 5. Sixty-Two Thousand Dollars In Debt
  6. 6. Everywhere Is Bad
  7. 7. Junktime
  8. 8. Alive With Hate
  9. 9. Seatbelt Alarm Silencer
  10. 10. (Stolen) Catalytic Converter
  11. 11. Monsters
  12. 12. Moving On

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1 Kommentar

  • Vor 9 Monaten

    review bekommt auf jeden fall 5/5 für die schönen vollgepisste-hosen-synonyme.
    album geht auch sehr gut rein und gibt mir diese wohlige angepisstheit, die ich bei den idles zuletzt eher vermisst habe.