laut.de-Kritik

"Ich konnte es nicht mehr ertragen, wie sie mich ansah."

Review von

Im Stile einer universellen Wahrheit eröffnet ein bekanntes Kurt Cobain-Zitat die äußerst sehenswerte Dokumentation über die Reunion-Tour der Pixies 2004/05. "I was basically trying to rip off The Pixies" sprach der Nirvana-Chef einst aufs Band eines wahrscheinlich dankbar darnieder knieenden Journalisten, befragt nach seinen Einflüssen für die Komposition der epochalen 90er-Walze "Smells Like Teen Spirit".

Dass Cobain auf die rasiermesserscharfen Gitarrenriffs und die subtile Schönheit vieler Pixies-Songs neidisch war, ist nachvollziehbar und findet im ungestümen Klangbild der eigenen Band auch seinen Niederschlag. Dennoch sind solche werbetechnisch effektiven Statements, die zur Einordnung der künstlerischen Leistung dienen sollen, nicht die Sache des unglamourösen Pixies-Chefs Frank Black. Erst kürzlich ergriff der Songwriter in einem US-Interview wieder die Gelegenheit, in der ihm unnachahmlichen Art mit den zunehmend boulevardesken Mechanismen heutiger Meinungsmache aufs deutlichste zu brechen.

"Die Leute fragen mich ständig: Frank, Kurt Cobain sagte, 'Smells Like Teen Spirit' sei ein Rip-Off eines Pixies-Songs gewesen. Wie hast du dich da gefühlt? Hast du eine Erektion bekommen? Ich bin das mittlerweile so oft gefragt worden, dass ich nicht mal mehr darauf antworten mag. Warum ist das wichtig? Ich denke mal, weil Nirvana einen Riesenhaufen Platten verkauft haben. Aber ich kann mich einfach nicht dazu durchringen, einen Kommentar im "People Magazine"-Format abzugeben. Die Leute riefen mich sogar an Cobains Geburtstag für Interviews an. Sie wollten, dass ich irgendeinen griffigen Scheiß über eine arme Sau abgebe, die sich das Hirn weggeblasen hat. So was wie 'Er sprach für eine Generation' bla bla bla. Die ganze Kultur ist auf Nostalgie aufgebaut. Ich bin diesen Quatsch leid."

So gerne man zumindest versuchen würde, dem stattlichen Herrn Black für diese Worte um den Hals zu fallen, so klar ist auch, dass der schier unglaubliche Erfolg der Pixies-Reunion Tour 2004/05 in nicht unerheblichem Maße gerade der Nirvana-Generation (und ihrer Kinder) zu verdanken ist. Die Massen rannten den Alternative Altstars aus Boston vor zwei Jahren förmlich die Bude ein, was in London nicht nur zu vier ausverkauften Konzerten in Folge führte, sondern auch zu der Auszeichnung für die am schnellsten ausverkaufte Show in der Geschichte der ehrwürdigen Brixton Academy.

Der Film startet mit der ersten Probenzusammenkunft in Minneapolis, selbstredend ein feierliches Ereignis, was allein an der Anwesenheit von Kim Deals Eltern abzulesen ist, die nebenbei von Tochter Kelley (!) gefilmt und dabei interviewt werden. Kelley begleitete auf ausdrücklichen Wunsch ihrer Schwester Kim Deal die gesamte Pixies-Tournee. Außerdem verfügte die frisch aus der Drogen-Reha entlassene Pixies-Bassistin über ein generelles Alkoholverbot im Backstage-Bereich. Cheffe Black parkt seinen weißen Cadillac Deville staatsmännisch direkt vor dem Eingang des Clubs, bevor er kurz darauf schon bei einer leichten Bühnendrehung zu den Klängen von "Here Comes Your Man" den Mikroständer von der Bühne hinab bugsiert. An spaßigen Szenen mangelt es "Loudquietloud" wahrlich nicht.

Vielmehr stellt sich dem Betrachter recht bald die Frage, ob das hier wirklich dieselben Personen sind, die vor rund 15 Jahren von intimen Filmaufnahmen ungefähr so viel hielten, wie die Babyshambles heutzutage von Live-Auftritten. Lässig fläzt Black vor der Tour an einem Hotelzimmertisch und erklärt einem telefonisch zugestellten NME-Reporter die Gründe für den Split im Jahr 1993: "Zu viele Spannungen. Wenn du mal jemanden auf dem Kieker hast, kannst du ihn schon riechen, bevor er um die Ecke kommt. Ich konnte es einfach nicht mehr ertragen, wie sie mich ansah."

Gemeint ist natürlich Kim Deal, die den fröhlichen Eindruck ihrer jüngsten Bühnenperformances auch backstage bestätigt und es sichtlich genießt, dass die unterschiedlichen Charaktere ihrer Gruppe sich plötzlich wie durch ein Wunder nicht mehr angiften. So wirkt es einerseits fast schon romantisch, wenn Schlagzeuger David Lovering über seine berufliche Tätigkeit zwischen 1993 und 2004 erzählt, über seine Liebe zur professionellen Zauberei, andererseits stehen einem die Haare zu Berge, als inmitten der Tour plötzlich sein Vater stirbt und er sich im Tourbus durch permanentes iPod-Hören dem Gespräch mit seinen Kollegen entzieht.

In diesen Momenten wirkt das Portrait am stärksten, wenn die Kamera die Chemie der vier untereinander scheinbar seziert. Nach den beiden jüngst veröffentlichten Live-Konzerten der Pixies dürfte vorliegende Band-Dokumentation somit das Schmuckstück in dieser 3er DVD-Reihe darstellen. Natürlich endet das Spektakel mit dem obligatorischen Verweis auf ein mögliches neues Albumprojekt: "As of spring 2006, they have not seriously discussed recording an album of new songs." Müssen sie auch gar nicht. Sie haben alle Zeit der Welt.

Trackliste

  1. 1. A Film About The Pixies

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Pixies

Im Jahr 1986 erscheint in der Bostoner Times eine Anzeige, in der Charles Thompson (alias Black Francis) und Joey Santiago, zwei Studienfreunde von der …

Noch keine Kommentare