laut.de-Kritik

Emotionale Dunkelheit zwischen Wut und Depression.

Review von

Um in diese Musik einzudringen, bedarf es einer ausgeprägt düsteren Stimmung. "Without You I'm Nothing" ist das Teenage Angst-Album einer Generation. Dieses Gefühl der Unzulänglichkeit, ja, Nicht-Zugehörigkeit zu anderen, zum eigenen Ich, fassen Placebo in einem einzigen Song zusammen: "They Don't Care About Us". Das zentrale Stück des Albums schwankt zwischen flächiger Ruhe und metallenem Kreischen. Ein stetes Pendeln zwischen brodelnder Wut und ausbrechender Aggression.

Auf ihrem Debütalbum "Placebo" verarbeiteten Brian Molko, Steve Hewitt und Stefan Olsdal ihren Gender-Konflikt noch radikal und roh. Nicht weniger grundlegend und gefühlsgetrieben, aber wesentlich facettenreicher breitet sich "Without You I'm Nothing" aus. Leicht verstört, aber lange nicht mehr so verstörend wie sein Vorgänger. Zwischen Wut und Depression entfaltet sich eine emotionale Dunkelheit, die den Hörer umschließt: wohlig und doch schaurig, drückend, einsam.

Immer wieder schaut Brian Molko ins verletzte Ich. Kaum ein Song, der nicht introvertiert um die eigenen Emotionen kreist, sich den Empfindungen unterordnet. Das besungene Gefühl des Verlusts erschließt sich in jedem einzelnen Song eindringlich. Die stoische Gitarre gepaart mit der leer klingenden Tom in "Pure Morning" gibt die Richtung vor, um auf "Brick Shithouse" mit aggressivem Art-Punk in einem Schwall Wut auszubrechen.

Artikulierter, aber nicht weniger aufgebracht verdeutlicht "You Don't Care About Us" die Verzweiflung, die hinter diesem nagenden Gefühl steckt. Catchy führt der Gitarren-Hook die Melodie ein, um sich stoisch unter Molkos zum Hysterischen neigende Stimme zu legen, bis sie im Refrain in einem Gewitter explodiert. Der pulsierende Druck der Musik versetzt auch auf "Allergic (To Thoughts Of Mother Earth)" alle Nervenzellen in panische Aufmerksamkeit.

Und doch dominiert auf dem Album die Verzweiflung. Als beobachte man seine Depression nach dem Gebrauch von Antidepressiva, schwankt "Ask For Answers" zwischen der totalen Aufgabe und der über den Dingen stehenden Außenbetrachtung. Es klingt, als spucke Molko seine Vocals über die schleppenden Gitarrenflächen des Titeltracks "Without You I'm Nothing". Geadelt von einer Single-Version mit den erdenden Vocals David Bowies, bildet der Song dennoch nicht den Album-Mittelpunkt. Der Über-Hit, der das Werk der großen Öffentlichkeit zugänglich und Placebo zu Superstars machte, ist "Every You Every Me". Dank seiner prominenten Rolle im Film "Eiskalte Engel" fand der Track den Weg aus dem Kinosaal in die Wohn- und WG-Zimmer.

Noch weiter unten - zwischen Heroin, Suizid und dem Verlust der großen Liebe - bewegt sich "My Sweet Prince" mit den Worten "Never thought I'd get any higher / Never thought you'd fuck with my brain". Ähnlich verstört-beruhigend und einlullend wie ein Horror-Lullaby mit Klavierbegleitung, nimmt "The Crawl" den Hörer gefangen. "Burger Queen" beendet das Album mit einer vollkommenen Hingabe an die dunkle Seele der Band. "Things aren't what they seem, makes no sense at all": Vertraue niemandem, die Welt ist gegen dich, schaffe dir deine eigene Traumwelt, oder du gehst zugrunde.

Die nahtlosen Übergänge zwischen den harten und weichen, den wütenden und verzweifelten Songs machen es leicht, dem emotionalen Chaos zu folgen. Denn was wirklich bleibt, ist ein Bouquet an Emotionen, wie man es nur in Musik konservieren kann. Dieses Album ist eine Dose, in der sich alte Gefühle - intensiv und tief - quälend frisch gehalten haben. "You've never seen the lonely me at all." Hello Teenage Angst, strange to meet you again.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Pure morning
  2. 2. Brick Shithouse
  3. 3. You don't care about us
  4. 4. Ask For Answers
  5. 5. Without you I'm nothing
  6. 6. Allergic (To Thoughts Of Mother Earth)
  7. 7. The Crawl
  8. 8. Every you every me
  9. 9. My Sweet Prince
  10. 10. Summer's Gone
  11. 11. Scared Of Girls
  12. 12. Burger Queen

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19 Kommentare mit 3 Antworten

  • Vor 10 Jahren

    Meiner Meinung nach ein verdienter Meilenstein. Obwohl ich immer das Gefühl habe, dass an solchen Alben zu viele Erinnerungen hängen, als dass ich darüber objektiv urteilen könnte.
    Teenager sind schon schwulstige Heulsusen ;)

  • Vor 9 Jahren

    Unfassbares Überalbum! Ich persönlich kenne keinen einzigen Song, der die Intensität von "My sweet prince" ansatzweise überbieten kann (vielleicht ist aber auch mein musikalischer Horizont einfach nur fucking beschränkt) und generell beeindruckt die Balance aus Sensibilität und Präzision, mit der Brian Molko die Teenage Angst-Probleme (böse Zungen würden behaupten: Firstworldproblems) behandelt.

  • Vor 5 Jahren

    Verdient! Danach wurden die Alben meines Erachtens immer schwächer, mit nur 2-3 wirklich guten Songs.
    Without blieb für mich unerreicht!