laut.de-Kritik
Steven Wilson und Co. erschlagen den Zuseher.
Review von Adrian MeyerIn bläulichem Licht starrt ein Junge mit milchigen Pupillen von drei Videowänden in den Konzertsaal und Steven Wilson, Gavin Harrison, Richard Barbieri, Colin Edwin und Tourgitarrist John Wesley betreten unter mächtig Jubel die Bühne. Ein paar Sekunden lang passiert nichts, die Spannung steigt fast ins Unerträgliche und entlädt sich schließlich volle Bombe in den Riffs des Openers "Fear Of A Blank Planet".
Wer mal einen Porcupine Tree-Gig besucht hat, weiß, dass dieses Liveerlebnis zu den besten seines Lebens zählen dürfte. Bereits zu Beginn von "Anesthetize", der nach Arriving Somewhere... zweiten Live-DVD Porcupine Trees, dämmert es einem: Hier kommt gleich was Großes. Denkts und wünscht sich sofort zurück ins Jahr 2008, in die Einlassschlange des 013-Popcenters im niederländischen Tilburg.
All jene unglücklichen Nichtanwesenden werden nun zumindest teilweise für entschädigt. Während zweier Shows, aufgenommen mit HD-Kameras und im 5.1 Surround-Gewand, wird die DVD mit ihrer bestechenden Bild- und Tonqualität nicht nur Heimkino-Besitzer entzücken.
Und wie schon bei "Arriving Somewhere..." gibt es eigentlich nur eines auszusetzen: Wo zum Teufel sind die Totalen? Wieso hat es die Bildregie immer noch nicht begriffen und wechselt viel zu oft und in allzu schneller Schnittfolge zwischen Nahaufnahmen der einzelnen Bandmitglieder ab, anstatt mal zwischendurch das gesamte Spektrum auch für den Heimzuschauer zugänglich zu machen?
Denn gerade bei der Fear Of A Blank Planet-Tour sind die ziemlich verstörenden, kultur- und sozialpessimistischen Clips eigentlich essentieller Bestandteil der Porcupine-Show. Diese werden nun aber durch wiederholten Maxizoom ins bebrillte (meist von seinen Haaren verdeckte) Gesicht Steven Wilsons für den DVD-Käufer viel zu selten sichtbar.
Dies bleibt allerdings nur ein kleiner Wermutstropfen für eine ansonsten brillante Show. Einmal mehr zeigen PT live ihre Klasse: keine unnötigen Gesten, kein Wort zu viel, perfekt aufeinander abgestimmtes Timing und eine ideale Dramaturgie der Songauswahl. Sogar ein Lächeln zaubert sich hie und da auf die Gesichter der Musiker.
So spielt die Band in der ersten Stunde das komplette "Fear Of..."-Album mit dem knapp 17-minütigen Monster "Anesthetize" als dessen überwältigendes Epizentrum. Der Titeltrack lässt den Zuschauer mit seinem unglaublichen Spannungsbogen richtiggehend erschlagen zurück.
Gavin Harrisons rhythmische Illusionen erstaunen immer noch, trotz eigentlicher Vertrautheit seines Spiels. Wie schafft es der Mann nur, die Snare so sanft zu streicheln und gleichzeitig eine Orgie an Tom-, Bassdrum- und Cymbal-Attacken auf die Zuschauerohren niederregnen zu lassen?
Nach einem kurzen Intermezzo, das die Band wortlos und in schwarz-weiß im Backstage-Bereich zeigt, liefert die zweite Hälfte der DVD einen Querschnitt durch PTs gesamtes Schaffen. Mit "What Happens Now?", "Normal" und "Cheating The Polygraph" finden sich beinahe alle Tracks der "Nil Recurring"-EP, die aus den Aufnahme-Sessions für "Fear Of..." entstanden sind und wohl nur eingefleischten Fans bekannt sein dürften.
Einige mögen die Absenz prominenterer Porcupine-"Hits" beklagen (von "Trains" fehlt jede Spur), doch ist die überraschende Auswahl zahlreicher Songs älterer Alben (vor allem des Klassikers "Signify") nicht minder interessant. So kommen sowohl die Verfechter der alten Schule als auch die Anhänger der eher härteren, metallischen Porcupine Tree absolut auf ihre Kosten. Diese Synthese hat Wilson später bekanntlich mit The Incident auf höchst beeindruckende Weise realisiert.
"Halo" liefert den fulminanten Abschluss zu einer perfekten Show. Sogar Wilson hat es darob irgendwann während des Konzerts buchstäblich aus den Socken gehauen. Ohne Fußbekleidung steht er da und verabschiedet sich mit seinen Bandkollegen überschwänglich. Und der Zuschauer vor dem Bildschirm surft derweil bereits mit fiebrigen Augen nach dem nächsten Porcupine-Konzert in seiner Umgebung.
5 Kommentare
"irgendwann während des Konzerts buchstäblich aus den Socken gehauen"
Nicht Irgendwann! S.W. spielt IMMER barfuß, von Anfang an.
naja-habe pt im palladium(klön) gehört und war doch überrascht über den mulmigen bass. die neue dvd ist da auch nicht besser -nur erträglicher.
soundtechnisch ziehe ich die "arriving somwhere" vor. die cds sind aber über jeden zweifel erhaben.
porcupine tree rulez
interessant! würdest du deine aussage noch konkretisieren?
Arriving Somewhere... :größerals-Zeichen: Anesthetize, die DVD ist trotzdem wirklich gut.