laut.de-Kritik

Das Pathos riecht nach Plastik.

Review von

Es gibt Interpret*innen, bei denen einen der Kurswechsel eiskalt erwischt. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass der Rapper, der vor knapp zehn Jahren als Gallionsfigur der Soundcloud-Bewegung durch den Kakao gezogen wurde, einmal einen besseren modernen Pink-Floyd-Aufguss machen würde als Roger Waters selbst?

Post Malone ist nicht so ein Artist. Der New Yorker war auf einmal Rapper, und dann war er ganz schnell alles andere als das. Sein Feldzug durch das Genrespektrum der amerikanischen Billboard-Charts führte ihn schon bei der erstbesten Möglichkeit weg vom Doublecup und hin zur Gitarre. Rock, Pop, Folk: Mit jedem neuen Album wurde der ehemals wilde "White Iverson" ein wenig braver und der Bart ein bisschen länger, bis wir nun mit "F-1 Trillion" endlich da angekommen sind, worauf diese Reise seit Tag eins unausweichlich zusteuerte: Country.

Sorry, da fehlt ein Präfix: Pop-Country. Denn auch wenn einem die Trackliste mit Features von Hank Williams Jr, Dolly Parton oder Chris Stapleton den Eindruck vermittelt, dass Malone hiermit die Historie der Countrymusik ehren möchte, würden eingefleischten Cowboys beim Hören vieler Songs glatt die Pferde durchgehen. Malone versucht, beide Enden des Spektrums dieses Genres abzudecken: alt und neu. Doch das Pendel schwingt deutlich weniger in Richtung Lagerfeuer und Prärie und mehr in Richtung Coors Light und Barschlägerei. Sein neuster Streich schielt weniger nach Nashville und mehr auf die Chartspitze.

Das Problem dabei ist nicht, dass diese Gangart des Country grundsätzlich zum Scheitern verurteilt ist, nicht nur Taylor Swift würde da zurecht vehement widersprechen. Sondern vielmehr, dass Artists wie Morgan Wallen, Luke Combs und Brad Paisley ihr über die letzten Jahre einen Stempel aufdrückten, der das Genre zu einer seelenlose Hülle seiner selbst verkommen ließ. Der Contemporary Country dieser Artists und in der Folge auch Post Malones definiert sich in erster Linie darüber, wie benutzerfreundlich er ist. Die großen Emotionen, das Drama, der Eskapismus, sie weichen einer ungesalzenen Suppe an halbgaren Gefühlsduseleien, maßgeschneidert für den Mikrokosmos zwischen Barstool Sports und Pickup-Trucks. Sie alle appellieren an das Herz dieser Musik, doch ihre amerikanischen Flaggen sind made in China, ihr Pathos riecht nach Plastik.

So bringt Malone auch seine erstaunliche, versatile Stimme nichts, die auf dem Papier in dieses Genre passt wie Arsch auf Eimer, wenn sie nur als Vehikel dient, um einen fast sechzig Minuten lang mit Samthandschuhen anzufassen. Der Mann bringt mehr Swagger ans Mikrofon als ein Großteil seiner Gäste, aber musikalisch traut sich dieses Album nichts, und ich meine wirklich gar nichts. Es ist Country in seiner bemühtesten Form, maßgeschneidert für den maximalen Charterfolg und eine Zielgruppe, die Wert darauf legt, niemanden auszuschließen.

In der Folge klingt das sechste Album des New Yorkers nach einer Spotify-Playliste, die Leute, die sich nicht für Musik interessieren, erklären soll, wie Country klingt. Die etwas altbackenen Songs wie "Have A Heart", "Never Love You Again" oder "M-E-X-I-C-O" liefern eine weichgespülte Retro-Pastiche, die beim Versuch, aufs Pferd zu steigen, wegpennt. Während sich die andere Seite beim Versuch, ein Dosenbier zu exen, aufs Fressbrett legt: Songs wie "Pour Me A Drink", "Guy For That" oder "Wrong Ones" wandern einen schmalen Grad zwischen Bro-Country und Pop-Radio, zwischen Klampfe und Bierhelm, und geraten dabei mehr als nur einmal ins Schwanken.

So gegensätzlich diese Welten auf dem Papier auch aussehen, so liegen in Malones Kosmos nur ein paar Akkorde dazwischen, sowohl im übertragenen als auch im wörtlichen Sinn. Nicht alles hier klingt gleich, aber gleich genug, um irgendwann zu einem großen musikalischen Steppenläufer zu verkommen, der lieblos vor sich hinrollt.

Das offenbart sich auch dadurch, dass der Mann das lyrische Niveau selbst auf den ambitionierten Songs nicht aus dem Keller hochgezogen bekommt. Auch der Versuch eines halbgaren Storytellers an der Seite von Chris Stapleton täuscht nicht darüber hinweg, dass das Country-Windowdressing nur ein weiteres Vehikel ist, um Malones Vorliebe für teuren Whiskey, billiges Bier und schöne Frauen mit der Welt zu teilen. Genau wie all die anderen Musiker*innen, die Teil dieser Bubble sind, greift Malone so tief in die Klischee-Kiste, dass bestimmt Dutzende Takes auf dem Studioboden rumliegen, in denen ihm zwischen den Zeilen ein herzhaftes "Yee-Haw" rausgerutscht ist.

Am nächsten an eine eigene Stimme kommt das Album in den Momenten, in denen Malone seine eigene stärker in den Vordergrund rückt. Seine drei Solo-Songs, allen voran der Fußwipper "What Don't Belong To Me", präsentieren eine nicht zwingend interessantere, aber zumindest eigenständige Version dieses Konzepts. Auf Songs wie "I Had Some Help", "Losers" oder dem einzigen richtigen Highlight "Nosedive", in dem der Country fast gänzlich dem Pop weicht, stellt der 29-Jährige seine Qualitäten als Hitmaker unter Beweis. Das sorgt für kleine tonale Ausreißer, die jedoch deutlich mehr Spaß machen als das Dollar Store-Outlaw-Cosplay, das Malone für den Rest der LP durchzieht. Allerdings enden auch diese Momente oft spätestens dann, wenn die Features sie wieder zurück in die Mittelmäßigkeit holen.

Von allen Artists, die gerade Country wieder ins Spitzenrennen der amerikanischen Populärmusik schicken, fühlt sich dieser Genre-Umschwung nur bei wenigen so organisch an wie bei Post Malone. Der Mann wusste schon mit Anfang Zwanzig, dass genau das hier sein großer Traum ist, dass das hier das Album ist, das er schon immer machen wollte, die Kollaborationen mit all seinen Idolen eingeschlossen. Doch gerade deshalb müsste man eigentlich meinen, dass sich dahinter eine originellere Idee versteckt, als die DJ Khaled-Version eines Morgan Wallen-Albums.

Es gibt wenige Momente hier, auf die man explizit mit dem Finger zeigen und sagen kann, wie katastrophal schlecht sie wären. Malone hält hier über weite Strecken ein Mindestmaß an Qualität aufrecht, um nicht abschalten zu müssen. Aber diese 19 Songs haben nahezu alle zu wenig Fleisch an den Knochen, um einen anderen Zweck zu erfüllen, als unbemerkt im Hintergrund einer Bierwerbung vor sich hin zu dudeln. Zugegeben: Diese Momente bargen Malones Alben schon immer, doch noch nie nahmen sie so viel Raum ein, fühlten sich so sehr wie ein Feature an, nicht wie ein Bug.

Früher konnte man Post Malone immerhin zugute halten, dass er sich zu schnell an zu vielen Dingen auf einmal versuchte und in der Folge nichts davon meistern konnte. Jetzt haben wir endgültig den Punkt erreicht, an dem er aufgehört hat, Dinge zu versuchen, und einfach nur noch macht. "F-1 Trillion" klingt weniger nach einem Herzensprojekt und mehr nach einer Auftragsarbeit. Wie ein von Big Country gesponsorter Gegenentwurf zu "Cowboy Carter" und Shaboozey, um zu beweisen, dass dieses Genre nicht progressiv sein muss, um erfolgreich zu sein. Man muss ihm zugute halten, dass ihm zumindest das auch mit Bravour gelingt.

Trackliste

  1. 1. Wrong Ones (feat. Tim McGraw)
  2. 2. Finer Things (feat. Hank Williams Jr.)
  3. 3. I Had Some Help (feat. Morgan Wallen)
  4. 4. Pour Me A Drink (feat. Blake Shelton)
  5. 5. Have The Heart (feat. Dolly Parton)
  6. 6. What Don't Belong To Me
  7. 7. Goes Without Saying (feat. Brad Paisley)
  8. 8. Guy For That (feat. Luke Combs)
  9. 9. Nosedive (feat Lainey Wilson)
  10. 10. Losers (feat. Jelly Roll)
  11. 11. Devil I've Been (feat. Ernest)
  12. 12. Never Love Again (feat. Sierra Ferrell)
  13. 13. Missin' You Likes This (feat. Luke Combs)
  14. 14. California Sober (feat. Chris Stapleton)
  15. 15. Hidy My Gun (feat. Hardy)
  16. 16. Right About You
  17. 17. M-E-X-I-C-O (feat. Billy Strings)
  18. 18. Yours

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2 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor 2 Monaten

    Es ist eine nette Verbeugung an das Genre, aber die Betonung liegt hier wirklich auf "Verbeugung". Einige Songs sind ganz nett, vieles tut nicht weh im Hintergrund, wenn man ein Fan ist, aber der große Wurf ist es streckenweise so gar nicht.

    Zufälligerweise habe ich mir dass vor kurzem erschienene Album von Orville Peck gegönnt, welches ähnlich mit vielen Kollaborationen aufwartet, aber sich deutlich interessanter liest von den Gast-Sänger*innen (Willie Nelson, Elton John, Noah Cyrus, Margo Price, Kylie Minogue). Bei Geschmacksverirrungen wie Hardy und Jelly Roll hätte eigentlich nur noch Kid Rock gefehlt. Nee, die Runde geht definitiv an Peck.

    • Vor 2 Monaten

      Sehe ich genauso. Beide Alben im Ansatz ähnlich, aber alleine das Duett mit Nelson lässt dieses hier halt alt und bieder aussehen. Natürlich hat auch das Peck-Album deutliche Schwächen. Bei so Kollabo-Alben normal. Bin kein großer Freund von den Dingern. Aber die Stimmen passen dort viel besser zusammen. Zudem ist bei Peck der Country eben nicht einfach ein aktueller Modetrend, bei dem man jetzt mal für ein, zwei Alben mitmacht. (Boah, bin ich froh, wenn der Country-Bumms mal vorbei ist.) Das Post Malone-Album empfinde ich als unangenehm, das von Peck nicht im geringsten.

    • Vor 2 Monaten

      Kurz: "F-1 Trillion" 1/5, "Stampede" 3/5

    • Vor 2 Monaten

      Hab vor paar Monaten nen Podcast mit ihm gesehen wo er noch gemeint hat dass moderner Country häufig zu glatt poliert und überproduziert klingen würde und er deshalb Künstler wie Colter Wall lieber hört die noch originalen Outlaw Country machen. Aber dann macht er so ein Album welches der Inbegriff von überproduzierten Conutry Pop ist. Absolute Doppelmoral und völlig unverständlich. Niemand erwartet dass jemand in seiner Größe Murder Ballads wie ein Colter Wall macht. Sich so an den Mainstream anzubiedern ist aber schon sehr ernüchternd irgendwie. Hätte gerade bei Malone, der immer von seiner Liebe zu Country gesprochen hat, mehr ein Album erwartet dass den Grundlagen des Genres treu bleibt. Vielleicht gerade so noch ne 2/5 weil 1,2 Highlights sind schon drauf.

    • Vor 2 Monaten

      Was spricht gegen Jelly Roll?