laut.de-Kritik
Der Abschiedsbrief des Britpop.
Review von Rinko HeidrichEin Feuerwerk. Ein Menschenmeer. Ein Rekord. An zwei Nächten spielten Oasis 1996 vor 250.000 Menschen. Der Höhepunkt einer Euphorie und rückblickend die große Abschiedsparty. Noel Gallagher wusste nach dem zerfahrenen Koks-Album "Be Here Now" auch nicht mehr, wie es nun weitergeht. Ein Jahr später liefen auf den Partys die Songs von The Prodigy, und spätestens mit "Ok Computer" wusste jeder, dass nun eine Ära endete. Auch Jarvis Cocker stand in der Menschenmenge von Knebworth und ahnte bereits, dass Britpop damit seinen Peak erreichte.
Er war einer der Architekten und nach langer Erfolglosigkeit in den Achtzigern plötzlich sogar eine Gallionsfigur der Britpop-Zeit. Ein zweifelhafter Ruhm, der den scheuen Exzentriker plötzlich ins Schlaglicht zerrte. In einem kurzen Moment sogar in den Fokus der Weltpresse. Er störte mit zynischen Gesten den Auftritt des abgehobenen Popstars Michael Jackson bei einer Preisverleihung. Aber eigentlich zeigte er nicht nur dem Gott-Komplex von Jackson seinen Hintern, die ganze Industrie ekelte ihn an.
"Popstar ist eines der Dinge, die du immer sein möchtest und wenn es so weit ist, einfach nur eklig findest", schrieb er vor Kurzem über diese gar nicht mal so schönen Momente des Mainstreams-Erfolgs. Die ehemalige Leidenschaft war nun Business geworden, und Jarvis ein weiterer Goldesel. Eine dunkle Zeit für jemanden, der sich in erster Linie als Künstler sah und dessen Helden Post-Punk-Verweigerer wie The Fall waren. Ein Mann, der fast lieber Regisseur geworden wäre und nun die Kontrolle über sein eigenes Drehbuch verlor. Die einzige Möglichkeit war eine Flucht aus England, nur um im New Yorker Exil auch an Isolation zu leiden. Beim nächtlichen Zappen durch die Kanäle des Hotelzimmers landete er auf dem Porno-Kanal. Und plötzlich war die Leere im Kopf verschwunden, denn es war genau das, was seine Gefühlswelt und die Situation von Pulp perfekt beschrieb. Ein entmenschlichtes Objekt, gefühllos penetriert und einsam zurück gelassen. "This Is Hardcore".
In dem gleichnamigen Song läutete ein harter Drum-Loop und schauriges Klavier das große Drama ein. "You are hardcore, you make me hard / You name the drama and I'll play the part / It seems I saw you in some teenage wet dream / I like your get-up, if you know what I mean". Sexualität war schon vorher ein großes Thema in den Pulp-Songs, aber in Form von unschuldiger Naivität wie bei "The First Time". Hier sprach Jarvis zynisch und abgestumpft einen seelenlosen Akt ein, die Musik dazu eine epische Beerdigungs-Zeremonie des einstmals großen Traums. Das Schlürfen des schalen Sekts, während der Beobachter nur noch angeekelt auf die dekadente Party-Gesellschaft schaut. "This Is Hardcore" war der elegante Abgang aus einer Sache, die nur noch lächerlich wirkte. Ohne aber, wie zum Beispiel Radioheads "Kid A" den eigenen Trademark-Sound zu dekonstruieren oder dem nächsten Trend anzubiedern. Der gelernte Filmstudent und smarte Pop-Dichter Cocker inszenierte seinen kommerziellen Tod noch einmal stilvoll in epischer Breite.
Es war nicht die Musik an sich, die er zerstören wollte. Er wollte nur sein Popstar-Alter Ego zerstören. Als Punk, den er wegen der kerligen Attitüde eh nicht mochte, zur Pose verkam, ging er mit Pulp den Post-Punk-Weg. Und nun war Britpop ein Lad-Ding geworden, in den er mit seiner androgynen Art auch nicht mehr hinein passte. "I'm A Man", ja, aber nicht so einer. In dem Abgesang beschrieb er trotzdem selbstkritisch, wie er dann doch eine Zeitlang versuchte, einen Rockstar zu spielen, und es ihn nahezu umbrachte. "Oh, so please can I ask just why we're alive? / 'Cos all that you do seems such a waste of time / And if you hang around too long you'll be a man". Die Musik zu dem tragischen Verfall klang genauso zerrissen. Ein merkwürdiger Hybrid aus Grunge, subtilen Goth-Anleihen und Bowie-Glam-Rock. Er gehört trotz dieser offenkundigen Zerrissenheit zu den stärksten Pulp-Songs.
"Seductive Barry" ging noch weiter. Ein acht Minuten langes, transzendiertes Krautrock-Ungetüm, Welten von der Disco 2000-Tanzbarkeit entfernt. Jarvis meinte einmal in einem Interview, dass dieses Album den Namen "This Is Barry" tragen könnte, denn viele der Songs beschreiben einen nach außen selbstbewussten Typen, der innerlich tot nur noch seinen Part spielt. Eine offensichtliche Selbstanklage an den Jarvis, der aus ihm geworden war und der auch eine Zeitlang den Versuchungen erlag. Er wollte es schnell und heftig, die Industrie erfüllte ihm den fatalen Wunsch und hinterließ eine große Verbitterung. Ein Gefühl, das schon sein Idol Scott Walker nur zu gut kannte. Er sollte mit den Walker Brothers gefällige Pop-Balladen singen, aber ging abgenervt von der Musikindustrie seinen eigenen Weg, wohl wissend, dass er damit auch aus dem Mainstream verschwand.
"The Fear" weiß um den Umstand, dass sie den Mainstream verlassen (müssen)."This is the sound of someone losing the plot / Making out that they're okay when they're not / You're gonna like it, but not a lot". Ein gespenstischer Gospel im Hintergrund und eine schauderhafte Gespenstermusik der einst so fröhlichen Pop-Institution, die drei Jahre mit ihren Hymnen die Euphorie um das Pop-Königreich Cool Britannia mit entfachte. Eine kleine Entschuldigung, weil sie die Herzen brechen. Eine beunruhigende "Wir müssen reden ..."-Nachricht, deren weiteren bitteren Verlauf man vorausahnte.
Der Vorhang fällt final mit "The Day After The Revolution". Eine sanfte Rausschmeißer-Musik, zu der Jarvis auf die Bühne geht und es noch einmal und ganz ruhig genau erklärt. "Sheffield is over. / The fear is over. / Guilt is over ... Irony is over. Bye". Das Licht im Saal ging an: Das war Britpop, wir waren dabei, es war ein Rausch. Es war uns eine Ehre und nun ist dieses Kapitel beendet. "This Is Hardcore" bleibt der traumatisierende Abschiedsbrief nach dem künstlerischen Selbstmord. Zurück blieb ein Trauma, das nie wirklich heilen konnte, aber unsere Zukunft prägte. Wir waren nun frei und die Musikwelt noch immer schön. Pulp beerdigten unsere erste große Liebe im bestmöglichen Stil.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
4 Kommentare
Bin leider nie so ganz warm geworden mit der Platte, einfach weil ihm die Leichtigkeit, der Charme fehlte. Jetzt, ein paar Jahre später, sollte ich sie noch mal dafür hören, was sie ist. Danke für die Erinnerung!
Aus dem tatsächlichen Abschlusswerk, "We Love Life", kann ich mir bis heute keinen Reim machen. Kann mir vorstellen, jetzt, mit vielen Jahren Abstand, würde sich eine neue Platte von denen kreativ sehr lohnen. Daumen werden gedrückt!
Der Titeltrack hier ist aber 10/10.
"Shut up and play Disco 2000, you pretentious annoying pricks!"
Bestes Pulp-Album.