laut.de-Kritik

BMW-Eurodance vom Pauschalurlaubs-John Wick.

Review von

RAF Camora eröffnet sein neues Album mit den Worten "Ära ... Generation XV ... Zukunft". Im Hintergrund grollen diese ominösen Synthesizer, die inzwischen seine ganze musikalische Farbpalette ausfüllen, und von vornherein weiß man, dass der Mann gerade dazu ausholt, das vierte Mal am Stück dasselbe Album aus der on-off-Rente abzuliefern. Der 38-Jährige ist seit seiner 187 Strassenbande-Assoziation und dem "Palmen aus Plastik"-Hype locker einer der hohlsten Popmusiker des deutschsprachigen Raumes. Trotzdem hat er diese notorische Veranlagung, seine Alben immer mit diesen immens großen Worten aufzutun, als wäre er immer noch der mysteriöse Rabenmann von 2014.

Was passiert auf "XV"? Natürlich dasselbe wie immer. RAF Camora rappt unkreativen Hedonismus auf formelhafte Instrumentals mit seinem patentierten Mix aus Club-tauglichen Beats, die ich fortan nur noch als BMW-Eurodance bezeichnen werde. Klar, es hat Elemente aus Dancehall, House und klassischem Synthpop, aber irgendwas daran fühlt sich ungemein altbacken an. Die Synths haben diese glatte, aalige CGI-Note, sie klingen wie Sounds von alten Psytrance-Mixes, ein bisschen, wie man sich 1999 vorgestellt hat, wie die Zukunft klingen würde, und ich bin mir ziemlich sicher, dass man so etwas hören würde, wenn man in den Matrix-Club gehen würde.

Apropos "Matrix": Auf dem Song referenziert er leider nicht das gleichnamige Berliner Establishment, sondern behauptet, er würde in irgendeinem Sportwagen durch die Matrix fahren. Die Matrix, das heißt in seinem Fall, dass er die ganze Zeit zwischen Wien, Ibiza, Mykene und Dubai hin und herfliegt, sich da betrinkt und mit irgendwelchen Girls anbandelt. RAF ist wirklich der einzige, der auf so einen Pauschalurlaub-Lifestyle noch seine seltsamen John Wick-Filme schieben kann. Aber das ist eben, was er macht: Er tut so, als wäre Saufen-gehen mit Insta-Models auf Ibiza eine Aktivität, die musikalisch diesen aufgeblasenen, pseudo-mystischen Mumbojumbo braucht.

Wie vieles seiner aktuellen Musik hat sie so einen tristen, straighten Camp an sich: Wie all diese Bars, die sich "Infinite Mood" oder "Royal Lounge" nennen (Shoutout an meine Nachbarschaft) und dann innen einen auf ganz besonders elegant machen, aber dann ist der Raum fast leer, fünf Dudes trinken Vodka-Shots und auf dem großen Fernseher läuft entweder Fußball oder 6ix9ine-Musikvideos. Genau, wie man merkt, dass die möchtegern-elegante Ausstattung im Budget unter Ikea-Möbeln liegt, klingen auch auf "XV" die pseudo-coolen Instrumentals unter den Nebelkerzen und dem Stroboskop billig.

Nun ja, dass RAF Plastikmusik macht und ihr danach Löwen und Greife auf die Wappen malt, das ist kein neues Phänomen. Aber auch Plastikmusik kann inspiriert und uninspiriert gemacht sein, gute Melodien mitbringen, Beats haben, die drücken; und ich finde ja durchaus, dass RAF für einen Europäer absolutes Superstar-Format hat. Seine Stimme allein hat ihn durch die letzten 15 Jahre Rap gebracht, egal, wie oft er seinen Stil angepasst hat. Er hat das Aussehen, er hat die Ausstrahlung, er hat eben auch ab und zu die richtigen Singles, die ihn nun mehr eineinhalb Jahrzehnten relevant halten.

Nur merkt man, dass er einfach nie die Songwriting-Chops hatte. Auf den letzten Alben hat er das kompensiert, indem er einfach volle Latte auf diesen peinlichen Sample-Trend gesprungen ist. Man muss keine guten Hooks haben, wenn man einfach Radio 7 mit dem besten aus dem 80ern, 90ern und von heute scannen kann. Darauf geht er sogar ein, wenn er sich auf "Weit Weg" darüber aufregt, eine Frau würde ihm sagen "500 PS klingt wie Freestyler" (was eine seltsame Sache ist, um sie einer imaginären Frau in den Mund zu legen, die eigentlich nur auf dem Song ist, um ihn zu bewundern).

Selbiger Song ist witzigerweise doppelt interessant, weil er zum einen den einen guten textlichen Moment des Albums liefert, wenn er rappt: "Bin mit der Squadra, alle 1,90 / Wir sind wie Mafia, aber in freundlich" und man sich fragt, ob der Kerl eigentlich immer schon so abartig generisch getextet hat, dass dieses kleine Aufflackern Humor einem schon so nachdrücklich im Kopf bleibt. Aber gleichzeitig ist "Weit Weg" auch ein bisschen ein Armutszeugnis, weil er sich hier selbst den Outro von "2CB" klauen muss, um auf einen soliden Refrain zu kommen. "Weit Weg" ist trotzdem einer der besten Songs hier, weil "2CB" einer seiner besten Songs ist. Ein bisschen wie knapp an Ideen wirkt das halt trotzdem.

Sonst stechen aus seiner mattschwarzen BMW-Eurodance-Anthrazitlawine eigentlich nur die Features heraus. Yung Hurn gibt ihm für "Wien" einen herausragenden Refrain, das ist ein guter Moment. Der Rest wirkt im recht hirnlosen Pop-Feature-Modus. Luciano und Hoodblaq machen ihr Ding, Mathea rappt streitlustig zu einem der denkwürdigeren Parts der Platte; nur Cro versucht mit einem komischen Tokyo-Thema seines Verses auf "Bei Nacht" schon mit sehr wenig zu viel und landet mit Fremdscham-erregenden Scheißlines wie "Tokyo nights, alle Lichter am Scheinen / alles schick und kawaii".

Irgendwie erinnern mich RAF-Alben in jüngster Zeit an Trailer für neue Call-of-Duty-Spiele. Sie sind alle offensichtlich für die Stange geschnittene Massenprodukte, die ebenso zynisch wie hohl zusammengesetzt werden und dann trotzdem irgendwie noch das Gefühl vermitteln sollen, da würde gerade etwas Aufregendes und Besonderes passieren. Dabei ist das einzige, das passiert, dass RAF eine Pop-Formel gefunden hat, die Macho genug wirkt, damit all seine Fans sich auch mal ein bisschen Pop gönnen können, ohne dass sich ihnen die Tatsache aufdrängt, dass sie da gerade Popmusik hören. Dabei sind seine Performances wie die Beats durch die Bank bedrückend okay. Man kann es handwerklich nicht so richtig haten. Im Gegensatz zum sonst sehr beigen Deutschpop hat es immerhin auch eine Ästhetik, ob man die jetzt mag oder nicht. Es ist nur schade, seit nun so vielen Alben zu merken, dass die Songs wirklich äußerst lieblos von der Stange kommen.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Matrix
  3. 3. All Night (feat. Luciano)
  4. 4. Kein Kontakt
  5. 5. Weit Weg
  6. 6. ANNA
  7. 7. Wien (feat. Yung Hurn)
  8. 8. Strada (feat. Ahmad Amin)
  9. 9. V Palms
  10. 10. Bei Nacht (feat. Cro)
  11. 11. Tränen (feat. Mathea)
  12. 12. Finito
  13. 13. Toyota (feat. Ashafar & Trobi)
  14. 14. Cagoule (feat. Hoodblaq)
  15. 15. Gotham

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4 Kommentare mit 7 Antworten

  • Vor 9 Monaten

    Seit Zenit gehts musikalisch rapide bergab...der Erfolg sei ihm aber gegönnt

  • Vor 9 Monaten

    fand zukunft I+II cooler, aber hälfte der songs kann ich mir geben, halt dumme club banger wie eh und je.

    Intro, All Night, Strada, Tränen, Matrix

    6/10

  • Vor 9 Monaten

    Anthrazit & Zenit waren richtig gute Alben. Songs wie „Was jetzt" oder „Nichts als Nichts" sowas gab es damals einfach nicht in Deutschland. Produktionstechnisch und auch musikalisch war dass auf nem echt hohen Niveau und Raf hat auch lyrisch was geboten. Ist heute leider gar nicht mehr so. Von all den Mainstream Deutschrappern der letzten Jahre aber immer noch einer der wenigen die ich respektieren kann.

    • Vor 9 Monaten

      Was jetzt is ne eklige popnummer whut

    • Vor 9 Monaten

      Sehe ich auch so, dass RAF lyrisch was drauf hat und weiß, wie man gute Beats produziert (die nicht alle gleich klingen) hat er mit allen Alben (abgesehen von PaP) vor seinem Comeback gezeigt. Ich weiß echt nicht, was momentan mit ihm los ist. Wenn es nur die schlechten Beats wären, aber ich habe auch das Gefühl, dass er das Schreiben von Lyrics verlernt hat oder er hat sich zu viel bei seinen Kollegen von 187 abgeguckt. Schade, dass wir einen so talentierten Rapper verloren haben :( aber der Erfolg sei ihm nach all den Jahren harter Arbeit trotzdem gegönnt.

    • Vor 9 Monaten

      Denke, das ist alles auf maximalen Erfolg ausgelegt. Raf hat sich ja zu Zeiten von Zenit mehrfach beschwert, dass seine Musik vor PAP "zu kompliziert" für Kommerziellen Erfolg war und er nicht versteht, warum sich Fans dann über fehlende Tiefe beschweren. Habe auch solche Kommentare von ihm auf Insta gelesen. Er legt es halt drauf an, dass die Songs besonders eingängig sind.

    • Vor 9 Monaten

      @DaxtersLab
      Das mag schon sein, für kommerzielle Erfolge im Rap sind tiefgründige und komplizierte Texte meistens ein KO Kriterium, sonst hätten wir heute nicht so viele bekannte Rapper wie Luciano, 187er Bande, Mero und wie sie alle heißen. Die Fans die sich darüber aber beschweren sind ja meistens alte Fans wie wir, die ihn von früher kennen. Seine neuen Fans lieben seine neue Musik, sieht man an den Chartplatzierungen und Kommentaren bei YouTube etc.

    • Vor 9 Monaten

      @dave47 Ja, ich versteh' das. Ich kenne Raf seit TNDA und meine Lieblingsphasen waren 3.0 und Anthrazit. Mag an Raf vorallem di deepen Songs mit Message und ich mag auch die Mystik um den Raben usw. Diese Sachen werden wohl eher nicht zurück kommen, aber zum Glück sind die alten Songs ja noch da.

      An den neuen Songs finde ich auch immer wieder Dinge, die mir gefallen. Vor allem mag ich dieses perfekt durchgestylte Soundbild und die Atmosphäre, die durch die Synths usw. erzeugt wird. Einiges erinnert mich auch stark an 3.0. Aber es ist natürlich alles style over substance.

      Wenn man seine Diskografie als Ganzes betrachtet, gibt es auf jeden Fall für jede Situation den passenden Raf-Song. Das mag ich sehr. Und im Herbst kommt XV RR mit nem Fokus auf deepe Songs. Hoffe, da ist etwas mehr für uns alte fans dabei.

  • Vor 9 Monaten

    Muss das nochmal ausgraben, weil der Text einfach so treffend ist. Hatte letztens aus irgendeinem Grund Lust mal zu schauen, wie RAF, den ich in seinen Anfangsjahren sehr gut und irgendwann (gerade in Kombination mit Bonez) nur noch langweilig fand, anno 2023 eigentlich klingt, und besser als als „Pauschaltourismus-John-Wick“ kann man seine Rap-Persona echt nicht zusammenfassen. :lol: