laut.de-Kritik
Als würde man eine selbstgebrannte CD hören.
Review von Yannik GölzGenau wie Ufo361 gehört RIN zur modernen deutschen Trap-Grade, die man wohl als Cosplay-Rap bezeichnen könnte. Beide profitieren davon, dass wir den Aufstieg des Subgenres kolossal verschlafen und sie einen Lebensunterhalt daraus gemacht haben, das Sprichwort 'Unter Blinden ist der Einäugige König' zum Geschäftsmodell zu erheben. Immer noch darf man sich regelmäßig mit RIN-Fans darüber streiten, dass Deutschland einfach noch nicht ready sei für sein Amirap-Karaoke von vorgestern, weil sie zurecht davon ausgehen, dass Leute in Deutschland von untergründigen Nischen-Artists wie Travis Scott oder Gunna einfach noch nicht gehört haben können. Aber ganz so einfach ist es auch nicht. Denn trotz klaffender Schwächen als Performer macht RIN ja geile Songs. Und er hat den ersichtlichen Willen, die Szene nach vorne zu bewegen.
Dementsprechend klingt "Kleinstadt" trotz allem locker besser als sehr vieles, das im Deutschrap so erscheint. Allein dafür, dass RIN versteht, wo man eine Hook und ein durchdachtes Flow-Pattern setzt, und weil Alexis Troy hier so richtig flext, wie sehr er sich als Produzent und Architekt von flimmernden Synth-Pattern gemausert hat. Zugegeben: Wenn RIN rappt, "verbinde Genres ohne Grenzen, bin der Avatar", dann hat er Recht. Trotz Referenzen an Sheck Wes und einem Zitat aus Drakes "More Life"-Playlist ist er der notorischen Hypebeast-Phase seines Schaffens entwachsen.
Stattdessen bekommen wir auf "Kleinstadt" 2000er-Nostalgie als Konzept vorgesetzt – und irgendwie hat es ja schon etwas Innovatives, der Nostalgie-Kurve voraus zu sein. Ein paar Mal entstehen Highlights, besonders gegen Ende der Platte. "Dirty South" macht beispielsweise ein richtig geiles, lineares Crunk-Instrumental mit den notwendigen Modernisierungen für die Jetztzeit fit, die Lil Jon- und DJ Khaled-Vocal-Samples mögen offensichtlich, dafür aber absolut effektiv sein, die Hook setzt RIN perfekt. Mit "FYM" hat das gemein, dass er auch so scharf rappt wie selten: Auf dem Song nimmt er einen Beatswitch in einen brutalen Memphis-inspirierten Bass mit, auf dem sonst auch Key Glock hätte rappen können, dabei klingt er so durchschlagend und angepisst wie selten.
"1976" springt auf den in Deutschland gerade ziemlich interessanten Rave-Rap-Trend und punktet, weil Alexis Troy wirklich perfekt die Loveparade-Nostalgie trifft, man denkt automatisch an moderne House-Nostalgiker wie "1994" von No_4mat. Andernorts trifft man auf Fusionen mit Indie, Anleihen aus der ausgelebten Cloud Rap-Ära, Skinny Dipping in R'n'B-Gewässer und sogar einen regelrechten Grunge-Song. "Kleinstadt" emuliert im Prinzip die Hörerfahrung einer selbstgebrannten CD mit Radio- und Internet-Hits, die man sich 2005 über Napster zusammengeschmissen hat.
Das klingt als Konzept erst einmal irre cool – und immer, wenn gerade ein Highlight läuft, wähnt man sich kurz von RINs unerklärlicher Genialität überzeugt. Aber dann stehen auf der Tracklist doch zu viele Duds dagegen, in denen sich sein Ansatz als relativ oberflächlich entzaubert. Besagte Grunge-Nummer "Meer" zum Beispiel beeindruckt im ersten Moment mit RINs bisher bester Performance als Sänger, aber wenn diese erste Überraschung verfliegt, bleibt doch nur eine relativ Dudebro-ige Interpretation eines Nirvana-Songs für Leute übrig, die sich ein bisschen zu Musik-gebildet dafür fühlen, Nirvana zu kennen. Ein paar Songs später Tame Impala zu shoutouten, passt da in die Diagnose.
Auch die Indie-Anleihen entfalten wenig Eigenwert, besonders die offensichtlich Label-arrangierte Giant Rooks-Zusammenarbeit "Insomnia", die klingt, als würden die Gitarren-B-Lister ein Novelty-Cover eines RIN-Songs schustern. Witzigerweise funktioniert da "Rot" als Solonummer besser, weil RIN hier wieder einen der Momente findet, in dem er wirklichen Hunger ausstrahlt. So liefert er immer wieder eine überzeugend bissige oder überzeugend melancholische Performance, etwa beim starken Opener "Yugo", auf dem er selten fokussiert textet.
Aber dann wieder so viele Songs, auf denen er im selbst überschätzenden Autopiloten agiert. "Eye Of The Tiger" ist einfach nicht gut gesungen, auf "Swiffer" zeigt er im Vergleich zum recht vibigen R'n'B-Instrumental zu wenig Präsenz, "5 Star Stunna", "ADHS", "Money On My Mind", "Sado" und "Douglas" beinhalten Rap-Parts, die es nicht reißen. Der Mann hat eben kein krasses Handwerk, kompensiert das aber, weil er ein geiler Charakter ist und in den richtigen Momenten fantastische Songwriting-Entscheidungen trifft. Aber er braucht dieses Über-sich-Herauswachsen, weil er im Autopilot regelmäßig in Frage stellt, wie eine so dünne Stimme es je so weit gebracht hat.
Das schlägt sich auch in den Texten nieder. Auf Songs wie "Douglas" oder der Schmyt-Kollabo "Athen" konstruiert er seine Bars so clunky und unelegant, das selbst gute Motive völlig untergehen. "Das Leben mag nicht Bilder die nur ausschließlich in Schwarz sind", singt er zum Beispiel an einer Stelle. Und man wähnt sich im Studio neben ihm, während er versucht, die Line vom Handy zusammenzubringen und noch eine Silbe, noch eine und noch eine Silbe, fuck, noch drei Silben mehr braucht, damit sie funktioniert. Hätte man das nicht einfach neu recorden können?
Yung Lean rappte einst: "Can't write a song, only do hooks." Und auch, wenn das nicht unbedingt so für RIN gelten muss, zeichnet sich auf "Kleinstadt" doch ein ähnliches Bild ab. Viele Songwriting-Ideen auf dieser Platte sind stark, oft tragen seine Hooks auch uninspirierte Songskizzen, und auf Songs wie "Yugo", "FYM" oder "Dirty South" flowt er souverän, wie man es selten von ihm gehört hat. Aber trotzdem beeindruckt das Genre-Mischmasch auf "Kleinstadt" nur oberflächlich. Vielen Songs fehlt ein zweiter Draft, zu viele Songs gehen nicht den ganzen Weg, und selbst unter den Treffern finden sich so viele Songs, in denen RIN nur ein Tourist im Sound der Stunde zu sein scheint.
Man muss respektieren, wie viel er hier probiert hat. Gerade Alexis Troy hat hier mit der durch die Bank fantastischen Produktion Gold im Vielseitigkeitsreiten verdient. Aber allen Versuchen zum Trotz wirft RIN mit diesem Album das Problem des Hypebeast-Raps, des Cosplay-Raps nicht ab. Egal, in wie viele Sounds und Arenen er hier auch seine Fühler ausstreckt, man gewinnt selten den Eindruck, dass er ihnen irgendetwas Wesentliches hinzufügen kann.
9 Kommentare mit 4 Antworten
Das Cover ist cool aber ein bisschen sehr von Tame Impala inspiriert. Ich glaube, ich höre in die Musik aber lieber nicht rein.
Beides korrekt
So hab ich mal gerappt, als ich vor 15 Jahren was total Gefühlvolles machen wollte, obwohl der Text erst für nen schnellen Beat konzipiert war. Genau SO erbärmlich klingt das dann... Musik für die Tonne
Ungehört 0/5.
Absatz 1 könnte es nicht besser beschreiben.
Was mich an Rin aber am meisten stört, sind die komischen Betonungen und das langziehen am Ende von wirklich jeder Zeile. Keine Ahnung warum er das macht, und mittlerweile macht er das ja wirklich auf jedem einzelnen Song. Macht für mich das meiste leider unhörbar.
ADHS, Dirty South und Money on my Mind die besten Tracks der Platte 3,5/5
Dieser Kommentar wurde vor 2 Jahren durch den Autor entfernt.
*paar kleine Schreibfehler drin, aber ich denke ich konnte meinen Standpunkt äußern... Ist am Ende des Tages auch sehr Subjektiv da ich einfach ein RIN-Fanboy bin.
Hallo timeth,
in der Tat sind auch wir überzeugt davon, dass du deinen Standpunkt glaubhaft vermitteln konntest. Wir werden umgehen Ermittlungen einleiten und dafür sorgen, dass sowohl aus deiner aber auch unserer Subjektivität ein objektiver Konsens entsteht. Dies nimmt für gewöhnlich ein paar Tage Bearbeitungszeit in Anspruch.
Ein Tipp von unserer Seite:
Versuche das Geschehene wirken zu lassen indem du deinen Account einfach mal löschst und sollte es weiterhin objektive Kriterien dafür geben, diesen beizubehalten, darfst du gerne wieder kommen. Wir freuen uns jetzt schon auf dich!
Beste Grüße
Subjektivitätsmanagement
Psycho SA
Grenoble
album isn grower. Seine beste platte safe