laut.de-Kritik

Echt authentisch, echt langweilig.

Review von

Der BTS-Leader RM steht Pate für ein seltsames Phänomen der K-Pop-Welt. Insbesondere im BTS-Fan-Kosmos wird man auf Menschen treffen, die nicht müde werden, darauf hinzuweisen, dass der Mann, der früher von seinem Label Rap Monster genannt wurde, ja eigentlich ein wahrer Künstler ist, der die Songs selbst schreibt, Hermann Hesse liest, sich für Malerei interessiert und einen IQ von mindestens 200 an den Start bringt. In der Solo-Ära von BTS treibt sein neues Album "Indigo" diesen Prozess des Indie-Washings der größten Boyband der Welt weiter voran. Aber obwohl RM prägend an ein paar der besten Idol-Pop-Songs der Gegenwart beteiligt war, gerät sein Anlauf an Eigenständigkeit trotz hochkarätiger Unterstützung oberflächlich und langweilig.

Es klingt ja eigentlich erst verlockend, dass das Hirn hinter dem BTS-Team für ein authentisches, tagebuch-artiges Projekt allen Idol-Glitter aus dem Fenster wirft, sich geschmackvoll-atmosphärische Beats zwischen Indie, R'n'B und Funk zimmern lässt und den eigenen Gedanken freien Lauf lässt. Aber "Indigo" stinkt nach einer Person, die eine extrem leicht zu beeindruckende Hörerschaft gewohnt ist. Es gibt musikalisch wie klanglich interessante Momente, aber wieder und wieder sagt er Phrasen und Plattitüden mit einem Stolz, als würde er wirklich glauben, da gerade den Gipfel der menschlichen Erkenntnis von sich geben. Und da dieses Album bis zur Drögheit auf Nahbarkeit und Intimität reduziert ist, bleibt uns nicht viel, um Herrn Rap Monster durch alle sieben Höllenkreise der Selbstüberschätzung reiten zu sehen.

Vielleicht vorab deshalb die positiven Aspekte: "Forg_tful" mit der Folk-Sängerin Kim Sawol tappt am erfolgreichsten in die Idee eines intimen Tagebuch-Songs. Der Gitarren-Loop fängt eine tolle Melodie, RM ergänzt das in der Produktion mit Tischklopfen, den Sounds von Textilien und durchs Studio geworfenem Spielzeug. Die entstehende Atmosphäre wirkt roh und dicht, beide geben tolle Performances und entfalten ein Gefühl von komplexer Romantik, ein bisschen still, ein bisschen einsam, aber doch sehr warm, das trägt die DNA großartiger BTS-Balladen wie "Spring Day". "Change Pt. 2" und "Still Life" mit Anderson .Paak zeigen, dass RM ein ziemlich guter MC sein kann, vor allem gekoppelt an simple, aber eingängige Rhythmen blüht er auf. Eine solide Rapperstimme, ein glückliches Ohr für Refrains und melodische Griffe.

Leider bekommen wir über den Rest von "Indigo" sonst wenig von der hier gezeigten Pop-Luzidität. Der Rest des Albums ist auf die Lyrics reduziert. Und die sind ... fragwürdig. Der Intro "Yun" (benannt nach einem koreanischen Künstler) verschwendet Erykah Badu auf einen Song mit komplett hohl getextetem Refrain. "I wanna be a human / 'Fore I do some art / It's a cruel world / But there's gon' be my part / 'Causе true beauty is a true sadnеss / Now you could feel my madness", schwelgt der Mann da in Angstiness und klingt wie die Wattpad-Fantasie einer Oberstufenschülerin davon, worüber kluge Männer so nachdenken könnten. Insbesondere der Sadness-Madness-Reim wirkt dann, als hätte RM auf WhatsApp ein Joker-Profilbild.

"Shit happens in life but you know what happens is what happens and shit", philosophiert er auf dem Folgetrack – und es wird gegen Ende nicht besser. Es bleiben die gleichen platten Binsenweisheiten, serviert mit bester Sasuke Uchiha-Edginess, nur der Pathos steigert sich weiter und weiter. "I'm fuckin' lonely / 나 혼자 섬에 [dt.: "ich bin alleine auf einer Insel] / So fuckin' lonely / Somebody lonely" säuselt er auf "Lonely" in Konkurrenz mit Justin Bieber, wer einen Song mit diesem Titel und Thema mehr mit dem Holzhammer umsetzen kann.

Der Titeltrack "Wild Flower" soll hinten raus groß und cineastisch klingen, ertränkt aber nur jede solide Melodie im Songwriting in einer Urschlammwelle aus Echo, kitschigen Streichern und schnörkeligem Klavier. Die Frau im Refrain brüllt den Songtitel mit einem Pathos ins Mikro, als wolle sie eine Castingshow gewinnen. Klingt leider mehr nach Mitten Im Leben-Pausenmusik als nach großen Gefühlen, während RM lyrische Diamanten wie "Oh, every day and every night / Persistin' pain and criminal mind" von sich gibt. Hier kann man immer noch darauf hoffen, dass da irgendein Feinsinn oder Genie durch die Sprachbarriere in den koreanischen Lyrics verloren ging. Aber trotzdem klingt der Song, als wäre alles schief gegangen, was RM auf "Forg_tful" noch so richtig gemacht hat.

"Indigo" ist ein frustrierendes Album. Sehen wir es ein: RM wäre kein guter Indie-Artist. Seine Lyrics sind generisch, phrasig und platt, seine musikalische wie künstlerische Vision schießt in Sachen Kitsch regelmäßig weit über jeden guten Geschmack hinaus, selbst die stark kuratierten Features tragen nicht viel zur gesamten Stimmung bei. Alle Stärken, die hier übrig bleiben sind Charisma, Stimme und Refrains, Pop-Stärken, fast so, als wäre es überhaupt nicht schlimm, einfach nur ein großartiges Idol zu sein, das Idol-Pop macht. Klar, es ist das gute Recht des Mannes, an den Grenzen dieser Box zu rütteln und es verdient Respekt, dass er sich an einem aufrichtigen Songwriter-Projekt versucht. Aber das Resultat hat trotz des elitären Casts und Star-Aufgebot weder lyrisch noch musikalisch Besonderes zu bieten. Man muss sich nicht vormachen, dass ein unbekannter Indie-Artist ohne den Boyband-Kontext mit einem Album wie diesem nicht (zurecht) im gigantischen Daten-Ozean der ganz okayen neuen Musik davongespült worden wäre.

Trackliste

  1. 1. Yun (feat. Erykah Badu)
  2. 2. Still Life (feat. Anderson .Paak)
  3. 3. All Day (feat. Tablo)
  4. 4. Forg_tful (feat. Kim Sawol)
  5. 5. Closer (feat. Paul Blanco & Mahalia)
  6. 6. Change Pt. 2
  7. 7. Lonely
  8. 8. Hectic (feat. Colde)
  9. 9. Wild Flower (feat. Youjeen)
  10. 10. No.2 (feat. Parkjiyoon)

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