laut.de-Kritik

Das Bindeglied zwischen OK Computer und Kid A.

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Das weiße Nichts. Am 01.05.2016 ging "A Moon Shaped Pool" ein Mord aller Onlinespuren voraus. Alles niederbrennen, alles löschen, alles auf Anfang, bis nicht einmal die Asche übrig blieb. Von hier aus standen alle Möglichkeiten offen. Für einen ausbleibenden Herzschlag konnten Radiohead überall hin, konnte alles geschehen. Nur die eigene Vorstellungskraft konnte ihnen jetzt noch Einhalt gebieten. Nach sieben Tagen des Rätselratens erstehen Radiohead als Radiohead aus diesem "Dead Air Space". Sie ersetzen sich lediglich durch sich selbst.

Dabei nutzen sie wie so oft geschickt den Rummel, das Bohei. Bereits das Ausbleiben einer Nachricht gilt als diese. In Zeiten, in denen einzig Klicks zählen und diese mehr durch Schnelligkeit als durch Inhalt erreicht werden, bleibt kein Moment zum Abwarten und zum wirklichen Auseinandersetzen mit einem neuen Album. In der ersten hektischen Reaktion fehlt der Abstand um die erste Euphorie oder den Widerwillen zu überwinden.

Später stellt sich heraus, dass "The King Of Limbs" gar nicht das Überalbum war, für das man es im ersten Moment hielt. Dass zwei der besten Stücke erst auf der EP "The Daily Mail" folgten. Ein Text zu einer neuen Radiohead-Platte kann kurz nach der Veröffentlichung daher gar keine Kritik, sondern vielmehr nur eine Annäherung darstellen. An welcher Stelle man "A Moon Shaped Pool" später qualitativ in die Diskografie einordnet, kann erst die Zeit zeigen.

In ihrer Bruchstückmusik, deren Teile sich erst langsam zusammen fügen, bleiben Radiohead auf ewig wankend und suchend. Anstatt aber ein weiteres Mal fast zwanghaft der Neujustierung zu verfallen, wagen sie den kurzen Schulterblick, um danach den Rückwärtsgang einzulegen. Die Inspiration finden sie in ihrem eigenen Schaffen, greifen gar auf "True Love Waits" zurück. Ein Song, der bereits seit über zwei Jahrzehnten zum Liverepertoire der Band gehört, der es auf "I Might Be Wrong (Live Recordings)" schaffte, aber von dem es bisher keine Studioversion gab.

Mit "A Moon Shaped Pool" schaffen die Engländer ein Bindeglied zwischen "OK Computer" und "Kid A". Weitestgehend unpolitisch leckt sich der zusammengekauerte Thom Yorke seine Wunden, die die Trennung von Rachel Owens, mit der er 23 Jahre zusammen war, verursacht haben. In seiner intimen Darbietung, die weitaus weniger theatralisch ausfällt als auf manchen vergangenen Longplayern, lässt er den Hörer so nah wie selten an seine geschundene Seele. Auf der Suche nach Liebe und Akzeptanz klagt und trauert er ruhig und ohne zu schreien. Er bricht die Melancholie auf und führt Radiohead zu ihrem bisher traurigsten Album.

Bisweilen zieht er sich dafür vollständig in den, das Album bestimmenden, sakralen Folk zurück, den immer wieder Elektronik durchbricht und so am Leben hält. Zwischen diesen beiden Stilmitteln und zahlreichen Experimenten, die nach "The King Of Limbs" jedoch ungewohnt fokussiert bleiben, beschwichtigt das schwelgerische London Contemporary Orchestra, das kraftvoll Jonny Greenwoods Streicher-Arrangements umsetzt. All dies setzt Stammproduzent Nigel Godrich perfekt in Szene.

"Burn The Witch" führt in seinen ersten Sekunden an der Nase herum, legt eine falsche Fährte zu Coldplays "Viva La Vida", nur um diese darauf eindrücklich zu zerschreddern. Wie Norman Bates in "Psycho" stechen die perkussiven Streicher auf den Song ein, bevor sie im weiteren Verlauf in sämtliche Richtungen ausbrechen. Die politische Aussage des Stücks hingegen bleibt vage und ungenau, findet keinen direkten Widersacher. "Abandon all reason / Avoid all eye contact / Do not react / Shoot the messengers / Burn the witch".

In den zwei besten Tracks entwickelt "A Moon Shaped Pool" einen immensen Sog, lässt die Umwelt vergessen und zieht komplett in seine eigene Fremde. Während Yorke immer wieder die Worte "you really messed up this time" wiederholt, wummert "Ful Stop" langsam aber zielstrebig voran. Als entrücktes Klackern und Rauschen beginnend, baut sich das Stück immer mehr in seiner ganzen bedrohlichen Größe auf. Ein rhythmisch zuckendes Monster mit entfremdeter Fratze.

Mit dem getragenen "The Numbers" gehen Radiohead den gegenteiligen Weg. Aus Chaos entspringt eine, den Weg bahnende akustische Gitarre. In opulenten Schauern regnen Klaviernoten herab, bis das Orchester mit voller Wucht einsetzt. "The future is inside us / It's not somewhere else." Leider bleibt die Intensität dieser beiden Lieder nicht über die komplette Spielzeit des Longplayers bestehen.

An glitzernden Verzierungen und einer traurigen Pianofigur entlang durchlebt der Ambient-Track "Daydreaming" mehrere Metamorphosen. Yorke schreitet durch diese wie Dave Bowman am Ende von Kubricks "2001: Odyssee im Weltraum". Raum für Raum, bis mächtige Streicher den Höhepunkt setzen.
Die sentimentale Ballade "Glass Eyes", die nur Klavier, Orchester und Yorkes Stimme tragen, hätte man Radiohead in ihrer Schlichtheit kaum noch zugetraut. Sie stellen sich ganz der Emotion, ohne diese hinter abweisenden Winkelzügen verstecken zu müssen.

Im Gegensatz zur Liveversion von "True Love Waits" steht hier nicht die Gitarre, sondern das auf "A Moon Shaped Pool" immer wieder in den Vordergrund drängende Klavier im Mittelpunkt. Nur dieses und Yorkes Stimme bleiben in dieser zerkratzen und isabellfarbenen Fassung voller Disharmonie und Trauer übrig. Ein gelungenes und gleichsam seltsam vertrautes Ende, das geduldig über die Jahrzehnte auf seinen Einsatz wartete. "Just don't leave."

Radiohead können ihre Internetauftritte so oft löschen wie sie wollen, für sie gibt es kein Entkommen. Kein Land, in dem nicht Hass und Liebe bereits auf sie warten. Keinen leeren Raum, den sie neu füllen können. Welchen Weg sie auch gehen, sie werden immer auf bereits gefestigte Erwartungen, Heldenverehrung und Ablehnung treffen. Fast konsequent, dass sie mit "A Moon Shaped Pool" auf die große Neuerfindung und Überraschung verzichten. Viel mehr könnte dies der Beginn ihres verwaltenden Alterswerks auf hohem Niveau sein. "No alarms and no surprises / Silent."

Trackliste

  1. 1. Burn The Witch
  2. 2. Daydreaming
  3. 3. Decks Dark
  4. 4. Desert Island Disk
  5. 5. Ful Stop
  6. 6. Glass Eyes
  7. 7. Identikit
  8. 8. The Numbers
  9. 9. Present Tense
  10. 10. Tinker Tailer Soldier Sailor Rich Man Poor Man Beggar Man Thief
  11. 11. True Love Waits

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37 Kommentare mit 109 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    das problem bei radiohead ist dass man kein album ganz durchhören kann ohne dass es a) auf die nerven geht b) zu sehr deprimiert oder c) nur noch als schwall im hintergrund dudelt.. drum bleiben mir da immer nur die ersten 3-4 lieder im kopf

    • Vor 7 Jahren

      Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.

    • Vor 7 Jahren

      "drum bleiben mir da immer nur die ersten 3-4 lieder im kopf"

      ein fingerhut ist auch blöd zum cocktails trinken.

    • Vor 7 Jahren

      Hmm.. Stutenbissig oder Penisneid anders ist das nur schwer zu erklären warum hier einige auf untersten Niveau angegangen werden... Leute es gab da mal eine Zeit in der man für das Wort Hurensohn jeden Gesichtsknochen gebrochen bekommen hat.... mal die Sau rauslassen und jemanden gepflegt beleidigen ist ja sicherlich gesund und wird auch von meiner Seite gerne mal gepflegt... Aber reisst euch mal ein bißchen zusammen ihr Votzen denn wenn ihr euch im echten Leben auch so verhaltet hab ich Angst um eure Gesundheit bin nämlich überzeugt davon das schon ein Hauptschüler aus der siebten Klasse ausreicht um euch Mädchen mal richtig aufzumischen

    • Vor 7 Jahren

      Nix für ungut, aber das Soisseshalt hier für Jerome K. Partei ergreift... HEHEHE.
      Jerome K. ist ein Troll, der seine hiesige Rolle so dermaßen niedrig angesetzt hat, dass es schon keinen Unterschied mehr macht, ob er das nur "spielt" oder tatsächlich so ein Hohlbrot ist.
      Gegen letzteres sprechen die Momente, in denen er sein Trollkonzept sogar noch denjenigen erklären muss, die ihn in der Rolle für voll nehmen und interessiert bzw. ernsthaft nachbohren, siehe Falco-Thread.
      Ich für meinen Teil finde es gleichermaßen amüsant und nachvollziehbar, dass du (Soisseshalt) dich seit einigen Tagen vorrangig mit ihm unterhältst und dich nach ersten Andockversuchen auch mit ihm hier solidarisierst, v.a. nachdem du mit abgestandenen Altherren-Witzchen und 60erJahre-"Pennäler"-Humor bei sonst niemandem hier Interesse an Austausch und fortlaufender Unterhaltung wecken konntest.
      Wenn du deinen Begriff von "Stärke/Kraft" im richtigen Leben mal auf die Probe stellen willst, dann häng dich doch gerne an die Kommentare von torque/rejectedbythenaacp und mach mit ihm nen kmapf für's richtige Leben aus, er lässt dich sicher gerne noch zwei Siebtklässler-Freunde als Verstärkung mitbringen. Und da wo ich deutsch gelernt habe schreibt man Fotze immer noch mit "F".

      @moody
      Yay, du hast deinen Acc wieder! Hast du dich nach der Nummer im elbow-Thread nochmal dahinter geklemmt?

    • Vor 7 Jahren

      Gepflegt "rumzutrollen" ist das eine aber ständig grundlose Beleidigungen abzusondern hat doch mit "Trollen" nix zu tun... Wenn jemand behauptet mit Band x aus irgendwelchen Gründen nicht klarzukommen ist das doch im Sinn dieser Seite? Woher dann die Rechtfertigung jemanden als Hurensohn zu beleidigen? Profilierungssucht? Wieso müssen anscheinend hochgebildete Leute sich in der Anonymität des Internets als Vollassis ausgeben? Ist das eine Art Fetisch? Das Klischee eines Managers bedienend der sich privat gern mal auspeitschen lässt? Ist das irgendwie so ein Ding? Ich blicks nicht!
      Meine Intuition mich hier anzumelden war zu Beginn noch recht unschuldig.. Ich steh einfach auf Musik lese schon seit 25 Jahren Rock Hard und auch gerne mal den express usw. Mit den Jahren wurde der persönliche Geschmack einfach immer breiter so das ich irgendwann hier hängen blieb hab mich vorher noch nie im Internet irgendwo angemeldet so das ich neugierig wurde. Aber viele hier haben mir die Freude an einem Austausch gründlich versaut.
      Ihr dürft euch jetzt darüber freuen oder auch nicht aber für mich war es das hier wünsche euch weiterhin viel spass bei eurem bedenklichen wasauchimmer ihr hier treibt danke laut.de dafür das ich alte perlen (keith jarret) und neues (degenhardt, Prezident, rotten monkey, pain of Salvation uvm.)entdecken durfte sperrt aber besser die Kommentarfunktion oder mistet zumindest mal kräftig aus sind einfach zuviele votzen hier unterwegs.
      P. S natürlich wird votzen mit v geschrieben
      PPS. 110 trainierte Kilos plus jahrelange aikido Erfahrung haben mich noch nie auf einen starken Freund verweisen lassen müssen da musste ich schon ein bißchen grinsen passt aber ganz gut zu meinem Bild eines seelenklempners
      Viel spass den wenigen Leuten hier die korrekt sind (eigentlich nur Trump unhatebar) ich bin raus!

    • Vor 7 Jahren

      Es passt halt gleich wieder so wunderbar zu deiner sonstigen Darstellung, dass im Zweifelsfall doch wieder alles auf eine körperliche Überlegenheit im richtigen Leben hinauslaufen soll und du auch sämtliche für dich nicht nachvollziehbare Eigenarten und Dynamiken hier bzw. scheinbar im Internet allgemein auf eine nicht ausgelebte körperliche Überlegenheit oder eine vermeintlich tatsächliche körperliche Unterlegenheit im richtigen Leben zurückführst.

      Das nennen wir Nicht-Hobbypsychologen gerne "Projektion". :lol:

    • Vor 7 Jahren

      Für's Protokoll:

      +1 bei "Uservernichter" für soulburn!

    • Vor 7 Jahren

      Top, souli. Dann kannst du ja jetzt auch Jerome K löschen. Er hat seinen Zweck erfüllt.

    • Vor 7 Jahren

      Wish I could, morphi. Frag doch mal molten im Chat oder so, hm? Danke.

    • Vor 7 Jahren

      @faden
      Ich bin mal wieder zu spät. Der hat sich ja tatsächlich gelöscht :lol:
      Ich wollte doch drauf eingehen, dass der ME oder Rockhard keine guten Musikblätter sind :(
      Meine Vermutung ist ja, dass Jerome und soisseshalt aus der Feder der selben Person stammen.
      Ich fand meinen Post recht harmlos, ich glaub, ich werd alt.
      @souli
      Wohl eher akute Langeweile. Ich hoffe ja immer noch darauf, das jemand endlich den Namen "moody" hergibt, weil mein Username eh darauf runtergekürzt wird, but no luck so far. :(

    • Vor 7 Jahren

      Da hatte Soisseshalt gerade erst zwei Freunde gefunden und dann lässt er Jerome und den mittleren Rechtsgelehrten einfach hängen...

    • Vor 7 Jahren

      R.I.P. Soisseshalt, sehr ehrenhafter User.

    • Vor 7 Jahren

      ich hab hier jetz nich den ganzen wulst durchgelesen, aber so primitives beleidigen dacht ich würde hier nicht an der tagesordnung stehen. und seitwann muss man sich für seinen musikgeschmack rechtfertigen?

      wenn jemanden meine art nicht passt dann lest doch einfach drüber. ich kommentier auch nicht jeden aber lasse jedem seine meinung..

      also chillt ALLE ZUSAMMEN mal!

      ps: keiner hat hier was zu verteidigen ihr seid alle anonym im internet, da kann man sich getrost mal übern sein ego paar nummern zurückzuschrauben

      peace
      Jerrywise

    • Vor einem Jahr

      Hallo, ich bin neu hier,

      ich hoffe der Ton hat sich hier verändert. Ich muss zugeben, dass mich diese Art der Kommunikation verunsichert. Ich habe Lust über Musik zu reden, aber möchte nicht beleidigt werden

      MF-LG

    • Vor einem Jahr

      Seht, es ist Doctor Wasp! Und sein Sidekick, Mister Fly!

    • Vor einem Jahr

      Hallo Schwinger!

    • Vor einem Jahr

      Hallo, Wiesel!

    • Vor einem Jahr

      wie geht es dir?

    • Vor einem Jahr

      Keine Ahnung. Lösch dich!

    • Vor einem Jahr

      Ich verstehe deine Antwort nicht ganz? Was willst du mir damit sagen? Guten Morgen!

  • Vor 6 Jahren

    bestes Radiohead Album seit langem

  • Vor einem Jahr

    Zugänglichstes Radiohead Album seit langem